Ashe lächelte zusammen mit ihr und spürte ihre Freude. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte er zärtlich und dachte an einen Augenblick, an den sie sich nicht erinnern konnte. Sie ging zum Alkoven und holte einen Weidenkorb mit einem Deckel hervor. »Bist du hungrig? Magst du vielleicht etwas essen?«
Ashe dachte darüber nach. »Ja«, sagte er. »Ich glaube, ich könnte etwas gebrauchen.«
»Bitte bediene dich«, meinte sie, während sie den Deckel abnahm und ihm den Korb hinhielt.
»Hier haben wir ein wenig kalten Schinken und Früchte und eine Flasche von Achmeds bestem Wein bitte keine hämischen Kommentare, er ist wirklich nicht schlecht.«
»Ich wäre niemals so undankbar und würde eine beleidigende Bemerkung über etwas machen, das du mir gibst«, sagte er, nahm ihr den Korb ab und stellte ihn auf den kleinen Tisch in der Ecke. »Was ist mit dir? Worauf hast du Appetit?«
»Nur auf etwas Wein und Brot, bitte«, antwortete Rhapsody und setzte sich wieder in den abgeschabten Sessel. »Ich habe auf der Hochzeit peinlich viel gegessen.«
»Das hätte ich gern gesehen.« Er stellte ihnen ein Essen zusammen und reichte ihr mit einer militärischen Verbeugung ein Glas Wein. »Wie fühlst du dich? Sind die Wunden inzwischen verschwunden?«
Rhapsody spähte unter ihr Leibchen. »Alle weg.«
»Beweise es mir«, meinte Ashe neckisch.
Sie lächelte ihn an, kam seinem Wunsch aber nicht nach. Stattdessen nahm sie einen großen Schluck Wein. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Korb, denn er wusste, dass der Abstand, den sie zu ihm hielt, aus ihrem Glauben erwuchs, ihre Liebesbeziehung sei zu Ende. Dafür verfluchte er still seinen Vater und Großvater ein weiteres Mal.
»Wieso ist dein Haar so schnell gewachsen?«, fragte er, als er mit seinem Teller auf dem Bett saß.
Rhapsody nahm einen weiteren Schluck und senkte dann das Glas. »Eigentlich ist es gar nicht schnell gewachsen«, sagte sie. Ihr Blick verdunkelte sich. »Ich werde dir alles darüber berichten, aber es hat mit einer anderen Sache zu tun, über die ich mit dir reden muss. Ich weiß nicht, ob es ein Gespräch nach deinem Geschmack ist. Falls du noch ein wenig Ruhe haben willst, sollten wir etwas warten. Wenn wir es hinter uns haben, muss ich gehen. Morgen unternehme ich mit deinem Vater eine kleine Reise.«
Ashes Herz klopfte schneller. »Morgen? Du begleitest ihn morgen?«
»Ja«, erwiderte sie. »Llauron und ich haben uns auf der Hochzeit getroffen. Wir reisen den Cymrerweg entlang zu den Orten, wo die Erste Flotte an Land gegangen ist. Das sollte sehr aufschlussreich sein.«
Ashes Appetit verschwand. »Das ist zu schnell«, sagte er und stellte den Teller auf den Tisch.
»Du bist noch nicht in der Verfassung, mit Llauron über Land zu reisen, Rhapsody. Du hast erst vor kurzem Jo verloren. Du trauerst und bist ernsthaft verwundet worden. Du solltest einige Zeit in Elysian verbringen und dich auskurieren.«
Rhapsody lächelte und fuhr mit dem Finger am Rand ihres Weinglases entlang. Ein leiser, melodischer Ton erklang. Sie begleitete ihn mit ihrem Gesang, einem Lied ohne Worte, und schickte ihn nach ihrem Willen durch den Raum wie einen Diener. Einen Moment später verschwand er. Sie trank den Rest des Weines und stellte das Glas neben seines.
»Ich bin auskuriert, Ashe«, sagte sie sanft und sah ihm in die Augen. »Es ist schon etwa sieben Jahre her.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Ashe. Sein Gesicht verlor jede Farbe. »Wo bist du gewesen, Rhapsody?«
Sie stand auf, kam zum Bett und setzte sich neben ihn. »Ich habe Fürst und Fürstin Rowan besucht«, sagte sie und hielt dabei seinem Blick stand. »Wie du weißt, vergeht dort die Zeit anders als hier. Aus diesem Grund ist mein Haar so lang. Während ich dort war, habe ich Jo gesehen mehrere Male sogar, besonders dann, wenn ich unter den Augen der Fürstin geschlafen habe. Sie ist jetzt glücklich, Ashe, und sie hat mir vergeben. Beim Gedanken an sie habe ich keine Schmerzen mehr, auch wenn ich sie noch vermisse. Ich glaube, ich werde eines Tages bei ihr sein. Fürst Rowan hat mir versprochen, dass er mich holt, wenn er kann.«
Ashe bekämpfte den Drang, sich zu übergeben. »Du bist zu den Rowans gegangen und hast sie tatsächlich gefunden? Gute Götter, Aria, ich hatte keine Ahnung, dass dir die Sache mit Jo so zugesetzt hat. Gewöhnlich nehmen die Rowans keine Gäste auf, es sei denn, es geht um Leben und Tod.«
»Ich weiß«, sagte sie und sah weg. »Aber ich bin nicht wegen Jo oder einer eigenen Krankheit dorthin gegangen. Ich hatte einen anderen Grund. Bevor ich dir davon erzähle, will ich dich fragen, ob du noch an mich glaubst. Ich meine, glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich dich nicht anlüge?«
»Völlig.«
»Das freut mich«, sagte sie und sah ihn wieder an. »Dann musst du mir glauben, wenn ich dir sage, dass sich die Probleme gelöst haben und alles gut werden wird.«
Ashe erzitterte. »Rhapsody, du machst mir Angst. Wovon redest du? Sag es mir, bevor ich einen Herzschlag bekomme.«
Rhapsody ergriff seine Hände, holte tief Luft und sagte mit glänzenden Augen: »Ich habe zehn neue Enkel. Sie sind alle unterschiedlicher Abstammung und nicht gleichaltrig, einschließlich eines Lirin-Kindes, das ich selbst auf die Welt geholt habe. Seine Mutter ist bei der Geburt gestorben.« Sie wartete darauf, dass er ihre Worte in sich aufnahm.
Der Ausdruck auf Ashes Gesicht wandelte sich von Furcht zu Erleichterung. »Bei der Geburt? Die Mutter ist gestorben, aber das Kind lebt? Wie in Manwyns Prophezeiung?«
»Ja.«
Nun atmete Ashe wieder regelmäßig. »Es tut mir sehr Leid, das zu hören«, sagte er und streichelte ihr geistesabwesend die Wange.
»Das war noch nicht der schlimme Teil, Ashe.«
»Was kommt denn noch?«
Rhapsody senkte den Blick. »Diese Kinder haben alle denselben Vater. Sie sind ausnahmslos Nachkommen des F’dor.«
Ashe hörte zu, verstand aber nicht. Auch nach einem Moment des Nachdenkens begriff er noch immer nichts. »Das ist unmöglich. Die Prophezeiung hat gesagt, dass der Dämon nicht den Körper von jemandem bewohnen kann, der Kinder gezeugt oder geboren hat oder dazu in der Lage wäre.«
Rhapsody seufzte und fuhr fort: »Das alles sind Kinder aus Vergewaltigungen, Ashe. Der F’dor hat die Mütter durch die Hilfe des Rakshas geschwängert. Das Blut des Rakshas war sein eigenes, und daher sind es auch seine Nachkommen. Er hat einen Weg gefunden, die Prophezeiung zu umgehen.«
Ashe starrte sie weiter an. Rhapsody spürte ein Summen; es war eine Schwingung, die sie ängstigte; es steckte in den Wänden des Zimmers und in der Luft. Die Sängerin wusste, dass nun der Drache zum Vorschein kam. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und versuchte ihn dazu zu bringen, ihr in die Augen zu sehen.
»Hör mir zu, Gwydion ap Llauron«, befahl sie und setzte ihre Macht als Benennerin ein. Das Summen wurde nicht mehr stärker, blieb aber in der Luft hängen, als sein Gesicht wieder Farbe bekam und das Feuer in die Augen zurückkehrte. »Es mag schrecklich klingen, aber eigentlich ist es sehr gut. Die Kinder haben unsterbliche Seelen, jedes Einzelne von ihnen, weil der Rakshas ein wenig von dir hatte. Ohne dich wären sie rein dämonisch gewesen. Aber deinetwegen werden sie zur Vernichtung des Rakshas beitragen, denn aus ihrem Blut wurde der dämonische Anteil geschieden, mit dem Achmed den F’dor aufspüren kann.«
Ihre Worte kämpften im tiefsten, dunkelsten Teil seiner Seele, der früher einmal die Kraftquelle gewesen war, welche in der eiskalten Gestalt des Rakshas Form angenommen hatte. Die Erinnerung an die Ereignisse, unter denen diese Abscheulichkeit erschaffen worden war, kehrte wie eine Flutwelle zurück; es war eine Reihe so grausamer Taten gewesen, die man nur als Morde bezeichnen konnte. Jede einzelne Scheußlichkeit erfüllte gleichzeitig seinen Geist mit Geschrei und dem Lärm seines eigenen kranken Lachens. Ashe verspürte das Grauen so stark, als beobachtete er die ganzen Vorkommnisse noch einmal aus nächster Nähe. Er entwand sich dem Griff ihrer Hände und schrie auf. Es war ein Brüllen wie ein Erdbeben. Kleine Dinge flogen von dem Nachttisch und der Kommode, und der Korb fiel vom Tisch; sein Inhalt ergoss sich auf den Boden.