»Gute Götter«, ächzte er.
»Nein, ich hege keinen Zweifel daran, dass es sich hier nur um Sterbliche handelt«, meinte Achmed.
»Ich wünsche dir viel Glück mit ihnen.«
»Gehst du schon?«, fragte Ashe ungläubig, als der Bolg-König seine Sachen zusammenpackte. Achmed nickte. »Ich habe eine Verabredung mit dem Stallmeister der Kaiserin, und der Seligpreiser muss noch einen Schuldschein unterzeichnen, bevor er unter dem Gewicht all der Dummheit, mit der er überhäuft wird, endgültig zusammenbricht. Ich will den Stallmeister nicht noch länger warten lassen.«
Ashe seufzte. »Nun gut, vielleicht können wir miteinander reden, wenn du zurückkommst.«
»Ich werde nicht zurückkommen. Ich habe einen Krampf im Bein, muss noch ein Pferd kaufen und brauche ein paar Stunden Schlaf, bevor ich morgen früh nach Ylorc aufbreche.«
Der Herr der Cymrer richtete sich auf und wirkte wie vom Donner gerührt. »Du brichst auf? Bevor diese Sache hier entschieden ist?«
Achmed holte tief Luft. »Es könnte noch Tage oder sogar Wochen dauern, bis eine Entscheidung gefällt wird. Ich muss mich in Ylorc um ein paar wichtige Dinge kümmern und kann nicht warten, bis diese Narren ihre kleinlichen Zwistigkeiten ausgetragen haben.«
»Ich muss gestehen, dass ich verblüfft bin«, sagte Ashe mit einer Mischung aus Erstaunen und Verärgerung. »Du bist außer meinem paranoiden Onkel das einzige Mitglied des Bündnisses, das Sorbold völlig misstraut – aus gutem Grund, denn es grenzt an dein eigenes Reich. Verspürst du nicht die Notwendigkeit zu bleiben und zu beobachten, was hier vor sich geht?«
»Wohl kaum. Was auch immer geschieht, es wird nicht gut sein«, sagte Achmed ernst. »Wie das Ergebnis auch sein mag, wir müssen mit ihm leben und um unser Überleben kämpfen. Wenn ich beobachte, wie das Ergebnis ans Licht des Tages kommt, wird das nur so sein, als tauchte ich die offenen Wunden an meinen Händen in Salzwasser. Es ist zwar ein schöner, aber ein falscher Gedanke, dass ich etwas zu sagen haben könnte, was die Waage beeinflusst.«
»Na, das ist doch etwas Positives«, bemerkte Tristan Steward, stand ebenfalls vom Tisch auf und glättete seine Hose.
»Hol dir noch ein Glas Wein, Tristan«, sagte Ashe scharf. »Deine Bemerkungen bei diesem Kolloquium waren ärgerlich und beinahe schon peinlich.«
Steward starrte den Herrscher der Cymrer in einem Entsetzen an, das einen Atemzug später zu Wut wurde. Er warf dem Bolg-König noch einen bösen Blick zu und ging fort.
»Bitte bleib«, sagte Ashe zu Achmed, als Tristan außer Hörweite war. »Dein Rat könnte von großem Nutzen sein.«
»Nein. Ich bin hergekommen, um zuzuhören, nicht um zu reden«, erwiderte der Bolg-König.
»Was denkst du über die ganze Angelegenheit? Das würde ich gern wissen.«
Achmed rollte mit den Augen. »Ich bin nicht dein Ratgeber, Ashe. Wenn ich gezwungen wäre, meine Argumente in die Waagschale zu werfen, wenn du mir diesen Ausdruck verzeihst, wäre ich für Stabilität, wenigstens so weit sie mir nützt, denn es gibt viele Handelsabkommen und Friedensverträge, die ansonsten neu verhandelt werden müssten. Das wäre sehr ärgerlich und beschwerlich, und aus diesem Grunde würden sie vielleicht nicht mehr neu geschlossen. Ein vereinigtes Sorbold ist schon beängstigend genug. Ein Sorbold in Scherben wäre noch schlimmer. Man kann sich vorstellen, was aus einem zersplitterten Land wird, in dem sich das Heer als Partei bei der Suche nach einem neuen Führer ansieht. Wenn es dir nicht kalt über den Rücken gelaufen ist, als dieser Kommandant aufgestanden ist, als wäre er das Staatsoberhaupt, bist du ein Narr.« »Ich war durchaus entsetzt.«
»Nun, dann wirst du verstehen, dass aus alldem nichts Gutes erwachsen kann. Diese Dynastie ist nicht zu einem Ende gekommen, weil alles gut lief. Diese Tische stehen nicht hier, weil alle den neuen Monarchen feiern. Entweder wird das Heer alle abschlachten, oder die Kaufleute werden den Daumen auf die Waage legen, oder die Regierenden werden das Reich zerstören, indem sie einfach nach Hause gehen. Welche Übereinkunft auch immer erzielt wird, welche Nettigkeiten ausgetauscht werden, welche Unterstützung die Verlierer für die Gewinner heucheln werden, so wird am Ende doch alles schlecht ausgehen. Das ist unausweichlich.« Er drehte sich um und schaute noch einmal kurz zurück.
»Wenn du es wissen willst: Ich werde mich umgehend darauf vorbereiten, dass an der Grenze unsichere Zustände einkehren werden. Ich würde gern alle Einzelheiten erfahren, wenn die Sache erledigt und entschieden ist, aber ich muss jetzt gehen. Ich habe weder die Neigung noch die Zeit, den Ausgang abzuwarten, nur damit ich sagen kann, dass ich dabei war, aber nichts tun konnte. Jetzt muss ich den Seligpreiser finden. Gute Nacht.«
24
Achmed war schon wach, lange bevor der Tag anbrach. Er stahl sich aus dem schlafenden Palast fort und hielt nur lange genug inne, um einen Blick auf die hohen Minarette und das trockene, beeindruckende Gebäude zu werfen, in dem die Glocken seit dem vergangenen Abend angenehmerweise geschwiegen hatten. Ihm schwirrte noch der Kopf von der Kakophonie des Begräbnisses.
Rasch lief er hinunter zum Pferdestall. Die Gärten glänzten im Licht des untergehenden Mondes, der spärliche Tau auf den Büschen und Blumen leuchtete wie spinnenhaftes Gewebe.
Der Stallmeister war wie verabredet da und bewachte das morgendliche Tränken und Ausmisten. Das Pferd, um das Achmed gebeten hatte, war gestriegelt und gesattelt und stand hinter seinem eigenen. Achmed übergab dem Meister den Brief mit der Anweisung und betrachtete das Pferd. Der Quartiermeister hatte eine großzügige Wahl getroffen. Dieses Reittier hätte der Bolg-König selbst ebenfalls gewählt. Achmed seufzte und war zufrieden, dass sein Bolg-Blut diesmal kein Grund für eine schlechte Behandlung war.
Er zog eine Platinsonne aus der Tasche und gab sie dem Mann für seine gute Arbeit. Dann führte er beide Pferde aus der warmen, schweren Luft des Stalls in den kühlen Wind der Morgendämmerung. Es war das erste Mal, dass er mehr bezahlt hatte, als man von ihm gefordert hatte – ein bemerkenswertes Gefühl.
Er war sich nicht sicher, ob es ihm gefiel. Aber er spürte auch keine Verzweiflung. Rasch stieg er auf sein Reittier und nahm das Pferd, das er soeben gekauft hatte, beim Zügel. Er ritt in den grauen Morgendunst zu der Felsklippe, von der aus man das Lager der Panjeri überblicken konnte. Der bevorstehende Sonnenaufgang erhellte bereits den Himmel hinter ihm.
Als er die letzte Erhebung erstiegen hatte, zügelte Achmed die Pferde.
Das Lager war verschwunden.
Die Nomaden ebenfalls.
Mit klopfendem Herzen überblickte er die gewaltige Steppe im Westen und suchte den grauen Nebel nach Anzeichen für die Panjeri-Karawane ab, doch sie war nirgendwo zu sehen.
So etwas wie Panik legte sich über ihn und brannte auf seiner Haut. Er hatte endlich die Künstler gefunden, nach denen er seit Monaten gesucht hatte, und ganz besonders eine, die genau die war, welche er brauchte, eine verbriefte Meisterin, die fleißig und genau in ihrer Arbeit war, die Shaene nicht zu Unsinn verleiten würde und einem Bolg in die Augen sehen konnte, ohne zusammenzuzucken.
Die dabei helfen konnte, den Lichtfänger von einem Plan in ein funktionierendes Instrument zu verwandeln.
Und nun war sie fort.
Bei allen Göttern, nein, ich werde sie mir nicht mehr durch die Finger schlüpfen lassen, dachte er wütend.
Er trieb sein Pferd zu einem Galopp an und ritt zurück zum Fuß des Nachtberges, in dessen Gipfel die Glasfenster eingelassen waren.
Noch immer standen vier Wachen neben der Krypta.
»Wo sind die Panjeri?«, rief Achmed ihnen entgegen, während die beiden Pferde auf der Stelle tänzelten. Die vier Soldaten blinzelten; seine Worte hatten sie in der schläfrig machenden Morgenkühle aus dem Halbschlummer gerissen.
Die Soldaten schüttelten die Köpfe. Einer von ihnen rief zurück: »Die Postkarawane ist in der Nacht hier durchgekommen. Vielleicht sind sie einen Teil des Wegs mit ihr gezogen. Das tun Nomaden oft. Sie ist nach Westen zum Rymshin-Pass und von dort aus in nördlicher Richtung weiter nach Sepulvarta unterwegs. Versucht es dort.«