Als der Raum unter ihnen und um sie herum erzitterte, warf Rhapsody Ashe die Arme um den Hals und hielt ihn so fest wie möglich. Wellen aus Kraft und Schmerz wurden nun deutlich und umwirbelten die beiden rot und zornig. Sie hing an ihm und fürchtete, sie würde ihn an den Abgrund verlieren, der sich über ihnen bildete. Er klammerte sich an sie, versuchte sie abzuschütteln, doch in seiner Trauer und Wut zerkratzte er ihr nur das Gesicht. Rhapsody blickte über ihre Köpfe in die wirbelnde Finsternis und erbebte. Das Dunkel kam näher und wollte sie gemeinsam in das Vergessen saugen. Sie versuchte, wieder Blickkontakt mit Ashe herzustellen.
»Gwydion! Gwydion ap Llauron, hör mir zu.« Ihre Stimme klang ruhig und stark und schwang im Einklang mit der alten Macht der Musik in ihrer Seele. »Lass los. Lass los.«
Er sah ihr in die Augen; die vertikalen Schlitze seiner Pupillen waren so dünn wie ein Flüstern. Sein Name würde ihn einen Moment lang im Bann halten, dann wollte sie ihn wieder seinem Zorn überlassen. Rhapsody konzentrierte sich darauf, die Schwingungen aufrechtzuerhalten, damit er ihr weiter zuhörte.
»Ich liebe dich«, sagte sie und gebrauchte dabei die Macht des Wahrsprechens. »Ich liebe dich aus ganzer Seele, Gwydion ap Llauron. Ich würde dich nicht belügen, und ich sage dir wahrhaftig, dass alles so richtig ist, wie es ist, auch wenn es dir jetzt Schmerz bereitet. Daraus wird Gutes erwachsen. Bitte, bitte glaube mir.«
Ashe wich ihrem Blick nicht aus, doch sein Gesicht verwandelte sich langsam in das eines Reptils. Er erzitterte unter dem Innersten seines Wesens. Rhapsody wusste, dass der Drache sprungbereit und wütend war, doch was ihn anstachelte, lag jenseits ihres Verstehens. Sie spürte, wie er ihr entglitt, und fasste ihn fester, weil sie versuchen wollte, die Verwandlung nicht geschehen zu lassen.
Es war ein Fehler. Ein durchdringender Schrei quoll aus seinem Mund, der in Raserei weit offen stand, und mit einer Kraft, die sie nie zuvor an ihm bemerkt hatte, machte er sich von ihr los. Er zuckte vor ihr zurück, wand sich heftig und versuchte zu fliehen. Die Gewalt seines Fluchtversuchs schleuderte Rhapsody durch den Raum und gegen die Wand. Sie segelte mit unglaublicher Gewalt durch die Luft, schlug mit einem ekelhaft dumpfen Geräusch gegen die Mauer und sank zu Boden. Kurz bevor sie das Bewusstsein verlor, verfluchte sie ihre Dummheit und betete darum, dass Ashe nicht lostoben und das Land in Schutt und Asche legen würde.
Das Entsetzen über ihren Aufprall bewirkte, dass Ashe inne hielt. Als er sah, was er getan hatte, wurde er ruhiger. Der Drache, der jetzt wieder unter Kontrolle war, erkannte mit Schrecken, dass sein Schatz schlaff auf dem Boden lag und sich nicht mehr bewegte. Die menschliche Seele in ihm geriet in Panik und erkämpfte sich die Vorherrschaft. Er rannte zu ihr und nahm sie zitternd vor Angst in die Arme.
Die wirbelnde Kraft, die den Raum noch einen Augenblick zuvor zerrissen hatte, fiel zusammen wie eine Schneeflocke und sank schimmernd zu Boden, während Ashe Rhapsody auf das Bett legte. Seine Hände bebten vor Sorge. Er ging zu dem Krug auf dem Nachttisch und bespritzte ihr Gesicht mit Wasser, aber es erfolgte keine Reaktion.
Er blieb neben ihr, wurde immer besorgter, streichelte ihr Gesicht und flehte sie an aufzuwachen. Nach einer Zeitspanne, die ihm wie Stunden erschien, jammerte und ächzte sie endlich.
»Rhapsody? Rhapsody, bitte sag etwas. Bitte.«
Sie öffnete ein Auge und sah ihn benommen an.
»Ist dein Wutanfall vorbei?«, fragte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Ashe brach in Tränen aus, die er bisher nicht zu vergießen gewagt hatte. Er beugte den Kopf über sie und weinte, wobei er das Gesicht gegen ihren Bauch drückte.
Rhapsody strich ihm fahrig mit der Hand über den Kopf.
»Ashe«, sagte sie sanft, aber nachdrücklich. »Bitte hör auf damit. Es geht mir gut, und ich verstehe, dass es nicht deine Schuld ist. Außerdem machst du meine Kopfschmerzen nur noch schlimmer und ruinierst mein Kleid.«
»Es tut mir Leid. 0 Götter, es tut mir so Leid ...«
»Nicht«, sagte sie mit etwas stärkerer Stimme. »Bitte nicht. Das ist nicht nötig. Ich wusste, dass es geschehen würde... das konntest du nicht ertragen. Ich war darauf vorbereitet. Aber ich hatte erwartet, du würdest ausschlagen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mich gegen die Wand werfen könntest, weil du mir nicht wehtun wolltest. Ein taktischer Fehler. Es war mein Fehler, dass ich mich genau in diesem Moment an dich geklammert habe.«
»Dein Fehler?«, fragte er ungläubig. »Wie, im Namen des ...«
»Ashe«, unterbrach Rhapsody ihn; sie klang verärgert. »Wir sollten nicht mehr darüber reden. Bitte. Um meinetwillen. Es wird mir gleich besser gehen. Aus diesem Grund habe ich den Wein getrunken. Ich hatte diese Reaktion erwartet. Ich weiß, dass du mich nicht verletzen wolltest. Können wir das Thema damit beenden? Ich will nicht, dass wir unsere letzten gemeinsamen Minuten auf diese Weise verleben. Hilf mir auf.«
Vorsichtig schlang er die Arme um ihre Hüfte, half ihr aufzustehen und spürte dabei den Schaden, den er bei ihr angerichtet hatte. Sie hatte blaue Flecke, aber es war nichts gebrochen. Ihre Schulter schmerzte, doch sie blutete nicht.
Sie humpelte zum Sessel und griff nach dem Krug. Nachdem sie sich ein wenig Wasser ins Gesicht gespritzt und es mit einem Tuch, das er ihr reichte, abgewischt hatte, setzte sie sich, streckte die Hand nach ihm aus und zog ihn zu sich. Er kniete sich vor ihr auf den Boden, damit er auf Augenhöhe mit ihr war. Sein Gesicht war noch angstverzerrt.
»Ich bin in Ordnung«, versicherte sie ihm und streichelte ihm über das Gesicht. »Ich habe nur versucht, dir zu sagen, dass es den Kindern gut geht. Sie sind bei Oelendra, und wenn der F’dor tot ist, werde ich sie zu mir holen. Sie werden geliebt und umsorgt werden und eine weitaus bessere Zukunft haben als früher.«
»Und ihre Mütter? Was ist mit den Frauen geschehen?«
Rhapsody nahm seinen Kopf zwischen die Hände und küsste ihn auf die Stirn. »Die Mütter haben alle ihren Frieden gefunden«, sagte sie, weil sie ihn nicht aufregen, aber auch nicht anlügen wollte. »Aria ... das ist das Neugeborene ... ihre Mutter konnte sie noch halten, bevor sie gehen musste, und ich weiß, dass sie glücklich in das Licht eingegangen ist.«
»Du hast sie Aria genannt?« Sein Gesicht wurde sanfter. Sie sah, wie gerührt er war.
»Es ist wunderbar, so genannt zu werden«, sagte sie und lächelte schwach. »Es ist ein so schöner alter Name, der in dieser Welt verloren gehen würde, wenn niemand ihn gebraucht, und das wäre doch eine Schande, oder etwa nicht?«
Ashes Augen füllten sich erneut mit Tränen. »Ja. Ja, das stimmt.«
»Und wenn du dich fragst, wieso ich dir vergeben kann, dass du mich verletzt hast, findest du die Antwort in dem, was du vorhin gesagt hast. Du weißt, ich bin kein wehrloses Opfer, Ashe. Du hast bereits meine Wut geschmeckt und meine Faust gespürt. Aber du hast gegen mich gewütet, weil der Gedanke an die Schmerzen, die du sehen musstest, dich überwältigt hat. Du hast das Gefühl, daran beteiligt oder vielleicht sogar der Grund dafür gewesen zu sein. Ich habe diese Schmerzen ebenfalls gespürt, auch wenn ich im Gegensatz zu dir nicht dabei war. Es war so schrecklich, dass man es einfach nicht ertragen und dabei geistig gesund bleiben kann.
Du bist ein guter Mann, Ashe. Du musst dich für nichts entschuldigen, weil du nichts falsch gemacht hast. Auch du warst ein Opfer, falls du das vergessen hast. Trotzdem fühlst du dich noch verantwortlich, auch wenn du es nicht bist. Du wirst einen wunderbaren Fürsten der Cymrer abgeben, weil du der Erste mit einem Gewissen sein wirst und auf alle Fälle auch der Erste, der gewillt ist, auf sein Herz zu hören. Erinnerst du dich an das alte lirinsche Sprichwort? Ryle hira. So ist das Leben. Wir können nur versuchen, es besser zu machen; diese Kinder sind ein Teil des Versuchs. Vertrau mir bitte. Die Lage ist unter Kontrolle. Geh jetzt und sei glücklich. Tu, was du tun musst.«