Es dauerte eine Weile, bis sie seine Worte aufgenommen hatte. Als sie begriff, spürte es sein Drachensinn, auch wenn ihr Gesicht wiederum keine ihrer Regungen verriet. »Du bist verheiratet.«
Ashe hüstelte. »Ja«, flüsterte er. »Rhapsody ...«
Sie lächelte ihn an; es war ein tapferes Lächeln. Hinter ihren Augen erspürte Ashe keine kleine Explosion; es war, als ob feines Kristall zerplatzte. »Es ist in Ordnung, Ashe«, meinte sie tröstend. »Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Wir haben schließlich beide gewusst, dass es so kommen würde.«
Schließlich fand er seine Stimme wieder. »Rhapsody, es gibt vieles, was du nicht verstehst. Wenn der Dämon tot ist, werde ich dir alles sagen.«
»Das ist weder nötig noch ratsam, Ashe«, sagte sie freundlich. »Du schuldest mir nichts mehr. Du hast es nie getan. Aber du schuldest ihr etwas. Sie hat Anspruch auf deine ganze Aufmerksamkeit. Verschwende sie bitte nicht an mich. Ich brauche sie weder, noch will ich sie haben.«
Er stellte sich so aufrecht hin, wie es ihm möglich war. »Wenn das hier vorbei ist...«
»Wenn das hier vorbei ist, habe ich vor, den cymrischen Rat einzuberufen. Es ist vermutlich das Beste, wenn du ernsthafte Vorbereitungen triffst, um die Regentschaft zu übernehmen, Ashe. Der Rat wird dich zweifellos dazu drängen. Dein Leben wird anders und besser werden.«
»Wenn der Dämon tot und die Ratsversammlung vorbei ist, werde ich dich meiner Frau vorstellen, und dann wirst du es verstehen.«
»Wir werden sehen«, sagte Rhapsody unverbindlich. »Ich bin sicher, dass ich sie früher oder später kennen lernen werde. In der Zwischenzeit gehe ich zurück nach Tyrian. Ich glaube, es wäre gut, wenn ich die verschiedenen lirinschen Gruppen wieder zusammenbringen könnte. Auf deinem Weg zur Ratsversammlung solltest du Halt in Tomingorllo machen. Dort besagt eine Legende, dass die Lirin den cymrischen Herrscher als ihren Regenten anerkennen und sich mit den Cymrern vereinigen werden, wenn es ihm gelingt, die Teile des reinen Diamanten, aus denen nun das Diadem der Lirin besteht, wieder zum Leben zu erwecken. Das wäre gewiss ratsam, wenn du Rassenhass und Grenzstreitigkeiten unterdrücken möchtest.«
Er nickte. »Dann werde ich dich dort treffen.«
»Nein, ich werde schon in Ylorc sein. Sobald ich das Hörn geblasen habe, muss ich in Canrif bleiben, bis der ganze Rat zusammengetreten ist. Ich werde also nicht dort sein, Ashe; es wird für dich und deine Gemahlin nicht peinlich werden.«
Ashe seufzte und sagte einen Moment lang nichts. »Kann ich noch etwas für dich tun, Rhapsody?«
Ein trauriges Lächeln flog über ihr Gesicht. »Ja, ich glaube, da gibt es etwas, das du für mich tun könntest.«
»Was immer es ist, sag es.«
Sie sah ihn nachdenklich an. Der Ausdruck in ihren Augen enthielt weder Wut noch Hass, doch Ashe erzitterte unter der Kälte. Es war ein Blick völliger Resignation.
»Du kannst gehen«, sagte sie nur. »Ich will dich jetzt nicht mehr sehen. Ich will dich nicht mehr sehen, bis der Rat zusammentritt. Und danach will ich dir vielleicht nie wieder begegnen. Ich wünsche dir alles Gute, Ashe; das wünsche ich dir wirklich, und du hast meine besten Wünsche für eine lange und glückliche Ehe, aber bitte geh jetzt.«
Ashes Gesicht wurde länger, als Rhapsody es je bei einem Mann für möglich gehalten hätte.
»Aria, ich ...«
»Hör auf«, sagte sie mit fester Stimme. »Du hast mich gefragt, was du für mich tun kannst, und ich habe es dir gesagt. Es ist mir nicht leicht gefallen. Bitte geh.«
»Ich kann nicht gehen, wenn du so wütend bist, Rhapsody.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch der Ausdruck ihrer Augen änderte sich nicht.
»Warum nicht? Du machst alles nur noch schlimmer. Ich bin immer noch deine Freundin und Verbündete, und wenn du zum Herrscher gewählt wirst, werde ich deine treue Untertanin sein. Wenn du die Cymrer vereinigen willst, werde ich dir auf jede erdenkliche Weise helfen. Aber im Augenblick erinnert mich dein Anblick nur an all die Lügen und Machenschaften, die die Cymrer in ihren schrecklichen Krieg getrieben haben.
Vielleicht liegt es an der Natur deines Volkes, auch wenn ich mir das nicht vorstellen kann. Die Geschichten, die ich über den Seren-König gehört habe, haben stets seine große Wahrheitsliebe und seine Achtung vor der Einheit hervorgehoben. Vielleicht hat es der Dämon allen unmöglich gemacht, ehrlich zu sein, aber irgendwie glaube ich, der Einzige, der alle entschuldigt, bist du. Inzwischen begreife ich, warum Oelendra angeekelt den cymrischen Hof verlassen hat und für immer bei den Lirin leben wollte. Ihr als Volk seid unfähig, die Wahrheit zu sagen, besonders euch selbst gegenüber.« Sie hielt inne, als der betroffene Ausdruck in seinem Gesicht unerträglich für sie wurde.
»Es tut mir sehr Leid, Ashe«, sagte sie. In ihrer Stimme lag Mitgefühl. »Es tut mir Leid, dass du dazu verdammt zu sein scheinst, ein Leben in ständiger Selbsttäuschung führen zu müssen zusätzlich zu der Täuschung durch die anderen.
Achmed hatte Recht. Es war meine Selbsttäuschung anzunehmen, dass es eine hoffnungsvolle Antwort auf dieses ganze Durcheinander gibt. Ich vermute, ich bin eine echte Cymrerin; mögen die Götter mir helfen. Ich wünschte mir, fern von alledem zu sein. Ich weiß, dass ich keine Benennerin sein könnte, wenn ich kein ehrliches Leben führte, aber da das nicht länger meine Berufung ist, möchte ich den Rest meines Lebens wenigstens ehrenhaft hinter mich bringen. Ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, um dir und deinem Vater zu helfen. Jetzt will ich nichts weiter als Frieden. Bitte komm nicht zurück.«
Ashe schluckte die Tränen und die Galle herunter, die wieder in ihm aufstiegen. »Rhapsody, ich hoffe, du weißt, dass ich dich nie verletzen wollte, was immer ich auch getan habe.« Er verstummte, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Dieses Gesicht hatte bei seiner Ankunft unendliche Schmerzen und Sorgen ausgedrückt und war inzwischen zu Ekel und Abscheu übergegangen. Sie hasst mich, dachte er, und einen Moment lang befürchtete er, der Drache in ihm könnte sich erzürnen, doch selbst dieser Teil seiner Seele vermochte ihr nicht das Recht auf ihre Gefühle abzusprechen.
»Was soll ich denn sagen, Ashe? Dass alles in Ordnung ist? Du hast mich verletzt. Ich werde es überleben. Das war das Erste, was Achmed mir beigebracht hat: runter mit dem Kinn, denn man wird dich verprügeln. Erwarte nichts anderes und sei auf der Hut.
Eigentlich ist es meine Schuld. Ich vergesse andauernd, dass der Ausgang unvermeidlich ist, und kümmere mich zu wenig um meine Deckung. Ich denke, du wirst jegliche Achtung vor mir verlieren, wenn ich dir sage, es sei wieder alles in Ordnung. Ich weiß, dass ich auf alle Fälle meine Selbstachtung dabei verlieren würde. Ich will keine einzige Sekunde meines Lebens mehr damit verbringen, dir zuzuhören, wie du dich dafür entschuldigst, dass du mich belogen, gegen die Wand geworfen oder erschreckt hast. Bitte lass es auf sich beruhen, Ashe. Geh zurück zu deiner Frau, damit ich mich erholen kann. Früher oder später wird alles vorbei sein. Bitte geh jetzt.«
»Rhapsody...«
»Geh«, sagte sie sanft. Sie ging zur Treppe und stieg langsam nach oben. »Auf Wiedersehen, Ashe. Möge dein Leben lang und glücklich sein. Bitte schließ die Tür hinter dir.« Sie ging nach oben auf die Turmstube zu.
Ashe sah ihr nach. Er spürte, wie sie sich zum Fenster begab, im Fenstersitz saß und darauf wartete, dass er sein Boot bestieg und Elysian für immer verließ.
Er ging zum Kamin und öffnete die Tür daneben, hinter der das Holz gestapelt war. Rasch machte er Feuer für sie. Er wollte sie nicht allein in dem kalten Haus zurücklassen, dessen eisige Atmosphäre mehr von den Ereignissen in ihrem Leben als von den winterlichen Temperaturen herrührte. Dann hob er Crynellas Kerze vom Boden auf. Sie hatte dieses Erinnerungsstück für ihn mitgebracht. Selbst in ihrer elenden Lage hatte sie an ihn gedacht. Ein Kloß saß ihm in der Kehle, als er zusah, wie das Holz Feuer fing. Rhapsody hatte nicht einmal die Bedeutung dessen erkannt, was sie getan hatte. Trotz Khaddyrs Vermutung, dass alle Amtsgewalt in Llaurons Eichenstab steckte, befand sich diese tatsächlich in dem Schmuckstück, das sich in seinem Gürtel befunden hatte: in dem alten Gemisch aus Feuer und Wasser. Das Amt des Fürbitters lag jetzt bei Ashe.