»Natürlich.«
»Was ist mit dir geschehen? Du bist eindeutig nicht mehr das Mädchen, das ich vor einiger Zeit beinahe in den Straßenstaub getreten hätte.«
»Nein, das bin ich nicht mehr«, stimmte sie ihm zu.
Seine Stimme wurde ungewöhnlich sanft. »Ist es dasselbe, was mit dem Gladiator passiert ist?«
»O nein, überhaupt nicht. Ich bin einfach nur erwachsen geworden und habe begriffen, was möglich ist und was nicht, Anborn. Ich musste feststellen, dass mich praktische Erwägungen weniger kosten als mein früherer Idealismus, und es ermüdet mich, Dinge haben zu wollen, die ich nicht haben kann. Alles, was ich jetzt noch ersehne, ist Frieden. Und dass die Erde das Kommende überlebt.«
Anborn stützte das Kinn in die Hände und sah sie an. »Wie schade«, meinte er schließlich. »Auch wenn ich zugebe, dass du viel angenehmer im Umgang bist, muss ich doch gestehen, dass ich die andere Rhapsody vermisse. Du bist viel zu jung und schön, um so alt und müde zu klingen.«
»Ich bin alt und müde, Anborn übrigens viel älter als du.«
»Nur theoretisch.«
»Zugegeben. Aber du sollst nicht glauben, dass ich immer so sachlich bin. Es gibt immer noch Dinge, die mir sehr wichtig sind, und ich habe noch meine Musik. So lange das so bleibt, werde ich hoffentlich nicht allzu langweilig sein.«
Anborn sah sie lange an. Sie wandte den Blick nicht ab und wirkte nicht unangenehm berührt, sondern hob bloß ihren Kelch und trank ihren Wein aus. Schließlich sagte er mit einem schwachen Lächeln: »Nein, das wirst du nicht sein. Nun, ohne ein Zugeständnis zu machen denn das war nicht Teil der Gesprächsvereinbarung , muss ich sagen, dass ich sehr interessiert bin. Und ich fühle mich übrigens auch überaus geehrt. Ich glaube, du wärest die beinahe vollkommene Frau für mich, Rhapsody. Solange du mir die Freiheit zugestehst, zu kommen und zu gehen, wann ich will, würde ich die Aussicht darauf genießen, dein Beschützer und Wächter zu sein. Ich glaube, wir teilen viele Interessen. Es gibt etliches, was wir einander beibringen können. Und auf alle Fälle würde ich eine körperliche Beziehung mit dir sehr genießen wenn dem nicht so wäre, müsste ich schon tot sein. Du hast Recht: In der Ehe wird die Liebe überbewertet und ist keinesfalls der wichtigste Bestandteil.«
»Das habe ich nie gesagt«, meinte Rhapsody ernsthaft. »Ich habe nur gesagt, ich glaube nicht, dass es für uns der wichtigste Bestandteil wäre.«
»Ich gebe meinen Irrtum zu.« Sein Blick wanderte über ihr Gesicht und den Oberkörper, als suchte er etwas; einen Herzschlag später schien er es gefunden zu haben. »Weißt du, die Lirin mögen mich nicht sehr. Es ist eine verständliche Feindschaft, die aus dem Krieg herrührt. Könnte das für dich zu einem Problem werden?«
Rhapsody lächelte. »Wenn die Lirin ein Problem damit haben, werde ich gern abdanken. Was ich an der tyrianischen Gesellschaft am meisten schätze und was der Hauptgrund dafür gewesen ist, dass ich die Krone angenommen habe, ist der Umstand, dass sie einem nicht vorschreiben, wen man zu heiraten hat. Vielleicht tragen wir ein wenig zum lange überfälligen Heilungsprozess nach dem Krieg bei.«
Ein Ausdruck offener Bewunderung schlich sich in seine Augen. »Du bist eine erstaunliche Frau, Rhapsody äh, Euer Majestät.«
Sie zog eine komisch saure Schnute. »Ach, bitte.«
»Ich fühle mich durch deinen Vorschlag wirklich geehrt. Ja, wenn du einen Ehegatten haben willst und närrisch genug bist, mich zu nehmen, dann wäre mir an dieser Stellung sehr gelegen.«
»Vielen Dank«, sagte sie, lächelte und setzte sich auf. »Ich werde über deine Worte nachdenken und schätze deine Aufrichtigkeit.«
»Wenn du bei deinen Einladungen zum Essen immer über solche Themen reden möchtest, können wir das zu einer regelmäßigen Veranstaltung machen«, sagte Anborn, erhob sich und verneigte sich höflich. »Ich glaube, du weißt, wie du mich erreichen kannst, wenn du zu einer Entscheidung gekommen bist.«
»Ja«, sagte sie und stand gleichzeitig mit ihm auf. »Vielen Dank für dein Kommen. Ich gehe mit dir bis zu Oelendras Haus. Ich muss mit ihr noch ein paar Dinge besprechen.«
»Übermittle ihr meine besten Grüße«, meinte Anborn und hakte sich bei ihr unter. »Hast du übrigens schon mit ihr über diese Angelegenheit gesprochen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Rhapsody. »Ich war der Meinung, du solltest der Erste sein, der davon erfährt.«
Anborn lachte. »Wir werden gut miteinander auskommen, Rhapsody«, sagte er. Gemeinsam schlenderten sie zu Oelendras Haus.
An der Abzweigung zur Kate der lirinschen Meisterin nahm Anborn Rhapsodys Hand und küsste sie.
»Auf Wiedersehen, Euer Majestät.« Er nickte höflich Rial zu, der soeben den Pfad entlangkam. Der lirinsche Vizekönig gab das Nicken kühl zurück. »Vielen Dank für das bemerkenswerte Essen. Ich werde über Eure Worte nachdenken.«
»Vielen Dank und gute Reise.«
Rial wartete, bis Anborn im Wald verschwunden war, und schloss zu ihr auf.
»Wenn Eure Majestät erlauben ...«
»Rhapsody, bitte.«
»Ja, Verzeihung. Es gibt einige Dinge, über die ich mit Euch gern reden möchte.«
Rhapsody drehte sich um und ging weiter auf Oelendras Haus zu. Sie bedeutete ihm, ihr zu folgen. »Worüber?«
»Die Lirin aus der Ebene erbitten Euren Beistand wegen einer Steuersenkung für ihre landwirtschaftlichen Ausfuhren nach Manosse und Groß-Overward. Da das Reich jetzt vereinigt ist, seid Ihr dafür zuständig ...«
Rhapsody beschleunigte ihre Schritte. »Glaubst du, ich sollte ihrer Bitte entsprechen, Rial?«
»Nun, es gibt viele gute und ...«
»Dann sei es so. Bitte kümmere dich darum. Noch etwas?«
»Die Zinnen auf der südlichen Brustwehr müssen erneuert werden.«
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dich auch darum kümmern würdest.«
»Die Grenzpatrouillen bitten um den Bau zweier neuer Langhäuser...«
Rhapsody blieb stehen. »Rial, wer hat sich um diese Dinge gekümmert, bevor ich gekommen bin?«
Der ältliche Vizekönig zuckte zusammen. »Ich, Euer ... Rhapsody.«
»Glaubst du etwa wirklich, dass ich Kenntnisse über die Erneuerung von Brustwehren habe, nur weil ich eine Frau bin?«
Rial kicherte. »Nein.«
»Sicherlich erkennst du, dass ich in dieser Hinsicht unterqualifiziert bin, selbst wenn du zu höflich bist, um genau hinzuschauen. Hundert Jahre vor meiner Ankunft warst du der Schutzherr dieses Königreiches, Rial. Du weißt viel mehr über all diese Dinge als ich. Bitte triff weiterhin selbstständig deine Entscheidungen. Rede mir nicht mühsam ein, ich sei wichtig, indem du mir Fragen stellst, auf die du die Antworten schon kennst, ich aber nicht.«
Ein Gejohle, gefolgt von heiserem Gelächter erhob sich vor dem Tor, an welchem die Freier noch immer versammelt waren. Rhapsody schaute in Richtung dieses Tores und dann wieder zu Rial. »Ich habe im Augenblick andere Dinge im Kopf.«
»Welch eine angenehme Überraschung«, sagte Oelendra lächelnd, als sie die Tür öffnete. »Es ist immer wunderbar, Euch zu sehen, Euer Majestät.«
»Oelendra, ich liebe dich, aber wenn du nicht aufhörst, mich so zu nennen, werde ich dich köpfen lassen.«
Die ältere Frau lachte. Sie gab ihre Erwiderung auf Alt-Lirin: »Mithilfe welchen Heeres?«
»Natürlich mit deinem eigenen«, erwiderte Rhapsody lächelnd in derselben Sprache. Oelendra legte den Arm um Rhapsodys Schultern und führte sie nach drinnen; dabei warf sie ihren Mantel über eine Stuhllehne. »Welchem Umstand verdanke ich das Vergnügen deines Besuches?«
»Ich muss eine Menge mit dir besprechen. Ist es gerade Ungelegen?«
Oelendra seufzte in gespielter Verzweiflung. »Rhapsody, du bist jetzt die Königin. Jemand wie du kommt niemals Ungelegen.« Sie ging zum Herd und schöpfte zwei Becher dol mwl, drehte sich um und gab Rhapsody einen davon. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass du die Privilegien deiner neuen Stellung noch immer nicht genießt?« Ihr Lächeln schwand, als sie der Sängerin in die Augen schaute und in ihnen einen fernen, verschlossenen Blick fand.