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»Nur eine Person. Eine, die möglicherweise gar nicht weiß, dass sie der Rettung bedarf«, sagte er. »Und dabei die ganze Welt. Ich vermute, das bedeutet, dass wir mehr gemeinsam haben, als ein Unbeteiligter erahnen könnte. Wir sind die beiden Seiten derselben Münze, Rhapsody.«

»Nun, wenn wir eine Münze sind, dann haben wir einen Wert.« Sie nahm ihren Mantel und das Gepäck auf. »Ich muss gehen. Ich werde dir so oft Botschaften schicken, wie ich kann. Aber bevor ich gehe, möchte ich dir noch eine Frage stellen.« Achmed nickte. »Was wolltest du mir wirklich sagen, seit du hier unten bei mir bist?«

»Stirb nicht.«

Sie drückte seine Hand. Die Wärme ihrer Berührung strahlte durch das Leder seines Handschuhs. »Das habe ich nicht vor. Doch das Leitprinzip meines Lebens lautet nicht, für dich oder Grunthor am Leben zu bleiben.« Sie ließ seine Hand los, beugte sich über das Erdenkind und küsste es auf die Stirn. Während sie sich umdrehte, hörte sie Achmeds Worte.

»Dann tu es für dich selbst.«

Als sie sich wieder umdrehte, war er verschwunden.

55

Die Hand

Fast nackt in der Dunkelheit, umgeben von allen Geräuschen des Labyrinths, entsiegelte Achmed vorsichtig die Blutsteinphiole und untersuchte die Blutessenz mit seinem Atem und seiner Haut.

Zuerst war er vom Fehlen jeglichen Geruchs überrascht. Er kannte den Gestank des F’dor, den schrecklichen Geruch von brennendem Fleisch, und hatte sich darauf vorbereitet. Doch es gab nur einen schwachen Geruch nach Stein. Der Blutstein, der nach Rhapsodys Angaben silberschwarz gewesen war, als Fürstin Rowan ihn ihr übergeben hatte, war nun mit grünen und braunen Striemen durchsetzt; es waren vergiftete Adern, welche das Steingefäß durchzogen. Vielleicht hatte der Stein den Gestank, das Brennen und Ätzen des dämonischen Blutes aufgesogen. Er nahm sich vor, die Phiole sofort zu vernichten, sobald er das Ritual im Feuer seines heißesten Schmiedeofens hinter sich gebracht hatte.

Er bedeckte die Öffnung der Phiole mit dem Finger, stellte sie dann auf den Kopf und goss sich einen Tropfen schwarzen Blutes auf die Fingerspitze. Die bloße Berührung verursachte ein Stechen. Er prallte zurück und spürte, wie die Nadeln des Hasses durch seine Adern kreisten.

Das Blut war zähflüssig, dick und undurchsichtig; nicht einmal eine Andeutung von Licht war durch es hindurch zu erkennen. Das war keine Überraschung an diesem Ort der Finsternis. Achmed spürte ein tiefes Klopfen in den Ohren. Das Böse in diesem einzelnen Tropfen auf seinem Finger war geradezu mit der Hand zu greifen, es trat ins Leben; man konnte unmöglich sagen, welche Auswirkungen es auf jemanden haben mochte, dessen Herz seit Jahren eher dem Morden als der Gnade zugeneigt war. In fernen Regionen seines Geistes glaubte er Gesang zu hören, tief und rau inmitten der knisternden dunklen Flammen.

Er untersuchte wieder das Blut. Vielleicht war es für ihn kein Werkzeug, sondern verwandelte ihn selbst in eines. Die größte Gefahr bestand darin, dass es ihn durchdrang und übersättigte, bevor er es in seinem Herzen geschmeckt und sich seine klebrige Sanftheit am ganzen Körper eingeprägt hatte. Vielleicht würde er diesen Geruch nicht mehr von seinem eigenen unterscheiden und ihn nur als Teil der umkreisenden Luft eines Zimmers wahrnehmen können, anstatt darin den Geschmack des Dämons, das Stechen des hautlosen Geistes und die geschwollene Zunge eines erstickenden Empfindungsvermögens zu spüren.

Er schluckte seine Angst herunter.

Es war Zeit.

Sanft atmete er das Bukett des Blutes ein. Er packte die Phiole fest und goss es sich in die Nase, schmeckte es, rieb einige Tropfen in die Poren seiner Wangen, damit es seinem Bewusstsein gegenwärtiger wurde.

Sein Herz raste, und die Haut prickelte vor Aufregung. Sein eigenes Blut floss rasch durch die Adern, er schwoll an, und die Hautoberfläche wurde lebendig vor Hitze. Er rieb sein Hautgewebe ein, das Netz aus empfindlichen Venen und Nervenenden, die Brust und Hals überzogen, und spürte, wie ein aus ekstatischem Schmerz geborener Schrei in ihm aufstieg und abgerissen durch seine trockene Kehle quoll.

Als der anfängliche Schmerz nachließ, konnte Achmed wieder klar denken. Er stand beinahe nackt im Mittelpunkt der Hand ein blutbefleckter Kobold in einer steinernen Handfläche. Er war mit staubroten Streifen von der Stirn und den Ohrläppchen bis beinahe zu den Knien bedeckt und schmeckte die beißende Schärfe und den Rauch des Blutes. Er spuckte in die Phiole, um die letzten Tropfen der dämonischen Essenz auszuspülen und sie in die wärmsten Spalten seines weichen Gaumens zu saugen.

Als schließlich auch der letzte Tropfen des dämonischen Blutes ein Teil von ihm geworden war, schloss er die Augen und spürte den Rhythmus seines Herzens. Dieser Rhythmus würde ihn eines Tages mit der Bestie verbinden. Zwischen den Kadenzen sprach er laut mit dem fremden Blut, mit seiner Beute, seinem Jagdopfer, seinem Blutsbruder.

So wie ich jetzt dein Blut an meinen Händen habe, wird es auch eines fernen Tages wieder sein.

Die Kapuze, die Rhapsody ihm gegeben hatte, lag neben ihm auf dem Boden. Langsam bückte er sich und hob sie auf; es kostete ihn größte Anstrengung. Der Blutfleck war ihm unvertraut, hatte keine Resonanz; er warf das Stück Stoff beiseite. Wie sie schon vermutet hatten, war Khaddyr nicht der Wirt des Dämons. Achmed schloss die Augen und zwang das Blut mit seinem Willen tiefer in die Haut.

Er wusste nicht mehr, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Eine Stunde, vielleicht auch fünf, des Austrocknens ohne Verdampfung, während er mit dem Ungeheuer in sich gekämpft hatte. Er spürte Reste von jedem Kind, dessen Blut zu der Menge beigetragen hatte. Wenn er von böser Natur gewesen wäre, hätte dies eine Möglichkeit sein können, einen weiteren Rakshas zu erschaffen. Ganz leicht schmeckte er den Sand um die Entudenin, den frostharten Lehm Hintervolds, das Harz der tyrianischen Kiefern und safranartiges Sägemehl aus einer Gegend, die er nie gesehen hatte. Alles war mit dunklen Flammen gewürzt.

Als sein Atem ihm wieder ganz gehörte und das trockene Blut nur noch roter Staub war, bemerkte er erschöpft Laute, die schon seit einiger Zeit ertönen mussten; es waren die Geräusche einer Zusammenkunft.

Außerhalb seines Blickfeldes versammelten sich die Finder.

Zitternd kauerte sich Achmed auf den Boden und griff nach seinem Messer. Die Knie versagten, und er fiel nach vorn, wobei er die Hände mit seinem eigenen hellen Blut benetzte. Er war schwach, schwächer als er je gewesen war, und verletzlich. Wenn die Finder, wer immer sie waren, feindliche Absichten haben sollten, würde er sich kaum gegen sie verteidigen können.

Er drückte sich vom Boden ab und versuchte aufzustehen, doch in seinen Muskeln war keine Stärke mehr. Er benötigte seine ganze Kraft, um sich hinzukauern und den Bauch zu schützen. Achmed hob den Kopf. Fern in den Tunneln bemerkte er das Glimmern von Augen. Es waren hunderte, oder wenigstens schien es seinem verdämmernden Geist so. Innerlich verfluchte er sich, denn er hatte sich verrechnet und es zugelassen, allein und ausgeliefert zu sein, nachdem er das beißende Blut eingenommen hatte, das ihn kraftlos machte. Was habe ich erreicht?, fragte er sich. Jetzt kann ich den Wirt des F’dor erkennen. Schade, dass ich gleich unter der Hand einiger hundert meiner eigenen Leute sterben werde dieser furchtsamen Höhlenkriecher, die bei meinem bloßen Anblick die Flucht ergreifen würden, wenn ich nicht so beeinträchtigt wäre.

Der Kopf sank ihm auf die Brust, als er sie näher kommen hörte. Mit großer Anstrengung versuchte er sich wieder aufzurichten, aber er war erfolglos. Sein Atem kam abgehackt und flach, als eine Schattengestalt nach der anderen aus der vollkommenen Dunkelheit des Tunnels heraustrat und ihn anstarrte wie ein Wolfsrudel, das ein verletztes Reh gestellt hat. Er kniete vor ihnen, war fast ganz entkleidet, unbewaffnet und mit dem Opfer bemalt, das ihm vom Schleier des Hoen geschenkt worden war.