»Weil ich finde, dass es an der Zeit ist, es mir bequem zu machen.« Achmed sah das Feuer an, das verführerisch brannte. »Jetzt musst du dir einen Platz aussuchen, an dem du leben möchtest. Dieser hier scheint so gut wie jeder andere zu sein.«
Rhapsody seufzte. »Wunderbar. Damit bin ich wohl aus Elysian verbannt. Bist du den ganzen Weg bis hierher gekommen, nur um mir mein Herzogtum wegzunehmen?«
»Natürlich nicht.« Achmed nahm einen Schluck. »Du brauchst es dringender denn je.«
Rhapsody ging zurück zum Fenster und schloss die Balkontüren. Sie drehte sich um und lehnte sich dagegen, verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte Achmed mit einem langen Blick. »Warum ist es ein so seltsames Gefühl? Bedeutet das, dass es unklug war?«
»Ich würde mir an deiner Stelle Sorgen machen, wenn ich kein seltsames Gefühl hätte«, sagte er. »Dann nämlich wären deine natürlichen Instinkte umwölkt. Wenn du nervös bist, ist das ein gutes Zeichen. Wenigstens gehst du die ganze Sache mit offenen Augen an.«
Sie kam hinüber zu seinem Sessel, bückte sich neben ihn, nahm sein Kinn in die Hand und zwang ihn, sie anzusehen. »Hilf mir«, sagte sie.
Er sah sie mitleidslos an. »Du brauchst meine Hilfe nicht. Du hast alles unter Kontrolle. Du hast ganze Heere, falls du Schutz brauchst. Du hast Ratgeber, falls du Rat brauchst. Du hast einen Staatsschatz, falls du neue Kleider und anderes Spielzeug haben willst, auch wenn die Götter allein wissen, warum das der Fall sein sollte. Du hast meine Schatztruhen geleert, um all das zu kaufen. Welche Hilfe könnte ich dir also geben?«
»Sag mir, ob ich das Richtige tue.«
»Nein. Das weißt du bereits. Du bekommst nicht erst morgen deine Krone, du hast schon eine, die dir um den Kopf wirbelt. Wenn du die Zeremonie absagen willst, dann tu es. Darin sieht hier außer dir niemand ein Problem.«
»Ist das alles? Das ist dein bester Rat?«
Er kicherte. »Meinen besten Rat habe ich dir schon vor langer Zeit gegeben: Zieh das Kinn ein, denn du wirst eine Abreibung bekommen. Rechne damit und sei bereit; vielleicht siehst du es sogar kommen. Das bezieht sich nicht nur auf Schlachten und Taktik.«
Gegen ihren Willen musste Rhapsody lächeln. »Davon gehe ich aus. Kannst du hier bleiben?«
»Eben hast du mich noch gefragt, warum ich es mir bequem mache.«
»Da hatte ich noch gehofft, du würdest mich mitnehmen.«
»Du musst selbst entscheiden, ob du gehen oder bleiben willst. Das kann ich dir nicht abnehmen.«
Rhapsody seufzte ein weiteres Mal und trat wieder zum Fenster. Sie schaute hinaus in die Finsternis des Hofes, erkannte aber weder die Tribüne noch das Podest. Sie lehnte den Kopf gegen das kühle Glas.
»Ich bleibe.«
Hinter ihr lächelte Achmed. »Wie dem auch sei, brauchst du dich nur umzudrehen, wenn du fertig bist. Ich werde immer dicht hinter dir sein.«
»Äh, Herrin, darf ich Euch für einen kurzen Augenblick belästigen?«
Rhapsody zog den Gürtel um ihr Seidenkleid und öffnete die Tür zu ihren Gemächern. »Ja, Sylvia?« Sie schirmte die Augen vor der Morgensonne ab, deren Licht sich durch das Fenster neben der Tür ergoss.
Die Kammerdienerin rang nervös die Hände. Sie war eine ältere Frau, die Rhapsody sehr mochte. Ihre mandelförmigen Augen, obsidianschwarz wie die der Lirin der Städte, blinzelten im Morgenlicht, als sie mit ruhiger Stimme zu sprechen versuchte.
»Da ist ein ... ein Herr, der Euch sehen möchte und der sagt, er sei ein herbeigebetenes Mitglied Eurer Ehrengarde.«
Rhapsody ergriff beruhigend die Hände der Frau. Vielleicht war es Anborn; seine Schroffheit übte oft eine einschüchternde Wirkung auf die Leute aus. »Worum geht es?«
»Er ... nun ja ...«, stammelte die Kammerdienerin ängstlich. »Er ist groß, Herrin.«
Ein erfreutes Lächeln legte sich über das Gesicht der zukünftigen Königin. »Oh, natürlich! Bitte führe ihn sofort herein.«
Sylvia erblasste. »Hier herein, Herrin?«
Rhapsody streichelte der Frau über die Wange. »Es ist schon in Ordnung, Sylvia. Er ist ein alter Freund einer meiner liebsten. Bitte bring ihn her.« Sylvia starrte sie an, nickte dann und verschwand. Einen Augenblick später betrat ein gewaltiger, grinsender Firbolg den Raum. Rhapsody rannte erfreut in seine Arme.
»Grunthor! Ich bin so froh, dich zu sehen.«
»Ganz meinerseits, Herzchen«, erwiderte der Sergeant und gab die Umarmung zurück. Dann setzte er sie vorsichtig wieder auf dem Boden ab und schlug die Hacken zusammen. »Ich dank dir dafür, dass du mich in deine Ehrengarde aufgenommen hast.«
»Aufgenommen? Sie steht unter deinem Kommando.«
Grunthor grinste vor Freude. »Oh, wundervoll. Also, ich bin sicher, das wird ihnen gefallen!«
Rhapsody lachte. »Nun, es wird bestimmt eine große Freude sein, euch zuzusehen. Es muss an diesem schrecklichen Tag doch wenigstens etwas geben, worauf man sich freuen kann.«
»Na na, das will ich aber nich hören«, meinte Grunthor ernst. »Das is’n wichtiger Tag, wirklich. Hab schon immer gedacht, so was hast du verdient, nachdem du von zu Hause fort musstest und so weiter. Dein Wald ist bestimmt’n schöner. Bist du glücklich hier?«
»So glücklich wie ich sein kann, wenn ich von dir und Achmed getrennt bin, glaube ich«, meinte Rhapsody und hielt ihm das Frühstückstablett entgegen. »Bist du hungrig? Sieht hier irgendetwas verlockend für dich aus?«
»Hast du ’n paar von diesen kleinen mit Lirin gefüllten?«, fragte der Bolg ernsthaft, während er mit der Klaue über eine der Pasteten strich. »Die hab ich am liebsten.«
»Das ist nicht witzig«, sagte Rhapsody, obwohl auch sie lachen musste.
Grunthor betrachtete das unangerührte Tablett und gönnte sich dann einige der Delikatessen.
»Hast ja keinen Bissen gegessen, Herzchen. Na jetzt aber, na los, iss was. Sonst wirst du noch mitten in deiner eigenen Feier ohnmächtig.«
»Gut«, meinte Rhapsody und stellte das Tablett ab. »Vielleicht glauben sie dann, ich sei plötzlich gestorben, und krönen jemand anderen. Aber leider werde ich nie ohnmächtig.« Sie nahm eine Pastete und biss hinein.
Ein Klopfen ertönte an der Tür. »Seid Ihr fertig, Herrin? Die Prozession stellt sich auf.«
»Mmmment«, nuschelte Rhapsody mit dem Mund voller Pastete. Sie schluckte rasch. »Ich bin gleich fertig, Sylvia.« Gedankenlos zog sie ihr Kleid vor Grunthor aus, glättete den Unterrock und rannte in das Ankleidekabinett. Das wunderbare Kleid, an dem die Näherinnen endlos gearbeitet hatten, hing auf einem Satinbügel. Sie nahm es vorsichtig ab und schlüpfte hinein.
»Grunthor, machst du bitte mal den untersten Knopf zu?« Sie reichte ihm den Knopfhaken. Er starrte das Instrument hilflos an, als Sylvia noch einmal klopfte und eintrat. Sie hielt eine glitzernde Perlenkette in der Hand, ein Geschenk der See-Lirin, das in Rhapsodys Haar gewoben werden sollte.
»Lass mich das tun«, sagte sie rasch und knöpfte eigenhändig den unteren Teil von Rhapsodys Kleid zu. »Dreht Euch um, Herrin, und lasst Euch anschauen.«
Rhapsody gehorchte. Sowohl der Firbolg-Riese als auch die kleine lirinsche Kammerdienerin sahen sie erstaunt an. Ihr wunderbares Haar war über der Stirn zu Mustern gelegt, die an kleine goldene Blumen erinnerten. Die vorderen Locken waren zurückgekämmt, sodass ihr schönes Gesicht ganz frei war. Der Rest der Haare war am Hinterkopf zu einem weichen Knoten zusammengesteckt und mit einer Nadel gesichert, die jene sandkorngroßen Splitter des Diamanten enthielt, welche zu klein gewesen waren, um bei der Herstellung der Krone Verwendung zu finden.
Das Kleid selbst war ein Wunder. Es passte vollkommen zu Rhapsodys Figur und Farbe, schimmerte irisierend und bestand aus einem Seidenstoff, der alle Farben des Regenbogens enthielt und gleichzeitig weiß glänzte. Die lirinschen Näherinnen wussten besser als alle anderen, wie man einen lirinschen Körper bekleidete, und sie hatten Rhapsodys Figur betont, indem sie das Kleid ihren schlanken Linien angepasst hatten. Die langen Ärmel liefen an den Handgelenken spitz zu; die Taille war unter dem Bauch angesetzt und in einem Unterteil fortgeführt, das bis auf den Boden reichte. Ein Umhang aus weißem Satin lag um die Schultern des Kleides, sowohl zur Zierde als auch um sie in der Winterkälte warm zu halten. Als sie sich umdrehte, lugten die Spitzen winziger Schuhe hervor.