»Es ist vorüber.« Oelendra seufzte und hatte den Blick noch in die Dunkelheit des Himmels über ihr gerichtet.
»Es muss vorbei sein.«
Sie standen auf. Oelendra war sehr langsam und verspürte starke Schmerzen in den Knien. Ashe zog die Kapuze seines Mantels über.
»Ich gehe nach Elysian und warte.«
»Tu das«, sagte Oelendra und nahm ihr leichtes Gepäck auf. »Sie wird sich freuen, dich zu sehen. Und bitte schick eine Botschaft.«
»Das werde ich bestimmt tun.« Ein schrecklicher Gedanke überfiel ihn. »So oder so. Falls sie es nicht geschafft haben sollten...«
»Falls sie es nicht geschafft haben, werden wir uns einen Weg ausdenken, wie wir den Segner herlocken, und ihn dann hier töten.«
Ashe nickte wortlos und wandte sich ab.
»Gwydion«, sagte Oelendra, als sie am Rande der Lichtung stand, »du erinnerst mich mehr an die Könige von Serendair als an den Fürsten der Cymrer. Ich freue mich zu sehen, dass der Stern an der richtigen Stelle sitzt.«
Ashe lächelte die alte Frau an. »Vielen Dank.« Er machte einen Schritt und schaute wieder zurück. »Und ich bin froh, dass Rhapsody mich gebeten hat, sie zu dir zu begleiten. Zum Glück hat sie dich zur Freundin.«
Oelendra lächelte. »Das macht uns beide wohl zu Schwiegerfreunden.«
Ashe erwiderte ihr Lächeln und ging dann schweigend in den Wald. Oelendra kehrte zum ersterbenden Feuer zurück und trat geistesabwesend Erde über die verlöschenden Kohlen. Sie warf einen letzten Blick auf die Ruine des Hauses der Erinnerung und betrat den Wald.
65
Der Wind über den Krevensfeldern wehte bis in die Senken und ließ das versteckte Feuer kurz knistern und zucken. Funken flogen himmelwärts. Kurz darauf sank es wieder zu einem dumpfen Schwelen herab. Die drei schauten sich um und suchten den Horizont nach Augen ab, die möglicherweise die Glut bemerkt hatten. Die beiden kleineren Reisenden wandten sich an den Riesen, der den Kopf schüttelte, sich wieder zurücksetzte und leise ausatmete. Grunthor kannte die Erde. Wenn sich jemand in Sichtweite befunden hätte, wäre er nicht unbemerkt geblieben.
Rhapsody griff in die Kohlen. »Slypka«, sagte sie. Verlöscht. Die Flammen sanken sofort zu Asche zusammen und nahmen das Licht mit.
»Versuch ein wenig zu schlafen«, sagte Achmed zu ihr und zog sich den Kapuzenmantel über die Schultern. »Du siehst müde aus.«
Grunthor legte den Arm um sie und zog sie an seine Brust. »Nichts zu befürchten, Liebes. Wir kriegen ihn. Ruh dich jetzt aus. Wie in alten Zeiten.« Er grinste sie an. Seine Hauer standen auf eine Weise aus dem Mund, die Rhapsody inzwischen lieb gewonnen hatte, auch wenn sie wusste, dass ein Fremder diesen Anblick entsetzlich gefunden hätte.
Er las ihre Gedanken. Die Tötung des Dämons war letztendlich ihre Aufgabe. In der Dunkelheit mitten in der Nacht mit nur den Sternen als Zeugen ihrer Pläne fühlte sie sich plötzlich klein und verwundbar. Sie fürchtete nicht um ihren eigenen Tod. Es war die Möglichkeit des Versagens, unter der sie nun stärker als unter der Kälte erzitterte. Dankbar schlüpfte sie in den Überzieher, den der Sergeant für sie offen hielt. Er hüllte sie mit Wärme ein, so wie er es vor so langer Zeit an der Wurzel getan hatte. Sie stieß einen Seufzer der Erinnerung aus. Mit Ausnahme der Drachen, neben denen sie geschlafen hatte, war Grunthor der Einzige auf der Welt, der sie vor ihren eigenen Träumen beschützen konnte. Sie legte einen Arm um seine breite Hüfte und hoffte verzweifelt, er würde auch in der nächsten Nacht noch leben und sie wieder bei ihm einschlafen können. Das Wissen darum, dass sie noch nie an einem Kampf wie dem teilgenommen hatte, der sie am nächsten Tag erwartete, erschreckte sie zutiefst.
Die gewaltige Hand strich ihr ungelenk über den Kopf, und entspannt sank Rhapsody in Schlaf. Grunthor wartete, bis ihr rhythmisches Atmen ihren tiefen Schlummer anzeigte, sodass er reden konnte, ohne befürchten zu müssen, sie könne ihn hören. Er sah Achmed an.
»Wie lautet der Plan?«
Achmed schaute in den Himmel und erinnerte sich an eine Nacht unter anderen Sternen vor so langer Zeit, die von einem Sommerregen durchzogen war. Nun befanden sie sich auf der anderen Seite der Welt und suchten nach einem Dämon wie dem, vor dem sie damals geflohen waren. Der Name, den der Bolg-König trug, war nun sein eigener und stellte nicht länger ein unsichtbares Band um seinen Hals dar. Und sie waren nicht zu zweit, sondern zu dritt den Wahrsagern zufolge eine Unglückszahl, auch wenn das schwer zu glauben war, wenn man sich den Neuzugang zu ihrer Gruppe ansah, der sich gerade in Grunthors Arme kuschelte.
»Sobald es beginnt, ist es ihr Kampf und deiner. Ich kann mich nur auf das Bannritual konzentrieren«, sagte er leise. Der übliche Sand in seiner Stimme wurde noch trockener. »So lange das Bannritual steht, werde ich mich nur darum kümmern. Falls Rhapsody nicht mehr kämpfen kann, musst du ihr Schwert nehmen und die Bestie töten.« Der Bolg nickte. »Wenn das Bannritual aufhört, muss der Dämon aus seinem gegenwärtigen Wirt fliehen. Bring jeden um, der noch atmet.« Grunthor nickte erneut.
»Sie kriegt das hin, nicht wahr?«, meinte er gedämpft und strich ihr mit der Hand über den Rücken. Rhapsody nickte im Schlaf und flüsterte Worte, die nicht einmal sie verstand. Achmed sah hoch zum Himmel. »Ich hoffe, du hast Recht.«
»Euer Gnaden?«
In der Dunkelheit seiner Studierstube wandte sich der Seligpreiser dem einsamen Rechteck aus Licht zu, das durch die offene Tür fiel.
»Ja?«
»Aus Sorbold ist die Nachricht eingetroffen, dass die Lirin-Königin Tyrian verlassen hat. Sie ist vor zehn Tagen gesehen worden, wie sie allein über die Ebene an der Grenze der nördlichen Stadtstaaten geritten ist.«
»Wohin war sie unterwegs?«
»Man hat sie bis zum Rand der Zahnfelsen verfolgt und dort ihre Spur verloren.«
Von der Tür aus konnte Gittelson nur den Umriss des Seligpreisers erkennen, der in seinem Sessel saß. Dann öffnete Lanacan Orlando die Augen. Zwei weiße Punkte leuchteten im Dunkel auf und waren umrandet von der Farbe des Blutes. Er lächelte. Ein dritter Lichtfleck erschien in der Finsternis und glitzerte vor Freude.
»Vielleicht ist die Hure läufig«, sagte das Gespenst mit warmer und sanfter Stimme. »Ihr erwählter Hengst jagt hinter Khaddyrs armen Gefährten her. Vielleicht will sie dem Fir-Bolg-König in die Arme laufen.«
»Vielleicht, Euer Gnaden.«
Der Stuhl drehte sich wieder langsam von ihm weg. »Sei kein Narr, Gittelson. Sie kommt her.«
»Das Essen an diesem Ort war entsetzlich. Warum willst du dorthin zurückkehren?«
Rhapsody gab dem Fir-Bolg-König einen freundschaftlichen Stups. »Mit dem Herbergsessen war alles in Ordnung«, sagte sie. »Es war die Gesellschaft, gegen die du etwas hattest. Dort hast du Ashe zum ersten Mal getroffen.«
»Das erklärt alles. Kein Wunder, dass sich mir der Magen umgedreht hat.« Achmed schaute sich auf der Straße um, sah aber Grunthor nirgendwo. Die Mittagssonne warf nur unbedeutende Schatten. Vermutlich lauerte der Sergeant irgendwo im Hauseingang einer Seitenstraße und wartete auf einladendere Schatten. Er hielt Rhapsody einen Stuhl hin und sah zu, wie sie sich die Kapuze enger um den Kopf zog, während sie sich setzte. Der Wind war kalt; sie waren die einzigen Gäste, die vor der Taverne saßen, während die anderen im Innern und näher beim wärmenden Feuer und dem Bier Platz genommen hatten.
Die Glocken der Basilika läuteten wild im Wind; süße, beiläufige Musik schwebte durch die Straßen und über den Gebäuden von Bethe Corbair. Es waren Laute, die in Rhapsodys Seele widerhallten, doch das Wissen, dass irgendwo unter dem Glockenturm das undenkbar Böse lauerte, nahm ihr die Freude an der Musik. Sie neigte den Kopf und schlug die Augen nieder, als Achmed Rum und Lamm für sich selbst und Suppe für sie bestellte. Dann warf sie noch einen Blick über die Schulter auf die Kirche, als der Wirt wieder hineinlief.