»Finde diese Frau, Edactor, und wenn es dir gelungen ist, danke Madeleine für dieses wunderbare Frühstück. Sage ihr, dass ihr ergebener Bräutigam seine Liebste vor dem Feueraltar in der Basilika erwartet.«
Ashe war beinahe am nordwestlichen Tor Bethanias angekommen, als er ein seltsames Zittern auf der Haut verspürte.
Die Sonne erklomm soeben den Horizont, beleuchtete sein Gesicht, erhellte den Weg vor ihm und warf seinen grotesk verlängerten Schatten nach hinten. Vor ihm erhoben sich die Türme von Bethania in den Himmel, um die aufgehende Sonne zu begrüßen; sie glänzten vor Verheißung. In der Tiefe dieser Straßen, hinter der Stadtmauer, wartete Rhapsody auf ihn. Es war ein heimliches Treffen, das sie bereits im vergangenen Herbst geplant hatten. Er bemühte sich, seine freudige Erregung im Zaum zu halten. Die Schmerzen, die ihm früher andauernd Brust und Leib durchbohrt hatten, waren fort. Freude lag im Einatmen der frischen, kalten Luft Freude am Leben, zum ersten Mal seit seiner Kindheit.
Doch jetzt, kaum eine Meile vom nordwestlichen Tor entfernt, knisterte etwas in der Luft hinter ihm und weckte den Drachen in ihm.
Ashe zügelte den Wallach, den er vom Schlachtfeld auf den Krevensfeldern mitgenommen hatte, drehte sich um, schmeckte den Wind und erlaubte seiner Drachennatur ein tieferes Erspüren. Am äußersten Rand seines Bewusstseins fühlte er verstohlene Bewegungen. Dunkle Schatten, verlängert wie sein eigener unter der Morgensonne, krochen von jenseits des westlichen Phon-Ufers heran. Auch wenn der Drache alle Einzelheiten der Welt in seiner Umgebung deutlich spürte, konnte Ashe nicht in die Herzen der Menschen blicken. Doch er zweifelte nicht daran, dass seine unheilvollen Vorahnungen berechtigt waren.
Schwarze Wut zuckte durch seine Gedanken und hallte in seinem ganzen Körper wider. Ein weiterer Einfall, eine weitere Machenschaft des F’dor. Ein weiterer Angriff, der es dem Dämon unzweifelhaft erlauben würde, die Arglosen zu überraschen und unschuldiges Blut zu vergießen. Er war es gewohnt, solche Einfälle zunichte zu machen.
Nicht aber dann, wenn die Frau, die er liebte und die von ihm eine scheinbare Ewigkeit getrennt gewesen war, sich ganz in der Nähe befand. Sein Verlangen, Rhapsody in ihrer Hochzeitsgarderobe zu sehen, war in den letzten Monaten das Einzige gewesen, das ihn vom Wahnsinn ferngehalten hatte.
Ashe sah zurück auf die erwachende Stadt, die in der Morgendämmerung zum Licht fand. Er brummte eine Reihe hässlicher Flüche, zerrte an den Zügeln, wandte sich wieder nach Westen und ritt auf Bethania im strahlenden Licht des Tagesanbruchs zu, das nun längere, zornigere Schatten vor ihm warf.
Allmählich verzweifelte Rhapsody. Die große Uhr im Glockenturm des Herrscherpalastes hatte schon zweimal die Viertelstunde geschlagen, seit sie an der Straßenecke stand und versuchte, eine vorbeifahrende Kutsche anzuhalten. Sie hatte den ganzen Nachmittag über vorsichtig aus dem Gitterfenster der verlassenen Zisterne gespäht und dabei festgestellt, dass in geringen zeitlichen Abständen Kutschen vorbeifuhren, deren Fahrer nach Kundschaft riefen. Jetzt aber lagen die Straßen des nördlichen Bethania verlassen da. Alle Bewohner waren entweder in der Palasthalle und bereiteten sich auf die Hochzeit vor, oder sie standen vor der Feuerbasilika und hofften, einen Blick auf das königliche Paar zu erhaschen. Zweifellos wurde augenblicklich jede verfügbare Kutsche dazu benutzt, die geladenen Gäste von Tannenhall zur Basilika zu fahren, auch wenn diese nur wenige Straßen entfernt lag. Enttäuscht stampfte sie mit dem Fuß auf. Wie dumm war es von ihr gewesen, die Annehmlichkeiten und die räumliche Nähe eines Gästehauses gegen eine einsame Nacht in einer steinernen Zisterne einzutauschen. Ashe war nicht gekommen. Sie hatte die Nacht damit verbracht, bei Kerzenschein Sonette in ihr zerfleddertes Sudelbuch zu schreiben und ihr Herz davon abzuhalten, sie zu verraten. Bei Sonnenaufgang hatte sie es aufgegeben, einschlafen zu wollen, und war zum nördlichen Brunnen gegangen. Sie hatte Wasser geholt und sich gewaschen, bevor sie sich zur Hochzeit umgezogen hatte. Der Platz, auf dem der Brunnen stand, war von zänkischen Männern und Frauen, kreischenden und vor Aufregung über die Hochzeit wie verrückt herumrennenden Kindern überfüllt gewesen. Es war einfach gewesen, herzukommen und wieder zu gehen, ohne dass jemand sie bemerkte.
Nun war sie angezogen und fertig, wusste aber nicht, wie sie zur Hochzeit kommen sollte. Das Kleid aus steifer Amethystseide war wundervoll; sie hatte sich in der vergangenen Nacht an der Berührung des Stoffes erfreut und war mit den Händen an ihm auf und ab gefahren, um alle Falten zu glätten, die sich auf dem Weg in ihr Versteck gebildet hatten. Im Morgenlicht war die Farbe sogar noch wunderbarer dunkel und voll und genau zu dem glitzernden Schmuck passend, den sie dafür gekauft hatte. Ihre Schuhe aus Satin in der Farbe des Kleides würden den langen Weg zur Basilika durch den dreckigen Schnee auf dem Straßenpflaster nie überstehen. Und ihrem Kleid würde es auch nicht besser ergehen.
Sie schaute nervös die leere Straße hinauf und hinunter und fragte sich, ob ihre Einkäufe und ihre Vorbereitungen, ja diese gesamte Reise nach Bethania zwecklos gewesen waren. In diesem Augenblick hörte sie in der Ferne das Klappern von Pferdehufen.
Einen Augenblick später umrundete der Karren eines Kesselflickers eine nahe Straßenecke. Ein alter Maulesel, dessen geflecktes Fell unter der zerfetzten Decke sichtbar war, stapfte langsam und mit Scheuklappen versehen durch die gepflasterten Straßen und zog einen wackeligen Wagen voller Nachttöpfe, Bratpfannen, matter Öllampen und einem Dutzend anderer Metallgegenstände, die in einer stillen Kakophonie gegeneinander schlugen. Rhapsody kicherte.
»Entschuldigung«, sagte sie zu dem ergrauten Kesselflicker, als der Karren näher kam. »Mein Herr, dürfte ich bitte auf Eurem Wagen mitfahren? Ich muss zur königlichen Hochzeit.«
Der Mann, der eine Klappe über einem Auge trug, drehte sich um und starrte sie an. Offenbar war der Anblick eines Hochzeitsgastes in Kleid und Samtmantel sehr verwirrend, und einen Moment lang war das Erstaunen im Gesicht des Mannes so übermächtig, dass Rhapsody schon befürchtete, er könne vom Bock fallen. Die Zügel fielen ihm aus den Händen, und das Maultier, das die neue Freiheit spürte, blieb langsam stehen.
Rhapsody raffte die Röcke, eilte über die Straße und kletterte geschickt auf den Wagen neben den Kesselflicker.
»Vielen Dank«, sagte sie erleichtert. »Ich hatte schon befürchtet, ich würde die Feier verpassen.«
Der Mann nickte verständnislos und starrte sie immer noch mit seinem einen Auge an. Rhapsody wartete kurz, nahm dann die Zügel auf und drückte sie dem Kesselflicker sanft in die Hand.
»Können wir jetzt weiterfahren?«, fragte sie höflich.
Der Mann räusperte sich nervös, und das Maultier, das die Zügel nun wieder spürte, trottete vorwärts. Mit klappernden Waren rumpelte der Wagen auf den Herrscherpalast und die Feuer-Basilika zu.
47
Der zeremonielle Vorbeizug der Adligen hatte gerade begonnen, als Rhapsody zu ihrem Sitz neben Rial im zweitinnersten Ring der runden Basilika eilte. Die Menschenmenge, die nun den gesamten zentralen Platz Bethanias füllte und sich durch die Straßen bis nach Tannenhall ergoss, murmelte vor Erregung, schob und drängelte, um einen besseren Blick auf die Hochzeitsgesellschaft zu erhaschen.
Nacheinander kamen die Herzöge jeder orlandischen Provinz sowie die unwichtigeren Adligen, deren Linie für Roland eine historische Bedeutung hatte, über einen leuchtenden Teppich aus Königspurpur herunter, der den Südgang zum Tempel bedeckte. Ein ähnlicher Teppich schmückte den nördlichen Zugang und endete in der Mitte der runden Basilika. Jeder Stein in den Flammenmosaiken, welche das Äußere des runden Gebäudes schmückten und ihm das Aussehen der Sonne verliehen, waren auf Hochglanz poliert worden. Bei jedem vorüberflanierenden Adligen brach die Menge in Jubelrufe aus.