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»Versuche, auf sein linkes Knie zu zielen«, riet sie ihrem Lehrer und bemühte sich, zuversichtlich zu wirken.

»Vielen Dank«, sagte Llauron. Er klang ernst, doch in seinen Augen blitzte es. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe. Alles wird gut. Falls aber doch ein Unglück geschieht, vergiss nicht dein Versprechen, den Scheiterhaufen anzuzünden.«

Rhapsody nickte. Sie spürte, wie hinter ihr Khaddyr und die anderen ihre Positionen einnahmen. »Viel Glück, Llauron«, sagte sie und drückte ihm die Hand. »Wenn du ihn schnell genug tötest, schaffen wir es noch, rechtzeitig zum Abendessen bei Herzog Stephen zu sein.«

Llauron lachte laut auf. Rhapsody sah die verwirrten Blicke von Khaddyr und seinem Gefolge und freute sich im Stillen darüber. Der Fürbitter küsste sie auf die Wange.

»Reiß dich jetzt zusammen; zeig ihnen nicht, dass du Angst hast.« Rhapsody beobachtete ihn, wie er mit dem weißen Eichenstab in der Hand gegenüber Khaddyr Stellung bezog. Er hatte nichts über Ashe gesagt.

Lark übergab Khaddyr ebenfalls einen Stab. Im Gegensatz zu dem glatten, geschliffenen Holz, aus dem Llaurons Stab bestand, der ein Geschenk von Elynsynos an einen seiner Vorgänger gewesen war, handelte es sich bei Khaddyrs Waffe nur um einen dünnen, rauen Zweig von einem Baum, der Rhapsody unbekannt war. Aber irgendetwas an ihm war beunruhigend vertraut, etwas, das sich in ihr Denken bohrte.

Nachdem Lark ihrem Anführer die Waffe ausgehändigt hatte, kehrte sie zum Rand der Lichtung zurück, wo die Sekundanten wachsam warteten. Rhapsody war der Platz vor ihnen gewährt worden.

Als Benennerin erwartete man von ihr, dass sie den Mitgliedern der Kirche sowie dem Staatsoberhaupt, in diesem Fall Stephen Navarne, einen wahrheitsgetreuen Bericht ablieferte. Sie fühlte sich unbehaglich, als Khaddyrs Gefährten einen Halbkreis um sie bildeten, doch falls etwas Unvorhergesehenes eintreten sollte, konnte sie sich ihrer Gegner entledigen, auch wenn sie von ihnen umzingelt war.

Auf Llaurons Signal begannen die beiden filidischen Priester mit dem Kampf. Trotz des fortgeschrittenen Alters war Llauron flink und bewegte sich anscheinend mit derselben Leichtigkeit wie Khaddyr. Der gegnerische Filide war selbst kein junger Mann mehr, und Rhapsody bemerkte, dass für ihn jede Bewegung genauso anstrengend war wie für Llauron. Sie umkreisten einander, hielten die Stäbe bereit und suchten nach Fehlern in der Deckung. Rhapsody sah viele, die die beiden nicht ausnutzten, und kam zu dem Schluss, dass sie ihre Kraft für einen Großangriff oder eine bessere Gelegenheit aufsparten.

Einen Moment später bewies ihr Khaddyr, dass sie den falschen Schluss gezogen hatte. Mit einem beeindruckenden Ausfall schlug er kurz hintereinander dreimal nach Llaurons Waffe, benutzte dabei abwechselnd beide Seiten seines Stabes und zielte beim dritten Angriff auf die Brust des Fürbitters. Llauron wurde voll getroffen und taumelte zurück. Rhapsody keuchte auf. Die Filiden schlössen den Ring enger um sie, da sie wohl befürchteten, die Sängerin könnte ihren Eid brechen. Sie starrte Lark an, und die Filidin trat sofort einen Schritt zurück. Llauron fuhr sich mit der Hand an den Brustkorb und holte mehrfach zitternd Luft, begleitet von einem abgerissenen Husten. Als sich Khaddyr ihm näherte, griff Llauron wieder nach seinem weißen Stab und parierte mit überraschender Schnelligkeit den zweiten Angriff seines Herausforderers. Er trieb Khaddyr zurück, schwang den Stab wie ein Schwert und schlug seinem Gegner damit die Füße weg. Khaddyr schlug hart mit dem Rücken auf dem gefrorenen Boden auf. Ein kleines Blutrinnsal tropfte zwischen seinen Lippen hervor und verteilte rote Flecken auf Llaurons Robe.

Jetzt waren es die Filiden, die aufkeuchten. Diese Laute erregten Rhapsody unerwartet, während sie weiterhin dem Kampf aufmerksam folgte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als Llauron Khaddyr einen heftigen Schlag versetzte. Der jüngere Mann rollte sich auf die Seite, packte seinen Stab und rammte ihn aufrecht neben sich in den Boden. Llauron machte sich bereit, ihn zu töten.

Plötzlich erfüllte ein scheußlicher Gestank die Lichtung. Es war ein Geruch, den Rhapsody schon kannte, aus Sepulvarta und den Kammern des Schlafenden Kindes; vor nicht langer Zeit hatte sie ihn auf der frostweißen Ebene von Orland wahrgenommen. Der Gestank war eindeutig. Die Sängerin riss die brennenden Augen voller Entsetzen auf.

Der Stab, den Khaddyr in die Erde gesteckt hatte, erzitterte. Zuvor war er noch dünn und rau gewesen, doch jetzt bog er sich und rollte sich auf und streckte rasch Fortsätze in Llaurons Richtung aus. Schlangenartige Schlingarme schössen aus dem borkigen Stab, packten den Fürbitter und wickelten sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit um ihn. Sie wanden sich wie Peitschen um seinen Hals, zogen sich zu und entlockten dem alten Mann mit ihrem Todesgriff ein tiefes, hässliches Krächzen. Dornen sprangen aus den Ranken und zerschnitten ihm Arme und Gesicht.

»Nein!«, schrie Rhapsody und stürmte vor. Die Filiden fingen sie sofort wieder ein. Sie hatten auf diesen Augenblick gewartet. Sofort warfen sie Rhapsody zu Boden und zerrten sie aus der Lichtung, während sie vergeblich versuchte, auf Llauron zuzukriechen.

Ihre Feuergabe drängte an die Oberfläche, ihre Haut verbrannte die Hände ihrer Gegner. Lark und die Männer ließen sie los und rieben sich die schmerzenden Hände. Ihre Überraschung gab Rhapsody die Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen. Sie legte die Hand auf die Tagessternfanfare, doch als sie den Griff berührte, schoss ein gewaltiger Schock durch sie hindurch. Das Schwert war in das Gelöbnis einbezogen, sich nicht einzumischen, und es hielt Wort.

Das ganze Grauen beim ersten Kampf mit diesem dämonischen Gewächs des F’dor kehrte zurück. Jos tote Augen schwammen durch ihre Erinnerung. Rhapsodys Blick traf Llaurons, als die Filiden sie wieder packten und auf die Knie zwangen. Sein Gesicht war purpurn angelaufen und zu einer Maske tödlicher Überraschung verzerrt. Der alte Mann öffnete den Mund, als wollte er etwas entgegnen, doch dann schloss er ihn wieder. Er stieß einen letzten Seufzer aus und erschlaffte im Würgegriff der dämonischen Schlingpflanze.

»Nein!«, keuchte Rhapsody; ihre Stimme war kaum mehr als ein raues Flüstern.

Die Filiden ließen sie unsanft los, und sie fiel nach vorn auf den gefrorenen Boden; ihre Hände steckten bis zu den Knöcheln im Schnee. Sie kämpfte sich auf die Beine und rannte in die Mitte der Lichtung, wo Llauron lag und blind in den klaren Winterhimmel starrte. Die Schlingpflanze wurde undeutlich und löste sich in der frischen Brise auf, die mit eisigem Hauch über die Lichtung blies.

Rhapsody sank zu Boden und nahm den Fürbitter in die Arme. Mit zitternder Hand tastete sie unter der wollenen Robe nach seinem Brustkorb, doch sie fand keinen Herzschlag. Seine Pupillen waren geweitet, und tief in ihnen bemerkte sie einen vertikalen Schlitz wie bei seinem Sohn, nur ruhend und fern. Sie hatte dies nie zuvor wahrgenommen. Sanft schloss sie ihm die toten Augen und beugte trauernd den Kopf über ihn.

Nichts außer dem Pfeifen des Windes war auf der Lichtung zu hören. Die Winterbrise wirbelte ihr die Haare um den Kopf. Keine helle Seele trat hervor, um in das Licht aufzusteigen. Rhapsody schnürte es die Kehle vor Grauen zu. Er ist verdammt, dachte sie wehmütig; diese Erkenntnis drehte ihr den Magen um. Die Pflanze hat ihm die Seele geraubt, wie es auch bei Jo gewesen ist. Sie warf einen Blick zurück und sah, dass Khaddyr mit ausdrucklosem Gesicht hinter ihr stand. Er versuchte die Blutung an seiner Lippe mit dem Handrücken zu stillen. Schließlich sagte er:

»Es tut mir Leid, Rhapsody.«

Ihre Augen verengten sich. »Geh weg von ihm.«