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Achmed schloss die Augen. Als er das Gebiet in der Nähe der Basilika zum ersten Mal abgesucht hatte, war ihm an den Schwingungen nichts Ungewöhnliches aufgefallen, doch der Geruch des Dämons war unverkennbar. Grunthor hatte sofort die Grenzen des verseuchten Gebiets aufgespürt. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt. Die Basilika war auf eine Weise entweiht worden, die dem Auge und den anderen Sinnen unsichtbar war. Die Verseuchung erstreckte sich bis in die benachbarten Straßen. Tausende unwissender Kirchgänger schritten über die faule Erde und wussten nichts von der dämonischen Besessenheit. Achmed zuckte unter der Erinnerung an die erste Begegnung mit Ashe in den Schatten der Basilika zusammen. Er hatte die Verunreinigung für den Bruchteil einer Sekunde gespürt und angenommen, Llaurons Sohn sei deren Quelle. Das war ein Fehler gewesen.

Rhapsody lauschte angestrengt der Musik des Glockenspiels. Ihre Suppe wurde gebracht. Sie rührte sie nicht an, sondern saß gedankenverloren da und sah geistesabwesend zu, wie sie kalt wurde. Schließlich schaute sie Achmed an. Unnatürliches Licht schimmerte in ihren smaragdgrünen Augen, und ihr Gesicht glühte.

»Ela«, flüsterte sie. Erregung flackerte in ihren Augen auf. Sie ergriff seine zitternde Hand.

»Ela«, sagte sie erneut.

»Was brabbelst du da? Ich verstehe kein Alt-Lirin.«

»Das war kein Alt-Lirin, sondern ein Ausdruck aus der Musik«, erklärte Rhapsody leise. »Es ist die letzte Note der alten, aus sechs Tönen bestehenden Tonleiter. Auf diese Weise wurde Musik zur Zeit der Erbauung der Basilika vor vielen Jahrhunderten aufgeschrieben. Ut, re, mi, fa, sol und la oder ela erst viele Jahre später nahm man das ti dazu, die siebte Note der Oktave, und do, derselbe Ton wie ut, aber eine Oktave höher. Zufällig ist es meine Namensnote die Note, auf die ich gestimmt bin.«

»Rhapsody, hör mit diesem Gerede auf. Was hat dich so aufgeregt?«

»Sie fehlt.«

»Was fehlt?«

»Ela. Die letzte Note der Tonleiter fehlt im Glockenspiel; es hat nur fünf Noten.«

»Und wie viele Glocken betrifft das?«

»Nun, Fürst Stephen sagte, dass im Turm achthundertsechsundsiebzig Glocken hängen eine für jedes cymrische Schiff, das die alte Welt verlassen hat. Wenn das der Fall ist und ma: die Glocken im Sechstonsystem in je gleicher Anzahl aufgehängt hat, müssten etwa einhundertvierzig diese Note haben.«

»Einhundertsechsundvierzig.«

»Richtig. Ich kann die anderen Gruppen heraushören, und genauso viele fehlen. Es ist ein sehr feiner Unterschied, und wenn sich das Glockenspiel schon seit langer Zeit so anhört, wird es niemand außer einem Sänger oder einer Sängerin bemerken, und auch dann nur, wenn er oder sie genau hinhört. Lanacan muss die Klöppel aus den Glocken entfernt haben, denn es wäre zu offensichtlich gewesen, die Glocken selbst abzuhängen. Das hätte er niemals geschafft, ohne Aufsehen zu erregen. Die größte wiegt bestimmt mehrere Tonnen.«

Achmed schüttete den Rest des Rums herunter. »Er ist ein kluger Hund. Das sind alle F’dor. So hat er also die Heiligung des Bodens durch den Wind umgangen. Wie können wir das wieder in Ordnung bringen?«

Rhapsody lächelte. »Ich glaube, ich weiß es. Wir sollten Grunthor finden, denn wir müssen Pläne schmieden.«

Sie war allein auf dem Marktplatz und kaufte Pfeile bei dem Waffenmacher, als Gittelson sie erspähte. Sie war kaum zu übersehen, obwohl sie sich hinter der schlichten braunen Reisekleidung einer Bäuerin versteckte. Das weiche, goldene Haar war ordentlich mit einem einfachen schwarzen Band zusammengebunden. Es spiegelte das Nachmittagslicht wider und zog die Blicke einer Hand voll Städter auf sich, die tapfer dem eisigen Wind auf dem Platz standhielten. Sie hatte Glück; es war nur das Wetter, das sie davor bewahrte, von den Händlern belästigt zu werden, die sie aus ihren Geschäften hinter den Feuern anstarrten, mit denen sie ihre Waren warm hielten. Gittelson merkte sich sorgfältig die Art und Anzahl der Pfeile, die sie kaufte es waren hauptsächlich feuerbeständige mit silbernen Spitzen , und achtete darauf, dass sie ihn nicht bemerkte.

Danach machte sie bei einem Gewürzhändler Halt, dessen Zelte sich beinahe über einen ganzen Straßenblock erstreckten und vorn offen waren. Große Leinensäcke mit Hülsenfrüchten, Wurzeln, Bohnen, Pfefferschoten und Getreide standen entlang der Straße zusammen mit Beuteln voller Kräuter und Krügen mit scharfen Gewürzblättern. Rhapsody verbrachte viel Zeit damit, eingehend den Inhalt aller Säcke zu untersuchen. Schließlich kaufte sie einige scharfe Knoblauchknollen, je zwei Bündel weißen Andorn, Beifuß und Datura sowie drei Dutzend lange, dicke Vanillestangen. Sie stopfte ihre Einkäufe hastig in einen Beutel und sah sich eilends um. Unzufrieden warf sie einen letzten Blick auf den Glockenturm, der sich über die Dächer erhob, bevor sie sich wieder in die Schatten der Nebenstraßen begab, in denen sich ihr menschlicher Schatten von ihr löste, und auf die dunkle Basilika zueilte, während die Abenddämmerung allmählich einsetzte.

»Wie enttäuschend.« Die Gestalt in der Robe blieb vor einem versilberten Spiegel in der Sakristei stehen und betrachtete das eigene Gesicht. Das Antlitz eines älteren Mannes, eines freundlichen Mannes mit schütterem weißem Haar und Lachfältchen um die Augen blickte zurück. Es war das Gesicht eines typischen Großvaters oder geliebten Dorfpriesters. »Was glaubt sie, wer ich bin, Gittelson? Ein Nosferatu Sieh in den Spiegel. Erkennst du mein Spiegelbild?«

»Natürlich, Euer Gnaden.«

»Ja, natürlich. Und wenn du, Gittelson, wenn sogar du das weißt, wie viel besser müsste es dann die Iliachenva’ar wissen. Knoblauch, Beifuß, silberne Pfeile! Also wirklich! Na, ich vermute, ich erwarte zu viel. Nach zwei Jahrzehnten hätte man denken sollen, dass Oelendra ein helleres und besser ausgebildetes Mädel als das letzte findet, aber leider scheint das nicht der Fall zu sein. Das wird viel zu einfach werden. Hat sie sonst noch etwas gekauft?«

Gittelson warf einen weiteren Blick auf die Liste, die er auf dem Markt gemacht hatte. Er hatte bereits alle Einkäufe Rhapsodys aufgezählt.

»Nein, Euer Gnaden. Danach hat sie den Markt verlassen und ist in eine Seitenstraße gegangen.«

»Gut. Wenigstens wird unser kleines Treffen kurz sein, und wir können ein wenig mit ihr spielen. Offenbar wird es mir nicht vergönnt sein, ihre ganzen ... Reize zu genießen, aber dich wird nichts aufhalten, nicht wahr, Gittelson? Der Rakshas hat gesagt, sie sei die Wucht in Tüten, das achte Weltwunder. Sobald sie ihre Unterweisung erhalten hat, gehört sie dir für die Nacht.«

»Vielen Dank, Euer Gnaden.«

Der Seligpreiser drehte sich in der Sakristei und legte seinen Schal um. »Nicht sabbern, Gittelson, das steht dir nicht gut.«

Der riesige Bolg schüttelte heftig den Kopf. »Das gefällt mir immer noch nicht.«

Rhapsody klopfte ihm beruhigend auf den Arm. »Ich weiß, ich weiß, Grunthor, aber es ist das Beste. Sag es ihm, Achmed.«

Die ungleichen Augen schauten sie kühl an. »Ich sage Grunthor nie, was er zu denken hat. Das solltest du inzwischen wissen.«

Seit den letzten zehn Minuten stritten sie sich. Der Sergeant wehrte sich standhaft dagegen, dass Rhapsody als Erste und allein losgehen sollte. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Du wirst vor der nördlichen Tür stehen, und Achmed wird sich dicht vor dem Sakristeieingang im Süden befinden. Ich bin nicht in Gefahr.«

»Du bist zu lange allein da drinnen ...«

»Welche Wahl habe ich denn?«, unterbrach sie ihn verzweifelt. »Wenn du unserem Plan nicht folgst, wird er rasch wissen, dass ihr beide hier seid. Er wird zwei und zwei zusammenzählen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich sage dir etwas, Grunthor: Ich werde im Mittelschiff bleiben, bis du an deiner Position bist. Ich werde mich nicht einmal in die Nähe der Altartreppe begeben, bis du ihn geschnappt hast. In Ordnung?«