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»Das ist doch lächerlich«, sagte sie erschöpft. »Ich könnte dieses Verhalten in Roland verstehen. Dort gibt es so viele widerstreitende Erbfolgen sowohl bei den Cymrern als auch bei den anderen, dass es beinahe als Entschuldigung für ihr Verhalten angesehen werden kann, auch wenn es dem Kampf um die Süßigkeiten bei einem Kindergeburtstag ähnelt. Aber ihr, meine Damen und Herren, verwirrt mich. Ihr seid Lirin, die älteste aller Rassen in diesen Ländern. Ihr habt Jahrhunderte voller Kämpfe und Blutvergießen gesehen. Ihr habt es selbst durchgemacht, nicht aus Legenden erfahren, sondern mit eigenen Augen gesehen und am Tod eurer eigenen Verwandten gespürt. Was muss noch passieren, damit ihr aufwacht und begreift, was hier geschieht? Bald wird der Feind es nicht mehr nötig haben, eure Länder zu zerstören. Ihr werdet es selbst getan haben! Ihr solltet diejenigen sein, die am leichtesten zu überzeugen sind, aber ihr scheint es darauf anzulegen, euch über Nichtigkeiten zu streiten. Offenbar stimmt ihr nur darin überein, dass ihr Roland und seiner cymrischen Linie nicht traut, obwohl auch viele eurer eigenen Leute von dieser Linie abstammen. Nun gut, ich will euch etwas fragen. Wenn es Anborn war, der den Diamanten zerstört und eure Thronnachfolge im Unklaren gelassen hat, warum wollt ihr das fortführen? Die Ahnen Rolands werden euch für alle Zeiten getrennt und schwach halten. Erhebt euch darüber! Wählt unter euch selbst einen aus, der nicht zwischen See-Lirin, Wald-Lirin, manossischen Lirin oder Ebene-Lirin unterscheidet, sondern der nur Lirin kennt! Das sollte doch nicht so schwer sein.«

Die Botschafter starrten sie verblüfft an. Schließlich schüttelte Temberhal, der Abgesandte Tyrians in Manosse, seine Erstarrung ab und redete sie höflich an.

»Wie sollen wir das deiner Meinung nach erreichen?«

»Zuerst müsst ihr mit der Wiedervereinigung einverstanden sein. Behaltet eure unabhängigen Anführer, aber stellt sie unter einen Herrscher, der ihre innere Unabhängigkeit anerkennt, und schwört ihm oder ihr Treue. Könntet ihr euch damit wenigstens theoretisch einverstanden erklären?« Die Botschafter sahen einander an. Einer nach dem anderen nickte. »Gut. Als Nächstes verspricht jeder von euch diese Treue auch der Krone. Sie wurde schon immer als Richterin der Weisheit angesehen. Bittet sie darum, einen würdigen Kandidaten auszuwählen. Stimmt zu, euch mit ihrer Entscheidung abzufinden. Geht dann in eure Länder zurück und kehrt mit jemandem wieder, der eurer Meinung nach die Fähigkeit zum Hochkönig oder zur Hochkönigin aller Lirin hat, und seht, wen die Krone davon auswählt. Krönt ihn oder sie sofort. Ist das gerecht?«

Schweigen hing einen Moment lang über dem Thronraum, dann kehrten die Botschafter zu ihren Diskussionen zurück. Diesmal aber schienen die Gespräche etwas zu bringen. Rhapsody sah Oelendra an, die lächelte und leicht nickte.

Sie stieß einen Seufzer aus und sah durch die Öffnung in der Mitte der Decke hoch zu den Sternen, die allmählich in dem dunkler werdenden Himmel erschienen. Sie hatte ihren Gruß bei Sonnenuntergang leise auf dem eisigen Hügel außer halb der Großen Halle gesungen und damit den ersten Durchbruch bei den Gesprächen erzielt. Als sie und Oelendra zurück in das Gebäude gegangen waren, hatten sie festgestellt, dass die Botschafter sie von der Tür aus gemeinsam anglotzten. Der Friede war allerdings nur von kurzer Dauer gewesen, und einige Augenblicke später wurden die Kämpfe wieder aufgenommen. Jetzt redeten sie wenigstens freundlich miteinander.

Oelendra stand auf, als die Gespräche der Botschafter kein Ende nehmen wollten, kam herüber zu Rhapsody und setzte sich neben sie auf die große runde Bank.

»Wie sieht dein nächster Schritt aus? Was ist, wenn sie sich nicht einigen können?«

»Ich will sie aushungern, bis sie mitmachen«, antwortete Rhapsody feierlich. »Ich habe Rial gesagt, dass keine Nahrung hereingebracht werden und niemand essen darf, bis sie einverstanden sind. Das ist zwar keine gute Art, Zustimmung zu erzeugen, aber allmählich geht mir die Geduld aus. Als Nächstes wird kein Holz mehr im Kamin nachgelegt; dann frieren sie so lange, bis sie zur Vernunft kommen.«

Oelendra kicherte, und Rhapsody schüttelte den Kopf. »Weißt du, Oelendra, diese Erfahrung hat mir die Augen geöffnet. Ich weiß nicht, was ich hier erwartet habe, da ich in dieser Gesellschaft eigentlich keinen richtigen Platz innehabe, aber was immer ich zu erreichen gehofft hatte, ist gescheitert. Ich fürchte, ich bin nicht für die Diplomatie geschaffen.«

»Unsinn«, sagte Oelendra. »Zusätzlich zu deinen anderen Fähigkeiten hast du den großen Vorteil, dass du keiner dieser Gruppen angehörst. Du bist nicht voreingenommen. Außerdem hast du keine Vorstellung davon, wie bemerkenswert es ist, dass diese Leute so lange im selben Raum sitzen; das ist zweifellos ein Rekord. Das ist schon für sich genommen eine großartige Leistung, was immer sonst noch hier geschehen mag, Rhapsody. Es kommt nicht oft vor, dass eine Kriegerin als Schlichterin dient.«

»Eigentlich glaube ich, dass ich zu keinem davon tauge«, sagte Rhapsody ernsthaft.

»Jetzt hör aber auf«, meinte Oelendra streng. »All das haben wir doch schon auf dem Weg zum Hof der See-Lirin besprochen. Du hast bei Llauron nicht versagt; er hat deine Dienste abgelehnt. Die Ilianchenva’ar muss die Gebräuche der religiösen Führer anerkennen, die sie beschützt, Rhapsody. Du hättest nichts anderes tun können.«

Rhapsody schaute fort. Sie hatte ihrer Freundin nicht gesagt, dass Llauron noch lebte, obwohl sie dies gern jemand erzählt hätte. Sie bezweifelte, dass sie sich dazu durchringen könnte, es Achmed oder Grunthor zu berichten, obwohl sie sicher war, dass Ashe Verständnis dafür hätte, wenn sie es täte. Sie rieb sich die Augen und versuchte, den bohrenden Kopfschmerz zu besänftigen. Sie war es leid, die Geheimnisse anderer Leute mit sich herumzutragen. Ihre eigenen wogen schwer genug.

»Meine Dame?« Rhapsody schaute auf und bemerkte, dass Temberhal vor ihr stand; die anderen Botschafter warteten hinter ihm. Die edle Anrede verursachte bei ihr immer ein Lächeln, so wie es auch der Titel einer Herzogin von Elysian tat, der ihr zum Scherz verliehen worden war.

»Ja?«

»Wir haben eine Übereinstimmung erzielt. Wir sind einverstanden, uns zu vereinigen.«

Bei diesen Worten verschwanden Rhapsodys Kopfschmerzen. Sogleich stand sie auf und umarmte Oelendra.

»Wunderbar«, sagte sie und lächelte Temberhal und die anderen an, deren Gesichter nun ihr Grinsen widerspiegelten. »Den Sternen sei Dank. Aber eines nach dem anderen. Jetzt werden wir erst einmal etwas essen, Rial. Ich sterbe vor Hunger.«

Nachdem die Palastdiener die Reste des Abendessens abgeräumt hatten, nahmen die Botschafter ihre Plätze um die Krone herum ein. Als Schutzherr fiel es Rial zu, das Gelübde zu erbitten. Er wirkte nervös und aufgeregt, als er mit der Hand auf dem Glaskasten dastand, unter dem die Krone ruhte. Rhapsody lächelte ihn an, sie las die Aufregung in seinen Augen. Insgeheim hoffte sie, dass die Krone ihn erwählen würde. Sie spürte, dass seine Weisheit und Freundlichkeit viel dazu beitragen konnten, das zersplitterte lirinsche Volk wieder zusammenzubringen. Dann kam ihr ein Gedanke.

»Rial, soll ich das Sternenlicht auf die Krone herabrufen und sie segnen, bevor du beginnst?«

Sie sah ihn an; ihr Grinsen wurde breiter, als er nickte, dann wandte sie sich den anderen zu, die ebenfalls einverstanden waren.

Rhapsody zog die Tagessternfanfare und spürte die Macht, als das Schwert seine Freiheit genoss. Ein helles Licht blitzte auf, sobald die Klinge die Scheide aus schwarzem Elfenbein verließ und die Botschafter und sogar Oelendra sich die Augen beschirmen mussten. Rhapsody begab sich in die Mitte des Raumes, hob das Schwert gegen den Nachthimmel und schloss die Augen. Sie sang aus dem Stegreif und rief die Sterne, damit sie die Krone ihrer Kinder mit Licht und alter Weisheit segneten.