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»Gütiger All-Gott«, flüsterte Khaddyr.

Vor dem Hintergrund des fließenden Feuers trat eine neue Gestalt heran; sie war verschwommen und flüchtig. Ihr Schlangenkopf streckte sich in den Himmel und reichte bis über die brennenden Baumkronen. Die Augen glänzten in demselben wilden blauen Licht, das auch aus dem Gesicht des Schattenmannes fiel. Die gewaltigen Pupillen hatten rasiermesserscharfe vertikale Schlitze, die noch dünner wurden, als das Inferno an Stärke zunahm. Große Schwingen aus schimmernden Kupferschuppen, im Lichte durchscheinend, breiteten sich über das Land des Kreises und warfen dunkle Nebeltücher, während sie sich entfalteten. Die gewaltige zischende Stimme sagte dasselbe wie der Mann, über dem die Bestie thronte.

»Wo ist der Wirt?« Der donnernde Befehl erschütterte die Erde.

Khaddyr schluckte und schmeckte Blut in seiner Kehle. »Vergib mir, Gwydion, aber das kann ich nicht sagen. Ich fürchte dich im Leben, aber ich fürchte ihn im Tod noch mehr. Hab Mitleid mit mir.«

Der Schattendrache stieß ein wütendes Brüllen aus. Über die Kakophonie des brennenden Waldes und die Schreie der flüchtenden Filiden hinweg zerschmetterte er die verbliebenen Fensterscheiben und erschütterte die Zweige des Großen Weißen Baumes, der allein und unberührt in der Mitte des flammenden Albtraums stand. Die menschliche Gestalt schloss die durchdringenden blauen Augen; sie verschwanden in der Dunkelheit des Gesichts.

»Ich habe dir nicht erlaubt, schon zu sterben«, sagte Ashe; seine Worte dröhnten in den vielen Tonlagen des Wyrms. Er hob den Arm und deutete auf den Filiden-Priester, den großen Heiler, der nun niedergestreckt auf dem Waldboden lag.

»Luhtgrin«, sagte er in der Sprache der Filiden. Kehr dich um. »Cartung.« Halte durch.

Khaddyr spürte, wie seine Füße taub wurden. Einen Moment später fuhr ihm ein entsetzlicher Schmerz in die Zehen, die sich in einem unmöglichen Winkel abspreizten. Er stieß einen Schrei aus, als sich die Haut zurückrollte, Nerven und Muskeln, Adern und Knochen bloßlegte und dann langsam die Beine hochkroch. Das Grauen über das, was da mit ihm geschah, huschte durch sein Hirn und betäubte ihn zusätzlich.

Sein Innerstes wurde nach außen gekehrt.

Khaddyr kreischte erneut auf; es war ein hohes Jammern markerschütternden Entsetzens.

»Sag es mir«, verlangte die dunkle Gestalt erneut in einer Stimme, die halb menschlich und halb drachenhaft war. »Sag es mir, oder ich werde dich in diesem Zustand zurücklassen lebendig.« Khaddyrs Kniescheiben machten ein schreckliches Geräusch, als sie sich von innen nach außen schoben.

»Bitte, hör auf«, ächzte Khaddyr.

Der Schattenmann und seine zweite Natur, der Umriss des Drachens, gingen langsam durch das brennende Gras auf Khaddyr zu, bis sie unmittelbar über ihm standen und der gewaltige Schatten des Wyrm in der rauchgeschwängerten Luft schwebte. Als der Mann und der Drache ihn erreicht hatten, zuckte er vor Schmerzen; die langen Oberschenkel lagen entblößt auf dem blutigen Gras. Mit einem weiteren schnalzenden und krachenden Geräusch zuckten seine Hüftknochen und Genitalien in Haut und Muskelgewebe, und die großen Arterien pulsierten scheußlich.

Khaddyr gab ein unablässiges Murmeln von sich. Mit großem Schwung zog Ashe Kirsdarke aus der Scheide an seinem Rücken und drückte dem alten Mann die Spitze gegen die Kehle. Einen Moment lang klarte Khaddyrs Blick auf, und er starrte auf die gekräuselten Wellen der Waffe. Blauweißes Wasser floss wie Meereswellen über die alte Klinge.

»Bitte«, flüsterte er, als sich sein Brustkorb nach außen stülpte und das rasende Herz sowie die kämpfende Lunge freilegte. Die keuchenden, klatschenden und reißenden Geräusche verschluckten beinahe seine Worte. »Du ... brauchst ... mich, Gwydion. Einen ... Heiler. Rhapsody ... braucht...«

Die Schwertspitze drückte sich fester gegen seine Kehle. »Was ist mit Rhapsody?«, wollte Ashe wissen. Die mächtige Stimme schüttelte brennende Blätter von den versengten Zweigen.

»Was braucht Rhapsody?«

»Wenn ... sie ...«, keuchte Khaddyr. Er drehte sich und sah seine Finger an, die sich ebenfalls von innen nach außen wendeten. »Wenn... sie...«

In den Tiefen seiner entblößten Eingeweide erschien eine winzige Wurzel. Innerhalb eines Herzschlages sprangen viele weitere hervor und peitschten um Khaddyrs Organe. Die Gewächse verdickten sich rasch und bildeten seilartige Fäden mit Dornen daran, die sich eng um das Herz des angeblichen Fürbitters wanden und plötzlich zudrückten. Ein schrecklicher Gestank wogte über den Brandgeruch.

»Was braucht Rhapsody? Verflucht sei deine Seele, Khaddyr, wo ist der F’dor?«

Khaddyr stieß ein gurgelndes Röcheln aus und wandte sich ein letztes Mal mit glasigen und vor Schmerz blicklosen Augen an Gwydion.

»Töte mich«, flüsterte er, als Perlen blutigen Schweißes auf seine Stirn traten. »Gnade ...«

Der Schattenmann beugte sich tief herab, damit der Fürbitter ihn hören konnte. »Sag deinem Meister, ich bin hinter ihm her«, meinte er mit zusammengebissenen Zähnen.

Die Gewächse pulsierten heftig. Khaddyrs Herz zerbarst. Helles Blut schoss in die Luft; das wütende Feuer bedachte es mit Schauern aus rotem Licht.

Ashe trat zurück, als das Gewächs über Khaddyrs geöffneten Magen und die Eingeweide zuckte. Sofort sprossen Dutzende weiterer Schlingpflanzen hervor und umgaben ihn vollständig. Dann wurde Khaddyr mit einem knallenden Laut über einen brennenden Busch und einige Baumstämme in ein großes, gleißendes Feuer gezerrt. Der Gestank wurde unerträglich, als sein Körper auf die Flammen traf. Ashe musste die Augen vor der folgenden Explosion aus schwarzem Feuer schützen.

Der F’dor hatte sein Eigentum zurückgefordert.

Zum zweiten Mal in diesem Winter stand Ashe erschöpft unter dem Baum inmitten der Zerstörung des Feuers. Die Filiden huschten wie Schlafwandler durch die Verwüstungen, starrten die Ruinen des Baumpalastes an, eilten zwischen den Schuttbergen umher, die von dem strahlenden Schloss im Herzen des Kreises übrig geblieben waren.

Am Rande seiner Wahrnehmung spürte Ashe, wie Gwen vorsichtig durch die Überreste der Zimmer schritt, die sie einst für seinen Vater sauber gehalten hatte. Sie verlor sich in diesem Ort, den sie wie niemand sonst gekannt hatte. Er schloss die Augen und vertrieb ihre Gegenwart aus seinen Gedanken. Der Drache in seinem Blut schlief nun, seine zerstörerische Wut war gesättigt. Das Bewusstsein um seine zweite Natur schmerzte ihn wie ein überbeanspruchter Muskel.

Die filidischen Priester, die Llauron die Treue gehalten hatten, starrten bedrückt die Ruinen des heiligen Baumkreises an, der den Großen Weißen Baum umgab. Vor dem Feuer hatte ein Exemplar aus jeder bekannten Gattung hier seinen Platz gehabt; manche waren die letzten Überlebenden ihrer Art gewesen. Nun waren von den Bäumen nur geschwärzte Stämme und verkohlte, zerfetzte Rauchsäulen übrig geblieben, die wie gebrochene Finger in den Himmel wiesen.

Allein der Große Weiße Baum stand noch unversehrt und unbeschädigt da, auch wenn er mit Ruß und Asche befleckt war. Seine blattlosen Zweige schimmerten in der verschwommenen Sonne und ragten durch den Rauch, der schwer in der Luft hing, hoch in den Himmel.

Feuer wird dich nicht verletzen.

Der Wind frischte auf und zauste die rotgoldenen Locken seines Haares. Im Rauschen hörte Ashe die Stimme seines Vaters.

Vielen Dank, alter Knabe.

Ashe drehte sich um und ging in den rauchenden Wald, um Lark und die anderen zu suchen.

58

Tyrian

Jeder der Hügel in der Stadt Tyrian enthielt einen Teil des ausgedehnten königlichen Komplexes, der in dem Thronraum über Tomingorllo gipfelte. Im unteren Teil des ersten Hügels namens Newydd Dda befanden sich die Haupthalle und einige der Privatgemächer des nicht existierenden Monarchen und seiner Ratgeber. Hier wartete Rhapsody auf ihr Treffen mit Rial, dem Schutzherrn von Tyrian.