Als der Seligpreiser dasselbe von Madeleine verlangte und erhielt, sah sich Rhapsody um und suchte Ashe. Obwohl sie sich nicht bei der Zisterne getroffen hatten, hoffte sie, er werde ihr auf der Hochzeit begegnen. Ob er sich jetzt irgendwo in der Menge befand, war unmöglich herauszufinden, vor allem da ihn sein Nebelumhang vor den Blicken gewöhnlicher Menschen verbarg. Sie seufzte, lehnte sich zurück und beobachtete weiter die Zeremonie.
Der Ruf des reinen Feuerelements aus der Quelle drang ihr ins Ohr. Musik lag in den Flammen eine Musik, die süßer war als die Weisen des Orchesters, das in der Basilika spielte.
Wie lange sie gedöst hatte, wusste sie nicht, aber bei den nächsten Worten des Seligpreisers war sie plötzlich wieder hellwach.
»Das Gelöbnis des Feldes«, sagte er. Die Stimme war eine trockenere, klarere Version seines Bruders. Tristan drehte sich um und nickte seiner Dienerschaft zu, Madeleine tat dasselbe. Rasch wurden je eine Truhe geöffnet und zwei Pergamentschriften Braut und Bräutigam übergeben. Dabei handelte es sich um eine Karte der Besitztümer. Sie legten die beiden Karten auf den Altar und setzten sie zusammen, um damit die Einheit ihrer Ländereien zu dokumentieren.
»Das Gelöbnis des Vermögens«, sagte der Seligpreiser.
Die Truhen wurden erneut geöffnet und zwei große, mit schweren Juwelen besetzte Halsketten hervorgeholt. Bei den Steinen in der Staatskette von Bethania handelte es sich um Diamanten und Rubine, während das königliche Halsband von Canderre aus Smaragden bestand, die so grün wie die Felder dieser Provinz waren.
Der Seligpreiser nahm das Halsband von Canderre und legte es vorsichtig Tristan Steward um den Hals, der sich dabei verneigte. Dann verfuhr er bei Madeleine mit dem Halsband von Bethania auf dieselbe Weise; auch sie verneigte sich.
»Da haben wir’s. Mit einem einfachen Austausch von Landkarten und Schmuckstücken wurde soeben das Schicksal zweier Länder besiegelt«, sagte Rial gelassen. »Die Leute aus den Provinzen schwören durch die Adligen, denen ihr Land gehört, nicht einer Person, sondern einem Halsband ihre Treue einer Juwelenkette, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, ohne dass auf die Weisheit ihrer Träger geachtet würde. Tristan hat gerade nicht nur das Gelöbnis seiner Frau, sondern auch aller Einwohner ihres Landes erhalten, bloß weil sie ihm ein Halsband geschenkt hat. Ich finde das seltsam.«
Llauron nickte. »Zu früheren Zeiten wurden der Herr und die Herrin immer durch die Menschen selbst auf dem großen Gerichtshof bestätigt. Das Land, auf dem das Konzil stattfand, war magisch; es hatte die Macht, die Bestätigungen der Menschen zu zählen und den Anspruch auf den Thron entweder zu bejahen oder zu verneinen. Aber wie bei fast allem aus jenen Tagen ist auch diese Bedeutung verloren gegangen. Es war so wie bei der Religion des Patriarchen, wo der Einzelne zu Vermittlern betet; diese wiederum wenden sich an höher stehende Vermittler, diese an die Seligsprecher und diese an den Patriarchen, der allein das Recht hat, zu ihrem Gott zu beten.«
Rhapsody erwiderte nichts darauf. Sie war als Bauernmädchen in einem Dorf aufgewachsen und hatte noch nie die politischen Gepflogenheiten eines Landes aus der Nähe beobachtet. Daher überraschte sie keines der Rituale anlässlich dieser Machtübergabe. So etwas hatte schon immer jenseits ihres Verständnisses gelegen. Sie erinnerte sich daran, dass ihre Mutter als Lirin unter Menschen dasselbe gesagt hatte wie Rial.
»Das Gelöbnis der Familie«, fuhr der Seligpreiser fort.
Ein erregtes Murmeln brandete durch die Menge. An jedem Ende des mit Teppichen belegten Ganges erschien ein Soldat, gekleidet in die Uniformen von Canderre und Bethania. Die beiden Männer zogen gleichzeitig das Schwert und schritten den Gang hinab, während sie das Paar grüßten.
»Was geschieht jetzt?«, flüsterte Rhapsody Rial zu. Der Oberste Schutzherr neigte den Kopf in Richtung des Altars.
»Das Siegel des Blutes«, sagte er.
Die kleinen Pagen griffen wieder in die hölzernen Truhen und zogen weiße Leinenlaken in der Form großer Taschentücher hervor.
»Ich glaube nicht, dass ich mir das ansehen will«, meinte Rhapsody.
»Wie du bemerkt haben wirst, hält die Menge das für den besten Teil des Ganzen«, sagte Llauron, während das Paar die Handgelenke entblößte. »Es wäre sehr angemessen, wenn die Braut dabei ohnmächtig wird.«
Rial sah besorgt aus. »Wenn es dich wirklich zu sehr aufregt, begleite ich dich hinaus«, bot er an.
Rhapsody zog eine Grimasse, als das Hochzeitspaar die Handgelenke über die reglosen Klingen der Soldaten zog und sie dann zusammenpresste.
»Der Anblick von Blut macht mir nichts aus. Aber das soll eine Hochzeit sein?« Sie sah verblüfft zu, als sich Madeleine gelassen das Handgelenk mit dem Leinentuch abwischte, das ihr Page ihr hinhielt, und dann theatralisch zu Boden sank.
»Das ist ein Symbol für die Vereinigung des königlichen Blutes und das Gelöbnis, die Zukunft mit der Zeugung von Kindern zu segnen«, erklärte Rial. »Vor fünfzehn Jahren habe ich die Hochzeit von Herzog Stephen in Navarne gesehen. Er und seine Frau haben sich stattdessen geküsst. Ich wette, das tun die meisten Paare patrizianischen Glaubens. Vielleicht will der Fürst von Roland sicherstellen, dass er eine große Nachkommenschaft haben wird.«
»Madeleines und Tristans Kinder nun, das ist ein netter Gedanke«, murmelte Llauron, als der Herr von Roland seine Frau vom Boden der Basilika aufhob. Rial kicherte.
Rhapsody schüttelte den Kopf. »Ihr beiden seid schlimmer als alte Fischweiber. Ehrlich.«
»Beim Feuer, es ist vollbracht«, erklärte der Seligpreiser. Dem frisch verheirateten Paar wurde ein Messingstab mit einem langen Docht daran übergeben. Gemeinsam hielten sie ihn in das Feuer des Altars und entzündeten dann eine Schale mit Öl am Ende eines Kanals, der bis zum Dach der Basilika lief. Blitzartig sprang eine Flamme auf, verbreitete sich durch den Kanal bis zur runden Decke des Tempels und loderte in einer silbernen Pfanne höher auf als eine menschliche Gestalt. Als die Menge jubelte, winkte das königliche Paar und gab sich unter dem brennenden Bild der Sonne die Hand.
»Jetzt wird es viele Vergnügungen geben, die leider von langen und gewichtigen Reden getrübt werden«, sagte Llauron und drehte sich zum Palast um, auf dem die Flaggen von Bethania und Canderre in der steifen Winterbrise flatterten. Er wandte sich wieder an Rhapsody und lächelte herzlich.
»Ich hoffe, meine Liebe, du wirst deinen alten Lehrer mit einem oder zwei Tänzen erfreuen.«
Es war schwer, der Wärme in seiner Stimme zu widerstehen
48
Ashe bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Seine Wunden stachen ihm in Haut und Lunge. Es war nicht mehr weit bis zu dem Zimmer in der verlassenen Zisterne, und er betete darum, Rhapsody möge sich an diesen Treffpunkt erinnern. Er hatte sie in der Hochzeitshalle und der Basilika von Bethania gesucht. Vielleicht hatte sie ihren Plan vergessen, sich heimlich mit ihm auf der Hochzeit zu treffen. Wenn es wirklich so war, würde er es nicht ertragen können. Die Häscher des Dämons waren keine Soldaten, sondern Dorfbewohner gewesen, Schmiede und Fuhrleute, eine besonders schwer zu bekämpfende Gruppe, denn er wollte keine unschuldigen Bürger töten. Sie hatten sich mit ihm an der Brücke über den Phon einen erbitterten Kampf geliefert, denn sie hatten den Fluss unbedingt überqueren und er sie davon abhalten wollen. Er hatte gesiegt, aber um einen hohen Preis.
Er öffnete müde die Tür und lächelte. Sie war da, saß in dem alten Sessel mit den zerschlissenen Lehnen, und trug noch ihren Hochzeitsputz. Ihr Kleid hatte die Farbe von rauchigem Amethyst und sich um sie gebauscht, während sie schlief. Das goldene Haar bildete einen Wirbel über ihrem Kopf und fiel allmählich nieder.
Einer ihrer Schuhe war unter ihrem kleinen nackten Fuß zu Boden gefallen. Um den Hals trug sie eine enge Kette: ein großer Amethyst von derselben Farbe wie ihr Kleid, der von kleinen Perlen umgeben war und von drei Strängen aus milchig weißen Perlen gehalten wurde. In ihrem Schoß lagen ein Paar Ohrringe und zwei zerknitterte Handschuhe.