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Sie stand mit Oelendra in der großen Rotunde und bewunderte das handwerkliche Können sowie die Architektur. Im Gegensatz zur einfachen, nüchternen Ausführung der Großen Halle über Tomingorllo war der Hauptpalast in der Basis des Newydd Dda das Prunkstück Tyrians, wo früher die Botschafter gewohnt hatten und die internationalen Geschäfte getätigt worden waren. Er befand sich in einem gewaltigen Hof und war umgeben von einem massiven Wall mit steinernen Wachttürmen, die bei weitem den Glanz der Festung des Herrn von Roland in Bethania übertrafen. Rhapsodys Augen, die allmählich von den bitteren, irrtümlichen Tränen genasen, welche sie kürzlich geweint hatte, nahmen den Anblick verwundert in sich auf. Die Rotunde enthielt in der Mitte einen gewaltigen kreisrunden Kamin, dessen Feuer den ausgedehnten Palast und dessen Flügel wärmte und sie das ganze Jahr über bei gleich bleibender Temperatur hielt. Der Palast war um viele große Bäume herum errichtet worden, die nun in seinem Innern wuchsen, so wie eine Vielzahl von grünen Pflanzen und Blumen, die durch die Wärme im Hauptkamin unablässig gediehen und einem das Gefühl gaben, sich in einem Treibhaus zu befinden.

Ein geschliffener Kristallschirm umgab den Kamin, und die prismatischen Reflektionen hatten einen hypnotischen Effekt auf Rhapsody. Sie und Oelendra setzten sich auf eine der mit Kissen belegten Holzbänke vor dem Feuer und warteten auf den Schutzherrn.

Ihre Blicke wanderten über das zierlich beschnitzte Holz des Palastes, das auf Hochglanz poliert war. Der Boden war ein gigantisches Mosaik aus hellem Marmor, dessen Muster die früher vereint gewesenen Gruppen der Lirin mit abstrakten Darstellungen des Meeres, der Ebenen, Wälder und Städte von Manosse ehrte. Rhapsody war gerade vom Besuch zweier dieser Gruppen zurückgekehrt. Die Neuigkeiten, die sie mitgebracht hatte, waren nicht viel versprechend.

Sie schaute auf und bemerkte, dass Rial lächelnd auf sie zuging. Die beiden Frauen erhoben sich, als er sich ihnen näherte und sie mit freundlichen Blicken bedachte. Er ergriff Rhapsodys Hand und verneigte sich darüber, dann verbeugte er sich vor Oelendra, die die Geste erwiderte.

»Herzlich willkommen, Rhapsody«, sagte er und zog sanft ihre Hand unter seine Armbeuge.

»Wie war dein Besuch in der Ebene?«

»Beunruhigend, fürchte ich«, entgegnete sie, während die drei zu Rials Büroräumen im östlichen Flügel des Palastes gingen. »Die Gewalt in der Ebene ist anscheinend noch schlimmer als hier; ihr fehlender Schutz bietet bessere Möglichkeiten für wahllose Angriffe, was ich erwartet hatte. Ihr Heer ist gut ausgebildet, aber klein. Die Raubzüge eskalieren.«

»Haben sie um Hilfe gebeten?«

»Nein, es hat ihnen nicht behagt, Hilfe aus dem Wald anzufordern, obwohl sie früher einmal ein Teil von Tyrian waren. Ein Bündnis wäre empfehlenswert. Tyrian könnte einige seiner Wacheinheiten erübrigen, um das Heer der Ebene zu verstärken, und diese wiederum könnte eure Südgrenze bewachen.«

»Aber werden sie damit einverstanden sein?«

Rhapsody seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich vermute, es hängt davon ab, wie zwingend sie meinen Vorschlag für eine Wiedervereinigung finden.« Rial hielt ihnen die Tür zu seinem kleinen Büro auf, das zwar sauber war, aber vor Manuskripten und Schriftrollen überquoll. Rhapsody schaute sich um und schüttelte den Kopf. »Warum ziehst du nicht in das große Arbeitszimmer des Monarchen, wo es doch augenblicklich keinen König gibt? Es ergibt keinen Sinn, dass du, der du den ganzen Handel und die Botschaftsangelegenheiten regelst, hier in dieser winzigen Kammer hockst, während der große Raum hinter der Halle leer steht, und zwar seit hundert Jahren.«

Rial bot den Frauen zwei Stühle an, während er selbst sich gegen die Schreibtischkante lehnte und lachte. »Weißt du, Rhapsody, du siehst zwar vielleicht wie eine orlandische Cymrerin aus, aber du redest ganz wie eine Lirin.«

Rhapsody lächelte ihn an. Trotz ihrer monarchischen Tradition waren die Lirin eine gleichmacherische Gesellschaft. Es gab keine Heiratslotterie; sowohl Männer als auch Frauen dienten im Heer, als Wachen und Botschafter. Die Erbfolge bevorzugte das älteste Kind, nicht den ältesten Sohn, und jeder Monarch musste vom lirinschen Rat und der Diamantsplitterkrone selbst bestätigt werden. Es war eine monotheistische und monogame Gesellschaft, die Rhapsodys Idealen vollkommen entsprach.

»Vielen Dank«, sagte sie ernsthaft. Dann kam ihr ein Gedanke. »Interessanterweise hat mir Herzog Stephen einmal gesagt, dass ich zwar wie eine Cymrerin aussehe, aber die Manieren einer Bolg habe.«

»Aus dem Mund eines Cymrers ist das ein großes Lob, auch wenn er es vielleicht nicht weiß«, bemerkte Oelendra trocken. Rial und Rhapsody lachten.

»Wie sollen wir deiner Meinung nach vorgehen?«, fragte Rial und setzte sich in den Sessel hinter seinem Schreibtisch.

»Nun, ich glaube, wir sollten uns im Thronraum mit allen lirinschen Botschaftern zusammensetzen. Die Macht des Dämons wächst, weil es ihm irgendwie möglich ist, Soldaten jeglicher Truppen auf Mordmissionen zu schicken, an die sie sich danach nicht mehr erinnern können. Ich bin sicher, dass es sich mit dem Eindringen der Menschen in die Länder der Lirin genauso verhält. Der erste Schritt besteht also darin, die kleinen Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen lirinschen Gruppen beizulegen und sie wieder zusammenzubringen. Auf diese Weise wird der F’dor weniger Lager haben, die er gegeneinander aufwiegeln kann.«

»Und dann?«

»Zweitens treffen wir uns mit Tristan Steward und seinen Herzögen. Wir gehen ein Bündnis mit Roland ein.«

Rial stieß einen Pfiff aus. »Ich fürchte, du begreifst nicht die Schwierigkeiten dessen, was du da vorschlägst, meine Liebe.«

»Doch, und genau das ist der Grund, warum sie so weise ist, einen Versuch zu wagen«, sagte Oelendra und lächelte Rhapsody an. »Manchmal braucht man ein neues Auge, das nicht weiß, warum ein Erfolg angeblich unmöglich ist.« Rial nickte.

»Die Bolg und Roland haben bereits ein Abkommen miteinander; Sorbold hat eines mit diesen beiden Ländern und mit den Lirin. Die Neutrale Zone hat ihre eigenen Probleme, aber der Dämon scheint sich nicht sehr um sie zu kümmern, auch wenn ich vorhersagen kann, dass sie die Nächsten sein werden. Wer immer diese Überfälle befiehlt, hat Zugang zu den Soldaten dieser Länder. Sobald wir alle miteinander verbündet sind, können wir diese Person bestimmen. Es kommt nur eine Hand voll Leute infrage, die unbehelligt von Lager zu Lager wechseln können.«

»Prostituierte? Kaufleute?«

»Vielleicht«, sagte Rhapsody mit einem Nicken.

»Was ist mit Anborn ap Gwylliam?«, fragte Oelendra. »Er hat den von dir erwähnten Zugang zu allen Ländern, selbst zur Neutralen Zone und den Ländern jenseits von Hintervold. Er hat auf allen Seiten und gegen alle gekämpft. Wer wäre besser in der Lage, unverdächtig hin und her zu wechseln?«

Rhapsody dachte an ihre Rettung aus der Hand der Blutsverwandten, an Anborns grobe, aber sorgfältige Dienste, nachdem er sie vor dem Sturm gerettet hatte. Der Gedanke an ein mögliches Doppelspiel Anborns schnürte ihr den Magen zu, doch sie konnte diese Möglichkeit nicht ausschließen. Dann kam ihr ein noch schrecklicherer Gedanke. Falls Anborn der Dämon war, hatte sie allein in seiner Hütte geschlafen und war in seiner Gegenwart verwundbar gewesen. Vielleicht stand sogar sie selbst unter seinem Bann in diesem Augenblick, unwissend. Diese Vorstellung war zu viel für sie.

»Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir niemanden ausschließen«, sagte sie und stand auf.

»Was sagst du dazu, Rial? Ist es einen diplomatischen Einsatz wert?«

Rial lächelte. »Das ist es, Rhapsody, und sei es nur, um mit anzusehen, wie du diese hart gekochten Knicker um den Finger wickelst.«

»Knicker« war ein viel zu nettes Wort für das Verhalten der lirinschen Botschafter, entschied Rhapsody viele Stunden später, als sich die Dunkelheit über das Land legte. Sie hatten ohne Unterbrechung gestritten, seit die beiden in der Großen Halle oberhalb von Tomingorllo angekommen waren, und je mehr Abgesandte an dem Gespräch teilgenommen hatten, desto scheußlicher war es geworden. Schließlich schlug Rhapsody gegen die hölzerne Bank, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen.