Er sah sie schweigend an und sog ihren Anblick in sich auf.
Verlangen und ein Gefühl von Leere überkamen ihn so heftig, wie er es vor ihrem Eintritt in sein Leben nie gespürt hatte.
Als er endlich begriff, dass sie tatsächlich da war und auf ihn wartete, verschwanden seine Schmerzen. Er eilte auf sie zu, hob sie vorsichtig aus dem Sessel, drückte sie an seine Brust und fuhr ihr mit den Lippen über Gesicht und Haare. Er atmete ihren Duft ein und schwelgte in ihrer Weichheit, als sie sich in seinen Armen regte und lächelnd erwachte.
»Ich habe dich vermisst«, sagte sie und strahlte ihn auf eine Weise an, die ihm immer wieder bis in die Seele fuhr. »Hat man dir aufgelauert?«
Er trug sie zum Bett und legte sie darauf nieder. Sie sah, dass es ihn unerwartet große Mühe kostete.
»Ashe?«, fragte sie mit Besorgnis im Blick. »Was ist los? Bist du verletzt?«
»Nicht der Rede wert«, sagte er, setzte sich neben sie und nahm sie wieder in den Arm. Aber ihr Blick verdüsterte sich vor Sorge. Sie fuhr ihm mit den Händen über die Brust und suchte nach Anzeichen für eine Verletzung. Sanft öffnete sie sein Hemd und keuchte vor Entsetzen auf, als sie die Schnittwunden und Quetschungen sah, die bereits allmählich verheilten.
»Was ist passiert?«, fragte sie erschüttert, zog ihm das Hemd ganz aus und befreite sich aus seiner Umarmung, damit sie ihn eingehender untersuchen konnte.
»Bitte bleib ganz dicht bei mir«, sagte er und versuchte, das Gesicht nicht vor Schmerzen zu verziehen. »Ich muss dich festhalten. Es geht mir gut. Bitte umarme mich nur bitte.«
Vorsichtig schlang sie die Arme um ihn, wobei sie versuchte, seine wunden Stellen nicht zu berühren. »Ich hoffe, du machst dir das nicht zur Gewohnheit«, sagte sie mit einer Spur Humor in der Stimme. »Ich habe wirklich Besseres zu tun, als mich andauernd um deinen verwundeten Brustkorb zu kümmern.«
Seine Antwort bestand aus einem langen, tiefen Seufzer. Er legte den Kopf auf ihre Schulter. Das Glücksgefühl, wieder in ihren Armen zu liegen, überwältigte ihn. Sie streichelte seine Haare und summte eine wortlose Melodie, die seine Kopfschmerzen vertrieb und dazu führte, dass der pochende Schmerz in seinen Wunden verging. Sanft rieb sie seine Schultermuskeln und verschaffte so seinem Körper und seiner Seele Erleichterung.
Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch als er aufwachte, lag er auf dem Bett mit dem Kopf in ihrem Schoß, während sie noch immer leise Worte sang, die er nur selten verstand. Er drehte sich auf den Rücken und sah sie an. Wenn ihr Bild auf dem Kopf stand, war sie genauso schön. Nun stemmte sich ihr Haar gegen seine Fesseln und drohte ihr jeden Augenblick auf die Schultern zu fallen.
Ashe begab sich nie leichtfertig in Gefahr, doch jetzt streckte er die Hand aus und löste vorsichtig den juwelenbesetzten Verschluss in ihrem Nacken. Er lächelte, als ihr die goldene Seide um den Hals und bis zur Hüfte fiel. Er blinzelte erstaunt; diese Bewegung war für ihn mühelos und ohne jeden Schmerz gewesen, als wäre er nie verletzt gewesen. Außerdem waren die wunderbaren Locken, die er so liebte und mit denen er sehr vertraut geworden war, weitaus länger als noch vor einigen Monaten, als er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Wenn Rhapsody gestanden hätte, wären ihr die Haare bis in die Kniekehlen gefallen.
»Was ist denn das?«, fragte er und hielt verwirrt eine lange Locke in der Hand.
»Ich glaube, in deiner Sprache nennt man es für gewöhnlich ›Haare‹«, erwiderte Rhapsody schalkhaft. »Benötigst du weitere Informationen? Zum Beispieclass="underline" Wo du bist, welches Jahr wir haben, wie dein richtiger Name lautet? Die ersten beiden Fragen kann ich beantworten, aber für die dritte habe ich nicht genug Zeit; ihre Beantwortung wäre länger als die meisten zwölfversigen Märchen.«
Ashe richtete sich auf und sah sie an. Seine Drachensinne strichen über sie. Er spürte die Reste von Schmerz in ihrem Körper; es war wie eine Reihe von fast verheilten Wunden. Entsetzt riss er ihr Leibchen auf. Grauen huschte über sein Gesicht, als er sah, wie sich seine eigenen Verletzungen auf ihrem Körper spiegelten. Sie waren zu einem schwachen Rosa verblasst, als würden sie bald verschwinden.
»Gute Götter, Rhapsody! Was hast du getan?«, wollte er wissen. Seine Stimme war erstickt von Entsetzen. Rhapsody sah ihn an und drückte seine Hände weg. Rasch zog sie das steife Leibchen wieder an.
»Entschuldige bitte«, meinte sie in verärgertem Tonfall. »Könntest du mir wenigstens erst einen Blumenstrauß schicken? Was bin ich deiner Meinung nach bloß für ein Mädchen?«
»Auf alle Fälle ein verwegenes«, antwortete er und berührte den Rand der Wunde, die über ihrem Ausschnitt hervorlugte. »Wie ist das passiert?«
»Das ist ein neues Kunststück, das ich vor kurzem gelernt habe«, erwiderte sie und drückte seine Finger wieder weg. »Halt deine Hände bei dir.«
»Ein neues Kunststück? Heilung anderer durch eigenes Leiden?«
»Praktisch, nicht wahr?«
»Du bist krank«, sagte er und beruhigte sich ein wenig, als er feststellte, dass dieses neue Kunststückchen sie nicht wirklich gefährdet hatte. »Weißt du nicht, wie du diese Wunden bekommen hast und wie ernst sie waren?«
»Nein«, gab sie zu, stand vom Bett auf und bürstete ihre Hose. Die Haare flössen ihr den Rücken herab. »Aber das ist egal. Fühlst du dich jetzt besser?«
Ashe erhob sich und folgte ihr. Er packte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich um. Er sah auf seine Frau hinunter auf die Frau, die ihn nur als früheren Liebhaber betrachtete , und eine Welle der Zärtlichkeit überspülte ihn. Sie gab ihm wie immer den Vorzug, selbstlos wie sie war. Er beugte sich hinunter und wollte sie küssen, doch sie wich vor ihm zurück und wandte sich ab. Sie ging quer durch den Raum zu seinem Sessel und hob ihre verstreuten Habseligkeiten auf.
»Ja«, sagte er ermunternd und hoffte, sie damit zu sich zurückzuholen. »Gute Götter, Rhapsody, die Erinnerung an dich ist wunderbar, kommt aber an die Wirklichkeit nicht heran. Was ist mit deinen Haaren geschehen?«
»Sie sind gewachsen«, meinte sie nur, faltete die Handschuhe und legte die Ohrringe auf den Tisch. »Das erzähle ich dir später. Wieso bist du verletzt worden?«
»Ich bin in eine Gruppe bethanischer Dörfler geraten, die unter dämonischem Einfluss standen und unterwegs zur Hochzeit waren. Sie hatten wohl vor, einigen Gästen aufzulauern. Ich war der Meinung, es sei nicht falsch, ihre Pläne in letzter Minute ein wenig zu ändern«, antwortete er und rieb sich dabei geistesabwesend die Schulter. »Durch reinen Zufall war der Phon über die Ufer getreten, sodass sie bis zur Hüfte im Schlamm feststeckten. Ich wünschte, ich hätte Kirsdarkes Macht eingesetzt, bevor sie mich durchgeprügelt haben. Falls ihr Befehl lautete, die Hochzeit zu stören, hoffe ich, dass der Bann des F’dor nun von ihnen genommen ist, denn die Zeremonie ist schließlich vorbei. Wie war sie übrigens?«
Rhapsody zog sich gerade die Schuhe an. Seine Frage brachte sie in Aufruhr; sie schwankte auf den Absätzen und wäre beinahe wie ein Kind umgekippt, das gerade laufen lernt.
»Oh, es war wunderbar«, sagte sie mit glühendem Gesicht. »So viele Kerzen und so schöne Musik; und das Brautpaar sah so hübsch aus. Und der Ballsaal war mit den besten Kleidern gefüllt, die ich je an einem Ort versammelt gesehen habe. Es war ganz anders als bei den Hochzeiten, an denen ich bisher teilgenommen habe. Es tut mir Leid, dass du nicht da warst; ich glaube, du hättest es genossen.«
»Da bin ich mir sicher«, sagte er und beobachtete, wie die Erinnerungen durch ihre Augen tanzten, die wie Sonnenlicht auf dem Wasser glitzerten.
»Das Hochzeitskleid muss unglaublich schwer gewesen sein. Es hatte eine Schleppe, die eine ganze Meile lang war. Während man ihr noch durch den Mittelgang der Basilika folgte, stand die Braut schon am Altar des Feuers. Ich muss zugeben, dass ich so etwas niemals tragen wollte. Ich wette, morgen schmerzt ihr der Rücken.« Sie kicherte hämisch. »Es ist jedenfalls schade, dass du es verpasst hast. Sie war sicherlich die schönste Braut, die du je in deinem Leben hättest sehen können.«