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Schließlich fand Tristan, was er gesucht hatte. Er breitete die Blätter auf dem langen Tisch neben dem Fenster aus und winkte McVickers ungeduldig zu. Der Soldat kam herbei und stellte sich zu seinem Herrn. Er betrachtete die Landkarten, die der Prinz auf dem Tisch zurechtlegte. Nach einer Weile fragte er: »Canrif, mein Herr?«

»Ja«, antwortete Tristan und glättete die Ecken einer alten Landkarte, die sich beinahe selbst wieder aufgerollt hatte. »Die Bolglande.«

»Mein Herr?«

Stewards Augen glitzerten vor Ungeduld. »Was verstehst du daran nicht, McVickers? Ich habe Stephen Navarne gerufen und ihn gebeten, aus seinem Museum die Zeichnungen von den Tunneln und Bergdurchgängen mitzubringen, die in cymrischer Zeit gebaut wurden. Ich glaube nicht, dass es seitdem viele Veränderungen gegeben hat. Die meisten Umbauten werden die äußeren Verteidigungsanlagen, die Außenposten und vielleicht die Feldtunnel betreffen, die als Brustwerke bekannt sind.«

»Ich ... ich verstehe nicht, mein Prinz«, stammelte McVickers, als ihm die gewaltige Dimension dessen aufging, was der Prinz plante. »Ihr ... ihr wollt doch nicht etwa ... die Bolglande angreifen, mein Prinz?«

Der Wahnsinn in Tristans Augen leuchtete heller als das Morgenlicht draußen vor der Bibliothek. Seit der Krönung war er wütend und enttäuscht, als der unerwartete Tod des Patriarchen eine Panik verursacht und ihn dadurch einer Privataudienz bei der neuen lirinschen Königin beraubt hatte, nach der es ihn so sehr verlangt hatte. Er war gezwungen gewesen, sofort zusammen mit den Seligpreisern und den anderen Provinzfürsten abzureisen und zur Beerdigung nach Sepulvarta zurückzukehren. Rhapsody hatte nicht daran teilgenommen; sie hatte dem alten Mann bereits Lebewohl gesagt.

Aber wenigstens hatte sie sich nun in Tyrian niedergelassen.

Fern von den Bolg-Landen .

Aus der Schusslinie.

»Ja, McVickers«, sagte er mit düsterer Stimme. »Ja, das will ich. Der Berg ist sowieso im Moment nur noch eine leere Hülle. Irgendeine Seuche hat das Heer und die meisten Einwohner vernichtet. Die übrig gebliebenen Bolg müssen an Ort und Stelle bleiben, damit sich die Seuche nicht bis nach Roland ausdehnt. Versammle deine Generäle und beginne mit den Einberufungen. Ich will ausrücken, sobald alle Provinzen ihre Soldaten geschickt haben. In zwei Monaten werden die letzten Truppen aus Yarim hier eintreffen.«

McVickers nickte und spürte dabei das Beil des Henkers über sich schweben.

»Ja, mein Prinz.«

Lianta’ar, die Basilika des Sterns, Sepulvarta

Die schieren Ausmaße der Kathedrale, deren gewaltige Kuppeldecke eine Halle von der Länge und Breite mehrerer Hauptstraßen überwölbte, machten Achmed nur noch nervöser. Der Bolg-König hatte Grunthor bis zur Sprachlosigkeit verblüfft, als er angekündigt hatte, er wolle noch einige Momente in der Nähe der Stern-Basilika bleiben, nachdem die Seligpreiser gemeinsam mit den Trauernden gegangen waren und die Nacht am Ende der Begräbnisriten für den Patriarchen hereinbrach. Lanacan Orlando, der es abgelehnt hatte, an der Zeremonie teilzunehmen, um im Hause des Patriarchen zurückbleiben zu können und den trauernden Abt und die Priester zu trösten, war bereits auf der Heimreise nach Bethe Corbair. Sein Gefolge bewegte sich nach Norden auf die Kreuzung der Hauptstraßen durch Orland zu, die zu cymrischen Zeiten gebaut worden waren und Roland von der Küste bis zu den Zahnfelsen teilten. Achmed vermutete, dass sie ihn ohne Schwierigkeiten einholen konnten, wenn sie über Land reisten.

Du weißt, warum er im Haus geblieben ist?, hatte Achmed gefragt.

Um noch mehr Leute zu bannen?

Ja, und weil er die Basilika nicht betreten kann. Sie steht auf geheiligtem Boden.

Der riesige Sergeant-Major stand noch immer verwirrt bei der Hintertür in der dunklen Vorhalle neben dem Eingang zum Hauptschiff, dem größten Teil der Basilika, in dem die Gläubigen während der Zeremonien saßen oder standen. Er stieß mit den Zehen den Abfall beiseite, der von der Beerdigungszeremonie übrig geblieben war: verstreute Federn, die von der Versammlung hochgeworfen worden waren, um der Seele des Patriarchen schneller zum Licht zu verhelfen, und nun verschmutzt von den Sohlen zehntausender Füße inmitten einer Wachsflut und zerfetzten Blumenblättern lagen. Er fragte sich müßig, ob etwas von der Asche des Leichnams, der in einem großen Becken auf dem Altar verbrannt worden war, in den Ruß eingegangen war, der die wunderbaren Mosaike auf dem Boden unter seinen Stiefeln schwärzte.

Achmed schaute zum fünften Mal über die Schulter und vergewisserte sich, dass er wirklich allein in der großen Kathedrale war. Dann machte er sich zögernd auf den Weg durch einen der Hauptgänge zum Heiligtum, wo der Brandaltar auf einem großen Podest stand, zu dem viele Stufen hinaufführten. Vor der Kathedrale läuteten endlos im Turm die Totenglocken. Als er den Fuß der Stufen erreicht hatte, blieb er stehen und räusperte sich nervös in dem Rauch, der noch immer schwer in der Luft hing.

»Ich hasse Priester«, sagte er laut und hielt die Augen auf die Kohlen gerichtet, die verglüht waren, nachdem man sie mit heiligem Wasser übergössen hatte. Er sah das Brandbecken an, aus dem sich ein vorwitziger Rauchfaden erhob.

Achmed rieb sich den Nacken, während er in Richtung des schwelenden Haufens aus Gezweig und Asche sprach.

»Ich bin hergekommen, um auszudrücken, dass es mir Leid tut«, sagte er ruhig. »Ich hätte es nicht getan, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte.«

Die Kathedrale antwortete mit Schweigen, wenn man von den endlosen Schwingungen der läutenden Glocken absah.

»Dein Tod hat ihr das Leben gerettet. Wenn du die Wahl gehabt hättest, wärest du sicherlich damit einverstanden gewesen, auch wenn ich dich nicht gekannt habe.«

Eine plötzliche Welle des Unbehagens durchflutete Achmed. Er drehte sich schnell auf dem Absatz um und eilte durch den Gang auf die schattige Vorhalle zu. Als er sie beinahe erreicht hatte, drehte er sich noch einmal in die Richtung des Altars, der nun in völliger Finsternis lag.

»Lebe wohl, Vater«, sagte er.

63

Tyrian

Ihre Arbeit an den Listen war an diesem Morgen besonders ermüdend gewesen, und Rhapsody hatte ihr Bad in Dankbarkeit genossen. Sie kam erfrischt in ihre Bettkammer, gekleidet in eine der schlichten, kunstvollen Roben, welche die lirinschen Näherinnen für sie entworfen hatten. Diese Kleidung war angenehm zu tragen und verschaffte dem Körper ein Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit, und die Farbe passte wunderbar zu ihren Augen. Mit einem tiefen Seufzer fiel sie auf das Bett und betrachtete die anmutigen Bäume, die als Bettpfosten dienten, die ineinander verschlungenen Zweige, die den Baldachin bildeten, und die spitzenartigen Blätter, die Sonnenumrandete Schatten in tanzenden Mustern auf das Bett und über sie warfen. Das Feuer knisterte im Kamin, vertrieb die Kälte aus dem Raum und wärmte die Bäume, die auf diese Weise sogar im Winter einen Sommer erlebten.

Aus dem Hof unter ihr hörte sie das Hallen ferner Schritte. Sie stand auf und ging zum Fenster, wischte die Eisblumen ab und schaute hinaus. Am Rande der Palastmauern sah sie, wie eine große Anzahl von lirinschen Wachen und eine ungeheure Besuchermenge eine ungerade Linie bildeten. Die Linie wurde länger und länger, als sich noch mehr Leute in sie einreihten. Sie lachten und rempelten sich an; hier und da entstanden Streitereien. Die Kälte dämpfte ihren Lärm nicht; Luftschwaden stiegen von den fernen Gesprächen auf.

Rhapsody legte sich einen weichen Mantel um, zog die Stiefel an und verließ ihre Gemächer. Sie suchte nach Rial, der nun Vizekönig und Hauptratgeber war. Während der kurzen Zeit ihrer bisherigen Regentschaft hatte sie sich ganz auf ihn verlassen, wenn es um die Verwicklungen bei Hofe oder um Staatsangelegenheiten ging. Sie vertraute darauf, dass er wusste, was dort vorging. Sie fand ihn in der Nähe der Mauer, nicht weit entfernt von der Versammlung, und beobachtete mit finsterer Miene, wie die Wachen und Schreiber die Besucher und die Gegenstände verzeichneten, die jeder von ihnen mitgebracht hatte. Sie stellte sich neben ihn und berührte ihn am Ärmel.