Llauron schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Ich bin sicher, das wird es. Und ich schätze deine Bemühungen, meine Liebe. Vielen Dank.«
Rhapsody nickte und zog die Kapuze über. »Keine Ursache. Jetzt sollten wir uns aber auf den Weg machen. Wir haben noch einen langen Ritt und viel Arbeit vor uns.«
Sie reisten auf dem alten Weg, führten ihre Pferde durch den Wald und hielten manchmal an, um Hinweiszeichen zu betrachten, die völlig überwuchert und zugeschneit waren; selbst die Zeit hatte sie vergessen. Rhapsody hatte den Drachenkrallendolch bei sich; sie benutzte ihn nun, um die Erde abzukratzen und auf diese Weise etwas Gutes damit zu tun.
Die Erinnerung an die Rolle, welche der Dolch in Jos letzten Augenblicken gespielt hatte, war zu stark, um ihn je wieder als Waffe einzusetzen.
Vorsichtig entfernte sie die gefrorenen Unkrautbüschel und Dornen, welche die verschiedenen Gedenktafeln und Steine überwucherten, und bemerkte dabei Llaurons immer wärmer werdendes Lächeln. An jedem Ort sang sie ein beschützendes Lied und rief die Windrosen hervor, die noch unter dem Schnee schliefen, in der Hoffnung, dass der Frühling diesem Ort neue Schönheit schenken möge. Der Weg hatte für sie kaum eine Bedeutung; sie hatte die Cymrer nicht gekannt und sah sie als seltsames und sorgenvolles Volk an, aber es war sehr wichtig für Llauron, wie sie mit seiner Geschichte umging. Daher machte sie nicht den Vorschlag, gleich umzukehren.
Sie überquerten die unsichtbare Grenze nach Navarne, wo viele Wegweiser überwuchert und vernachlässigt waren. »Weißt du, eigentlich bin ich überrascht, dass Herzog Stephen sich nicht besser um diese Zeichen kümmert«, sagte Rhapsody, als sie aufstand und ihren Dolch wegsteckte, nachdem sie sich um den dritten cymrischen Ort in Navarne gekümmert hatte.
»Er ist doch schließlich ein Erforscher der cymrischen Geschichte.«
»Es ist in unserer Zeit schwierig, ein orlandischer Herrscher mit cymrischer Abstammung zu sein«, entgegnete Llauron, beugte sich vor und betrachtete das alte Zeichen. »Das königliche Geblüt wird anerkannt, aber wegen des Krieges und der Gräueltaten Anwyns und Gwylliams ist ein Makel zurückgeblieben. Stephens Verhaltensweise ist in gewisser Hinsicht typisch für viele Cymrer der späteren Generationen. Es ist annehmbar, ein kleines Museum im eigenen Schloss zu haben, doch die übrigen Überbleibsel des cymrischen Erbes bleiben unbeachtet. Aber das wird sich bald ändern, nicht wahr, meine Liebe? Gwydion wird uns allen Grund dazu geben, wieder stolz auf unser Erbe zu sein.«
Rhapsody lächelte, als sie aufstieg. »Ja, dessen bin ich mir sicher.«
In ihrem Versteck in dem südlich gelegenen Wäldchen bedeutete Lark den anderen, still zu sein, und lauschte dann dem Hufgetrappel, das sich allmählich entfernte.
Als sie Llaurons Madarian nicht mehr hören konnte, wandte sie sich an die anderen, die ebenfalls abtrünnige Filiden waren, und nickte.
»Seid Ihr fertig, Mutter?«
Lark nickte erneut.
»Also gut«, meinte Khaddyr und befingerte nervös den Gürtel seines Umhangs. »Folgt ihnen nicht zu dicht. Er muss von der Reise erschöpft sein, klar?« Das zustimmende Nicken zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. »Gut. Wir sollten aufbrechen.«
50
Es dauerte drei Tage, den Weg im Nordwesten Navarnes außerhalb des Gwynwaldes hinter sich zu bringen, denn es handelte sich größtenteils um raues Gelände. Rhapsody bemerkte, wie sehr die Reise Llauron anstrengte. Er hatte in der Nacht neben dem Feuer nicht gut geschlafen und schien sehr anfällig für Kälte zu sein.
Ein leichter Husten hatte sich in seiner Brust festgesetzt, und obwohl Rhapsody ihm alle Kräuter und Tränke gegeben hatte, die sie bei sich führte, schienen sie kaum zu helfen. In jeder der Nächte auf dem Weg hatte sie ihm ein Heillied gesungen, woraufhin sein Zustand sich jedes Mal ein wenig gebessert hatte, doch sobald die Sonne aufging, verfiel er wieder in schwindsüchtiges Husten. Schließlich sprach sie ein Machtwort.
»Llauron, das ist verrückt. Es macht dich krank. Wir müssen uns auf den Heimweg machen. Ich werde im Frühling zurückkommen und mich um die ganzen Tafeln und Zeichen auf dem Weg kümmern; man muss sie sowieso immer wieder säubern.«
»Es gibt nur noch drei in diesem Teil von Navarne, meine Liebe, und sie sind in unserer Nähe. Wir sollten versuchen, bis Mittag mit ihnen fertig zu sein, dann können wir Stephen einen Besuch abstatten. Seine Festung ist mit dem Pferd von hier aus gut zu erreichen, und ich bin sicher, dass er dich gern wieder sehen würde.«
Rhapsody dachte nach und kam zu dem Schluss, dass Llaurons Vorschlag vernünftig war. Er war zu erschöpft, um es bis nach Gwynwald zu schaffen, und Stephen würde sich zweifellos um ihn kümmern und es ihm in Haguefort, seinem Schloss aus rosigbraunem Stein, gemütlich machen.
»In Ordnung«, stimmte sie zu und küsste ihn auf die Wange. »Aber versuch nicht, mich auf dem Weg zu etwas anderem zu überreden. Noch drei, dann ist Schluss. Ich will nicht in den nächsten Sturm kommen, so wie die armen Waldläufer, die du mir zur Hilfe nach Sorbold geschickt hast. Ich will nicht auch noch dich auf dem Gewissen haben.«
»Einverstanden«, sagte der alte Mann, und seine Augen funkelten im Morgenlicht. Sie waren gerade dabei, eine Steintafel mit den Namen der ersten Siedler des westlichen Navarne zu säubern, als Rhapsody einen kalten Schauer aus der Lichtung heranwehen spürte. Llauron hatte hinter ihr gestanden und sie beobachtet, während sie den Stein freigelegt und die Brombeeren zur Seite gebogen hatte. Als sie sich umdrehte, sah sie Khaddyr hinter ihnen auftauchen. Rhapsody erhob sich und stellte sich neben den Fürbitter, als vier Männer und eine Frau hinter Llaurons oberstem Ratgeber die Lichtung betraten. Sie warf Llauron einen raschen Blick zu. Bei der Frau handelte es sich um Lark, Llaurons Kräuterkundige und eine der Hauptpriesterinnen, die Rhapsody unterrichtet hatte.
Der alte Mann zog die Brauen zusammen.
»Khaddyr. Ich war der Meinung, du bist mit den Vorbereitungen der Frühlingssonnenwende beschäftigt.«
Khaddyr nickte, während die Priester den Kreis enger zogen. »Das bin ich, Euer Ehren. Ich kümmere mich darum, dass sie unter der Führung eines neuen Fürbitters gefeiert wird.«
Rhapsody Magen wurde plötzlich so eiskalt wie der Boden unter ihren Stiefeln. »Was soll das heißen?«
»Es heißt, dass er ein altes Ritual des Übergangs vollziehen will, meine Liebe«, sagte Llauron ruhig. »Er fordert mich nach dem Gesetz des Buda Kai heraus.«
Rhapsodys Hand stahl sich zum Griff der Tagessternfanfare. Buda Kai war der filidische Kampf um die Oberherrschaft ein Ritus, der seit den Tagen des cymrischen Krieges nicht mehr vollführt worden war. Llauron war genauso wenig wie sein Vorgänger auf diese Weise zu seiner Stellung gekommen. Das hatte ihr Khaddyr selbst gesagt, als er ihr Lehrer gewesen war. Der Sieger würde der neue Fürbitter sein. Es war ein Kampf auf Leben und Tod.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte sie zu Khaddyr. »Du hast selbst gesagt, es sei ein barbarisches und überholtes Ritual, das niemand mehr begeht.«
Khaddyr lächelte, und Rhapsody erzitterte unwillkürlich. In seinen Augen und hinter der angenehmen Stimme lagen Härte und Grausamkeit.
»Ich sehe, wir beide sind eines Geistes. Du stellst die Monumente der verblassten Glorie eines entehrten Volkes wieder her, während ich einen alten Ritus wieder belebe, weil ich die Ehre einer religiösen Sekte erneuern will, die von einer zerfallenden Bastion derselben Abstammung geführt wird. Wie ironisch. Lark wird meine Sekundantin sein. Es scheint, Llauron hat niemand anderen als dich. Es tut mir Leid, dass du Zeuge dieses Schauspiels bist, meine Liebe. Ich hätte es dir gern erspart.«
»O nein, Khaddyr, ich will es nicht anders«, sagte Rhapsody mit brodelnder Wut in der Stimme. »So kann ich ihm wenigstens beistehen. Du musst zuerst mich besiegen.«
»Entschuldige uns bitte für einen Moment«, sagte Llauron zu Khaddyr, der daraufhin nickte. Der Fürbitter nahm Rhapsody beim Arm und führte sie zwanzig Fuß fort hinter einen Wall aus Birken.