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Rhapsodys feindselige Haltung gegenüber Tristan Steward war in ganz Ylorc Legende, und der Prinz von Sorbold war ein griesgrämiger, ausgelaugter alter Mann, der ungeduldig darauf wartete, dass seine uralte Mutter endlich starb, damit er endlich den Thron besteigen konnte. Rhapsody hatte ihn nur einmal getroffen und war über seine Verdrießlichkeit so verärgert gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie vernarrt er in sie war. Nachdem sie sich mit Ashe auf die Reise zu Elynsynos begeben hatte, hatte der Prinz Botschafter zu Achmed geschickt, die bei ihm um Rhapsodys Hand angehalten hatten. Der König der Bolg hatte sich hämisch darauf gefreut, ihr bei ihrer Rückkehr diese Neuigkeit zu überbringen. Das Feuerwerk ihres Zorns wäre gewiss so eindrucksvoll gewesen, dass es sich gelohnt hätte, dazu Gäste einzuladen. Aber er hatte es ihr nie gesagt.

Hinter den Prinzen kamen die orlandischen Herzöge Martin Ivenstrand von Avonderre und Stephen Navarne, die Herrscher von Yarim und Bethe Corbair, die ihm freundlich zugenickt hatten, als sie in den Hof gekommen waren. Stephen hatte ihm bedeutet, dass er ihn später noch sehen wollte. Den Herzögen folgte eine kleine Gesandtschaft filidischer Priester unbedeutenden Ranges aus Gwynwald, die nur gekommen waren, um in der Abwesenheit Khaddyrs und seiner Häscher die Religion zu repräsentieren. Die Priester wurden von der Kammerdienerin und ihren Untergebenen neu aufgestellt, da vor einigen Augenblicken eine neue Gruppe eingetroffen war. Laute des Staunens hatten sich erhoben, als die Gruppe aus einer gewaltigen Kutsche ausgestiegen war, die von den Toren Tyrians aus bis hierher von den Wachen eskortiert worden war.

Aus der Kutsche waren die orlandischen Seligpreiser Ian Steward von Canderre-Yarim, Lanacan Orlando aus Bethe Corbair und Colin Abernathy gestiegen, dessen Sitz sich in der Neutralen Zone im Süden Tyrians befand. Sie wurden gefolgt von Nielash Mousa, dem Segner von Sorbold, der als Einziger die Robe seines Landes trug, deren frohe Farben sich von den blassen Gewändern Rolands eindrucksvoll abhoben. Schließlich stieg auch Philabet Griswold, der Segner von Avonderre-Navarne aus; auf seinem Gesicht lag ein überhebliches Lächeln. Er streckte die Arme in das Innere der Kutsche und half freundlich einem gebrechlichen Mann in goldenen Kleidern und mit einer hohen Mitra aus dem Wagen. Es war der Patriarch von Sepulvarta.

Obwohl es unwahrscheinlich war, dass einer der Anwesenden ihn zuvor schon einmal gesehen hatte, wussten alle sofort, dass dies der Patriarch war. Sein Erscheinen war es, das die Laute des Erstaunens hervorgerufen hatte. Nach einem Augenblick des Schocks brach hier und dort verhaltener Beifall aus, schwoll an zu einem höflichen Klatschen und wurde schließlich von einer Welle froher Rufe abgelöst.

Als der Patriarch langsam vorwärts torkelte, traten seine Seligpreiser sowie die orlandischen Herzöge zurück und machten ihm Platz in der ersten Reihe. Die beiden Prinzen, die darum gewetteifert hatten, die ersten Gratulanten zu sein, gaben ihre Positionen auf und reihten sich hinter ihm ein. Falls sie Groll gegen ihn verspürten, verbargen sie ihn gut. Der Patriarch schüttelte den Kopf und verneigte sich leicht. Damit wollte er andeuten, sie sollten ihre Plätze behalten. Nielash Mousa und Philabet Griswold traten rechts und links an seine Seite und halfen ihm die Schritte zur Tribüne hoch. Die anderen Segner folgten ihnen; dahinter kamen die Herzöge, die übrigen Ehrengäste und das Volk von Tyrian.

Die Menge schwoll noch mehr an, als Rhapsodys Zug den Rand der Stadtmauer erreichte, und wartete darauf, dass die Königin und ihre Ehrengarde ausstiegen und das Podest Hochschritten, um die Segnungen und Grüße aller Wohlwollenden entgegenzunehmen. Die Ehrengarde näherte sich gerade der Tribüne, als sich plötzlich die Welt um Achmed drehte. Die offen liegenden Nerven und Venen seines Hautgewebes stachen und pochten in pulsierendem Leben; der Rhythmus seines Pulses glich sich einem fremden an, einem sehr nahen. Einen Moment später war es vorbei, doch dann kehrte es zurück.

Er atmete die kalte Winterluft ein und hoffte, dadurch wieder einen klaren Kopf zu bekommen, doch stattdessen roch er die Luft der alten Welt und seines vorigen Lebens. Es machte ihn krank; es schwappte in seine Lunge wie brackiges Wasser. Er sah sich um, und zum ersten Mal in seinem Leben spürte er, wie die Menge umherwirbelte und wie Meereswellen gegen ihn anströmte, als befände er sich in einer starken Brandung. Er hatte Grunthor aus den Augen verloren, ebenso die Mauer, gegen die er sich gelehnt hatte, und die ganze Welt einschließlich seiner eigenen Existenz.

Genauso plötzlich kam er wieder zu sich. Anstatt das Gefühl des Ertrinkens zu bekämpfen, das durch den Geruch verursacht wurde, sog er diesen tief in seine Lunge. Er öffnete dem Gestank Mund, Hände und Augen, so wie er es in den alten Jagdtagen gemacht hatte, und wie ein Blitz schlug es in seinem Geist ein:

F’dor.

Er war auf ihn gestoßen. Er war hier. Achmed schüttelte den Kopf, um Augen und Geist zu klären, und stellte fest, dass er sich an derselben Stelle befand, wo er zum ersten Mal seinen Feind aufgespürt hatte. Der gemeinsame Blutrhythmus klopfte in seinen Adern und schlug wie eine Kriegstrommel in seiner Brust, dann bewegte er sich wieder fort.

Grunthor war abgestiegen und ging auf seinem Weg zur Tribüne in diesem Augenblick an Achmed vorbei. Achmed berührte ihn am Ellbogen. Ohne aufzusehen, bückte sich der Riese in einigem Abstand und lauschte den Worten seines Freundes.

»Er ist hier; der Meister des Rakshas ist hier.«

Grunthor beobachtete Achmeds Blick, um die Richtung zu erfahren. Die Augen des Königs waren weit aufgerissen und starr; er suchte noch immer die Menge ab. Dazu benutzte er nicht nur seine Augen, sondern atmete die Spuren von Geruch und Atem und Identität ein, die durch den Winterwind strömten, und verglich sie mit dem Blut, das er aufgenommen hatte. Die anderen beiden Mitglieder der Ehrenwache gingen an ihm vorbei; Anborn warf ihm dabei einen misstrauischen Blick zu. Der Gestank brennenden menschlichen Fleisches wurde stärker und verschwand dann wieder, als der Wind auffrischte.

Rhapsody befand sich jetzt auf der Tribüne. Das Podest war so errichtet, dass sie es von hinten betreten und sich daher nicht durch die Menge davor kämpfen musste. Anborn, Gwydion Navarne und Grunthor nahmen ihren Platz hinter ihr ein; der Bolg-Sergeant stellte sich unmittelbar vor ihren Rücken. Ihr Blick wanderte von Achmed zu der Menge und erwartete das Zeichen des Dhrakiers.

Achmed musste näher herankommen, aber wenn er den Dämon spürte, bestand die Möglichkeit, dass dieser ihn ebenfalls bemerkte, falls er nicht besonders vorsichtig war. Er suchte den Hof nach einer geeigneten Nische ab, von der aus er unbemerkt beobachten konnte.

Während er umherging, wickelte er ein Lederband über die Löcher der Flöte und verbarg sie in den Falten seines Umhangs. Die kalten Metallpfeile hatte er zu einer komplizierten Brosche zusammengefügt, die nun gefährlich nah über seinem Herzen auf und ab hüpfte; es war die Nadel, über die Rhapsody ihre Bemerkungen gemacht hatte. Er spürte die Schärfe der vergifteten Geschosse durch das feine, dünne lirinsche Zeremonialhemd, das er auf Rials Wunsch trug. Als er sich dem Thronpodest näherte, dünnte sich der Geruch aus und wich dem beißenden Gestank des F’dor. Er war in der offenen Luft des Hofes viel deutlicher zu riechen als in jeder Basilika.

Achmed sog den Geruch ein und nahm ihn mit den Handflächen auf. Er schloss die Augen und versuchte, seinen Herzschlag mit dem des F’dor in Einklang zu bringen und nicht wieder zu verlieren. Rasch gelang es ihm, aber es war immer noch unmöglich zu sagen, wem in der großen Menschenmenge dieser Herzschlag gehörte. Die Spannung des Ereignisses verband sich mit den Räucherungen und dem Reichtum der Düfte, welche die Abgesandten aus mehr als einem Dutzend verschiedener Länder ausströmten. Er kämpfte darum, den uralten Geruch von all den anderen, unwichtigen zu trennen und auf die Stimme seines Blutes zu vertrauen, welche die ganzen Nachtmahre dieser Welt mit dem Grauen der vergangenen verband. Absichtlich suchte er nach dem bitteren Geschmack und fühlte das beängstigende Schlagen. Er verband sich selbst damit.