Dennoch träumte er von der Wut der Drachin.
Die Festung des Fürbitters war ein seltsam schöner, hölzerner Palast, der unter, zwischen und über den Bäumen am Rande des Waldes stand, welcher an den Kreis grenzte. Es war ein lebendiges Gebäude, ein sich aus geschlagenem Holz und wachsender Flora zusammensetzender Ort, ein wahrhaftiger Teil des Waldes. Dieser merkwürdige Palast war eine der Annehmlichkeiten seiner neuen Stellung, und Khaddyr hatte ihn mit großer Genugtuung für sich beansprucht.
Als er das alte Bauwerk zum ersten Mal als dessen Herr betreten hatte, war er von widerstreitenden Gefühlen erfüllt gewesen: von einer ungestümen Erregung, die immer wieder vom Schrecken der Schuld abgelöst wurde. Wie schon sein Vater vor ihm, so war auch er mit dem Wissen aufgewachsen, dass diese wunderbare Behausung Llaurons Heim war. Seine eigenen Besuche in dieser Festung waren immer nur auf Llaurons Geheiß erfolgt. Es lag etwas pervers Befriedigendes darin, als neuer Herr durch die gewundenen, polierten Gänge zu gehen.
Gwen und Vera, Llaurons alte Hausdienerschaft, hatten ihn höflich, aber kalt begrüßt und waren seinem Blick ausgewichen, doch sie gehorchten seinen Befehlen widerspruchslos. Nachdem er am Abend das Essen bestellt hatte, hatte Khaddyr das geschnitzte Bett in Llaurons Schlafzimmer betrachtet, das mit frischen Laken aus sorboldischem Leinen bezogen war, und ein Kichern unterdrückt, als er den entsetzten Blick der ältlichen Dienerschaft gesehen hatte.
»Sorge dafür, dass die Wärmsteine unter den Laken sind, bevor ich meinen Likör nach dem Abendessen genommen habe«, hatte er Vera befohlen. »Der Nachtwind ist bitterkalt. Ich will es gemütlich im Bett haben.«
Dazu hatte er eine junge Gehilfin angestellt, eine besonders hübsche Frau, die er vor einiger Zeit in den medizinischen Künsten unterrichtet hatte. Sie sollte zusammen mit ihm seine Befreiung aus dem Zölibat feiern, das ihm auferlegt worden war, als er noch der Tanist des Fürbitters gewesen war. Er hatte dafür gesorgt, dass sie in dieser ersten Nacht vor dem Abendessen hinaufgebracht wurde, und war nicht erfreut über den Widerstand gewesen, den sie geleistet hatte. Es schien, als müsste er ihr noch einige Lektionen in Gehorsam und Dienstbarkeit erteilen.
Wenn er die weinende junge Frau des Nachts von den Bettfesseln befreit hatte und sie in ihre eigene Kammer gebracht worden war, fiel Khaddyr in einen tiefen, zufriedenen und stillen Schlaf im Bett des Fürbitters. Die Stimme seines Herrn, die lange seinen Geist heimgesucht hatte, war endlich verstummt und verlangte nicht mehr nach der Erfüllung seiner Anweisungen.
Alles war nach Plan gelaufen. Llauron war tot. Das Amt des Fürbitters hatte Khaddyr inne. Der Geschlechtsverkehr war besser, als er es sich je erträumt hatte, und mit den unerwarteten Lustgefühlen der Macht und des Sieges über den Widerstand verbunden. Khaddyr hatte entdeckt, dass Bitten und Schreie um Hilfe sein Vergnügen nur noch steigerten, und glitt in die Dunkelheit, während er über neue Methoden der Luststeigerung nachdachte.
Nach einem besonders guten Orgasmus waren seine Visionen des Drachens immer besonders stark.
In der Finsternis seiner Träume wurde dann der Himmel blutig. Zuerst war er überzeugt, dass dieser Eindruck von den befleckten Laken herrührte, die Vera auf seine Anweisung in der Mitte der ersten Nacht hatte wechseln müssen. Doch nach dieser ersten wunderbaren Erfahrung verblieb das Bild des blutigen Himmels in seinen Albträumen, in denen nun auch Feuerwände bis in ein Firmament aus Wolken reichten, die aus Rauch und Asche bestanden. Sein geistiges Auge erhob sich über das Feuer in den Himmel und starrte auf einen Wald hinter dem Horizont.
In der weiten Ferne sah er eine große, geflügelte, schlangenähnliche Bestie mit kupfernen Schuppen, die im Licht des lodernden Feuers glitzerten. Der Drache hatte sich um den Stamm einer hohen, dünnen, weißen Eiche geschlungen, einen Baum mit weißen Blüten, die dem Winter trotzten. Der Große Weiße Baum aus den Kindertagen der Erde, dachte Khaddyr. Und Elynsynos persönlich. Der Wurm streckte sich im Feuerschein und machte den Baum ganz klein, während das Untier sich erhob, die Flügel über den Rauch breitete und in der wirbelnden Asche verschwand.
Sein innerer Blick kehrte zu dem Wald zurück, in dem er stand. In der Ferne hörte er die entsetzten Schreie der umherirrenden Filiden. Feuer züngelte über ihre Roben. Sie fielen auf den Waldboden und entzündeten die trockenen Blätter unter dem Schnee. Die Worte der Ruhe, die er im Traum gesprochen hatte, erklangen nicht in seiner eigenen Stimme, sondern in der melodischen von Llauron. Es war gleichgültig. Die entsetzten Opfer hörten ihr nicht zu; sie erlitten einen so schrecklich lebendigen Verbrennungstod, dass er den Gestank sogar noch roch, als er schon wach war.
Der Drache, hörte Khaddyr eine Frau kreischen, als der Traum verblasste. Der Drache kommt.
Es hatte einige Stunden gedauert, bevor er beim ersten Mal das Gefühl des Schreckens hatte abschütteln können, doch als der Traum regelmäßig wiederkehrte, gewöhnte sich Khaddyr an die nachfolgenden Erschütterungen und den kalten Schweiß. Seit er in den Bann geraten und zum Diener des Dämons geworden war, hatte er jede Angst vor Feuer und die Schwäche des Mitleids verloren. Nur wenig bereitete ihm noch Sorgen. Er stand im Dienst der vollkommenen Macht und hatte selbst große Gewalt errungen. Sein ganzes Leben hatte er darauf gewartet, Fürbitter zu werden. Er hatte nicht vor, sich das Vergnügen daran von Gewissensbissen nehmen zu lassen.
»Du bist ein Mythos«, rief er der hölzernen Decke des Schlafzimmers entgegen, als er eines Nachts aus der Vision erwachte. »Ich fürchte mich nicht vor einer Lüge, auch nicht vor einer, die so alt wie die Zeit selbst ist! Verbrenn dich doch zu Asche!«
Die Stille in seiner Festung umwehte ihn.
Kalte Asche lag in durchweichten Haufen zwischen den ausgebrannten Ruinen des Hauses der Erinnerung. Sie schwärzte den fallenden Schnee und hinterließ eine öde Grube aus Schlamm, wo einst der Außenposten gestanden hatte, ein Denkmal der Standhaftigkeit und Tapferkeit, nun bloß noch Zeugnis von Feigheit und Bosheit. Der erste Außenposten des cymrischen Zeitalters, eine stolze und glänzende Festung, die den Gefahren des Landes und des Krieges sowie zahlloser Jahre getrotzt hatte, war erst vor wenigen Monaten zu einem Haufen bedeutungslosen Schutts geworden.
Mit Ausnahme einer handtellergroßen Harfe. Sie steckte fest im ersten Astloch des Sagia-Schösslings, der dort stand, wo einmal der Innenhof gewesen war. Das winzige Instrument spielte leise, aber beharrlich in der Dunkelheit und wob ein Lied des Schutzes und der Heilung um den jungen Baum und den Boden, auf dem er stand.
Dort, in den silbernen Armen jenes Kindes des uralten Baumes, der an einem Ort geboren worden war, wo das Sternenlicht zum ersten Mal auf die Erde gefallen war, brannte die Hoffnung eine kleine Kerze des Glaubens, die sich weigerte auszugehen, weder durch Feuer noch durch Sturm oder die Dunkelheit der herannahenden Nacht. An diesem einzigartigen Ort, innerhalb der eiskalten Ruine, herrschten ewiger Frühling und eine Liebeswärme, die so tief war, dass sie den Eichenschössling zum Hervorbringen von Blüten aus reinstem Weiß brachte, die sich mit dem fallenden Schnee messen konnten.
Ashe erhob sich müde von einem bleiernen Schlaf unter dem Schössling, wo er sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Hier, auf dem warmen Grund, den sie mit ihrem Lied gesegnet hatte, war es leicht, sich Rhapsody nahe zu fühlen. Sicherlich hatte dieser Ort einiges von dem Elementarfeuer aufgenommen, das in ihrer Seele brannte. Seine Träume waren glücklich gewesen, wenigstens zu Beginn, waren dann aber zu Nachtmahren dunklen Bedauerns und schrecklicher Vereinsamung geworden. Nun kehrten ihre Worte im kalten Wind zu ihm zurück.