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Sie befand sich in einem kleinen, dunklen Raum, der in cymrischer Zeit Teil einer Zisterne auf Straßenhöhe oder das Zimmer eines Aufsehers gewesen sein mochte, das hinter der Wand aus schwertähnlichen Dornen vergessen worden war. Ein winziges, zurückgesetztes Gitter diente als Fenster. Es ließ Licht, aber keinen Laut in das Zimmer.

Rhapsody tastete in ihrem Gepäck nach einer Kerze. Als sie eine gefunden hatte, entzündete sie diese mit ihrer Willenskraft. Während die Flamme aufschoss, spürte sie eine Welle angenehmer Gefühle aus ihrem inneren Feuer auflodern, die sich sofort mit dem elementaren Band in ihr zusammenschlössen. Sie hob die Kerze und sah sich um.

Der Raum enthielt ein Bett, eine Kommode und einen türlosen Alkoven. Ein durchgescheuerter Armlehnsessel wie jener in Ashes Zimmer hinter dem Wasserfall stand am Fenster neben einem kleinen Tisch mit einer Lampe darauf. Das Zimmer war bemerkenswert frei von Schimmel und angenehm trocken, aber kalt. Überall auf dem Boden und der Kommode befanden sich große Bienenwachskerzen.

Rhapsody ging zu dem türlosen Alkoven und hing dort den Kleidersack auf, der ihre Garderobe für die Hochzeit enthielt. Ihr restliches Gepäck legte sie auf die Kommode. Dann machte sie sich daran, die Wachskerzen mit einem Zündholz anzustecken.

Sie setzte sich auf das Bett und beobachtete, wie die Flammen immer stetiger brannten und das Licht heller wurde. Während sie sich zurücklehnte, um auf Ashe zu warten, lächelte sie, als sie die Stimme ihrer Mutter vernahm.

Bei Kerzenschein ist selbst das einfachste Haus ein Palast.

Rhapsody schloss die Augen und rief sich das Gesicht ihrer Mutter in Erinnerung. Es erschien und gab das Lächeln zurück.

»Vielen Dank, Fürst und Fürstin Rowan«, flüsterte sie. »Vielen Dank dafür, dass ihr sie mir zurückgegeben habt.«

Auf dem Balkon des oberen Ballsaals in Tannenhall, der königlichen Residenz, in der die Hochzeitsgäste untergebracht waren, verschränkte Llauron die Arme vor der Brust und atmete die frostige Luft ein, die mit dem Herannahen der Nacht noch kälter wurde. Er blickte in den westlichen Himmel und beobachtete die Wolken, die in verschwommenen, goldenen Spiralen die Sonne hinter dem Rand des Horizonts jagten. Wie wunderschön, dachte der Fürbitter und rieb sich geistesabwesend mit den Händen über die Arme, um sich zu wärmen. Bald weiß ich aus erster Hand, wie es ist, Teil dieser Schönheit zu sein.

Der Abendstern erschien am Himmel und glitzerte hell am Firmament. Als ob sie darauf gewartet hätten, dass jemand die Führung übernimmt, leuchteten die Sterne nacheinander auf, glitzerten kalt, brannten hell, ewig. Tränen erschienen in Llaurons alten blauen Augen.

Ich komme, meine Brüder, flüsterte er in den Wind. Ich komme.

Die Balkontür wurde geöffnet. Llauron wandte sich von der dunklen Schönheit der Nacht ab und dem Licht und der Feier im königlichen Ballsaal zu. Der Umriss eines Dieners hob sich vor dem Hintergrund aus schwebenden Gestalten und Lachen ab.

»Ist alles in Ordnung, Euer Gnaden? Kann ich etwas für Euch tun?«

Der Fürbitter lächelte.

»Nein, vielen Dank, mein Sohn«, sagte er und ging langsam zur Tür. »Ich habe nur gerade den Wunsch zum Abendstern geschickt, dass morgen alles gut gehen möge.«

46

Die weiße Leinenbluse unter Tristan Stewards himmelblauem Samtwams schmiegte sich unangenehm fest um die Muskeln an Brust und Armen. Sie war durchnässt von Angstschweiß.

Seit Sonnenaufgang lief er auf und ab und eilte durch die langen Korridore außerhalb der Großen Halle seines Palastes. Bisweilen erinnerte er an einen Verurteilten, bisweilen auch an ein gefangenes Tier. Er trat einen Pfad in den Seidenteppich seines Arbeitszimmers, das als Ankleideraum eingerichtet worden war, fuhr sich immer wieder mit der Hand durch die Haare und verrückte dabei jedes Mal das zeremonielle Staatsband, das kunstvoll in seine Stirnlocken gewoben war.

Zum dritten Mal in dieser Stunde rief er James Edactor, den Kammerherrn, und blickte finster drein, als sich die Tür öffnete und hinter dem Mann rasch wieder schloss.

»Ja, Herr?«

»Ist sie schon da?«, platzte der Fürst von Roland heraus, drehte sich vor seinem Schreibtisch um und warf dabei einen Stapel Landkarten und Papiere zu Boden.

»Fürstin Madeleine?«

»Nein, du dämlicher Tölpel.« Tristan Steward sah ihn drohend an. »Habe ich dir nicht schon dreimal gesagt, dass die Abgesandte des Bolglandes sofort zu mir geschickt werden soll?«

Der Kammerherr räusperte sich. »Ja, Herr, aber wir konnten sie noch nicht finden.«

Der Fürst von Roland wurde blass. »Was? Was hast du gesagt?«

»Wir können sie nicht finden, Herr, es tut mir Leid. Sie hat gestern ihre Einladung am westlichen Tor vorgezeigt, aber sie ist nicht in Tannenhall erschienen, um ihr Quartier zu beziehen. Zweifellos ist sie irgendwo in der Stadt; vielleicht besucht sie Freunde.«

Der Fürst von Roland wirbelte herum und fuhr mit dem Arm wütend über den jüngst aufgestellten Ankleidetisch. Ein silbernes Tablett flog herunter und ein Hagel aus Parfumflaschen, Kämmen und Rasiermessern ging auf den Boden nieder. Der Kammerherr sprang aus dem Weg, um den umherfliegenden Glassplittern zu entgehen.

»Oh, du weißt es, nicht wahr?«, knurrte er und stürmte durch die Trümmer auf die Tür des Arbeitszimmers zu. »Sie ist entführt oder geschändet worden oder Schlimmeres.« Oder sie trifft sich mit einem der anderen Herzöge und Adligen in ihren privaten Gemächern im Innern Bethanias, dachte er. Du weißt, Edactor, dass sie mit Juwelen behängt wurde, dass man ihr Reichtum und eine Flucht aus dem Bolgland im Gegenzug für ihre Dienste versprochen hat.

In diesem Augenblick könnte sie nackt und mit schimmernder Haut in feinsten Seidenlaken liegen und die wunderbaren Beine um einen bleichen Brustkorb schlingen; sie könnte sich Ivenstrand oder Baldasarre oder MacAlwaen hingeben, während ich an ihrer Stelle sein sollte.

Bei diesem Gedanken quollen frische Schweißperlen aus seiner schon feuchten Stirn. Vielleicht war alles längst vor ihrer Ankunft vorbereitet gewesen; vielleicht hatte einer der Botschafter um sie geworben, der an den Hof von Ylorc gekommen war, um für einen von Tristans Rivalen dem verachteten Bolg-König seinen Tribut zu entrichten. Vielleicht lagen sie jetzt miteinander im Bett, lachten ihn aus, liebten sich zwischen Ausbrüchen von Scherzen auf seine Kosten und kicherten zwischen ihren sengend heißen Ausschweifungen über seine drohende Heirat mit dem Biest von Canderre.

Das Entsetzen auf dem Gesicht des Kammerherrn half wenig, seine Gedanken zu klären. Wut und manchmal auch etwas Dunkleres hämmerten hinter seinen Augen und erfüllten ihn mit schmerzhafter Erregung. Seine Hände zitterten wild.

»Geh zum Hauptmann des Palastes und sag ihm, er soll die Straßen durchkämmen. Sucht sie. Ich will sie vor der Hochzeit sehen, hier in meinem Arbeitszimmer. Ich muss wichtige diplomatische Dinge mit ihr besprechen. Erst danach kann ich mich ganz darauf konzentrieren, mein Leben fortzuwerfen und mich für alle Zeiten an diese Hexe von Canderre zu binden. Ist das klar, Edactor?« Er ergriff die Klinke und zog die schwere Tür auf, deren eiserne Angeln ein nachdrückliches Kreischen ausstießen. »Finde diese Frau und ...«

Er hielt inne. Beim letzten Wort brach seine Stimme wie die eines Jugendlichen. Vor der Tür stand ein zitterndes kleines Mädchen in einem aufgeplusterten weißen Kleid und mit Blumen in den Haaren. Sie war eine von Madeleines Mägden und brachte ihm das traditionelle Bräutigamsmahl. Das Tablett war beladen mit Torten, dampfendem Tee, frischem Haferbrei und duftenden Würsten. Das Bräutigamsmahl wurde üblicherweise von der Braut am Morgen der Hochzeit selbst zubereitet und war ein Versprechen auf die zukünftigen Mahlzeiten, die sie als Ehefrau kochen würde, doch zweifellos hatte Madeleine lediglich angeordnet, dass es von den Palastdienern gekocht werden solle. Das konnte Tristan ihr kaum zum Vorwurf machen. Er hatte dasselbe mit den Blumen gemacht, die er eigentlich mit eigener Hand hätte pflücken und ihr als Bräutigam übergeben müssen. Er sah das Mädchen angeekelt an und hustete.