Die Luft in ihrer Umgebung knisterte und zischte unter dem Ton, als wollte sie ihn bekämpfen. Rhapsody beschrieb in der Luft über ihr mit dem Schwert rasch einen Kreis um sich und versuchte damit den Ton und den Wind, für den der Klang bestimmt war, zu schützen. Sie hatte keine Angst vor dem Feuer; es würde ihr nichts antun.
Kurz bevor das schwarze Feuer sie traf, spürte Rhapsody, wie sich etwas in ihr regte. Das Feuer war von dem Zeitpunkt an ihr Freund gewesen, als sie im Mittelpunkt der Erde durch es hindurchgeschritten war. Es hatte sich in ihre Seele gebrannt, war mit ihrem Innersten verschmolzen und hatte sie unauflöslich mit diesem Element verbunden. Von dieser Zeit an hatte ihr zweites Ich kein Feuer gefürchtet, weil dieses Rhapsody niemals hatte verletzen wollen. Es war ihr möglich gewesen, unversehrt durch die heißesten Brände zu schreiten. Doch in dem Bruchteil einer Sekunde vor dem Aufprall des schwarzen Feuers spürte Rhapsody, wie ihre Seele zusammenzuckte. Das war kein Feuer, zumindest kein wirkliches Feuer, wie sie es kannte. Es roch anders und wirkte anders auf die Luft. Es war dünn, beißend, böse, voller Übel und Gemeinheit. Es war die blendende, zerfressende Essenz des Hasses. Und in diesem letzten Augenblick wusste sie, dass sie gegen seine Auswirkungen nicht gefeit war.
Slypka, flüsterte sie.
Das schwarze Feuer verblasste ein wenig, aber es verlosch nicht.
Ihr blieb gerade noch genug Zeit, um den Kopf abzuwenden und die Augen zu beschirmen, bevor der schwarze Feuerball explodierte, den Schutzkreis zerschmetterte und ihre Kleidung in Brand setzte. Mit einem Keuchen des Schmerzes geriet Rhapsody ins Taumeln und schlug rasend auf ihre rauchende Kleidung ein, um die Flammen zu ersticken. Die Haut an Armen und Beinen stach unter der Berührung mit den sengenden Flammen.
Lanacan Orlando schloss langsam die Faust, hielt aber den Arm ausgestreckt. Plötzlich verdrehte er ihn. Die Säure in dem schwarzen Feuer quoll wütend auf, die Hitze wurde stärker, und Rhapsody keuchte erneut.
Schmerzen durchschossen sie und wurden von kaltem Entsetzen gefolgt. Es war so lange her, dass sie in der Gegenwart von Feuer ein Zaudern oder gar Angst empfunden hatte. Daher erwischten sie die Verheerungen, welche die schwarze Kugel angerichtete hatte, völlig unerwartet. Doch wenigstens war ihr noch ein letzter Rest von Immunität verblieben. Auf ihrer Haut stach es, aber weder verbrannte sie, noch wurde sie schwarz. Rauch stieg aus ihren Kleidern auf, doch ihr Körper entzündete sich nicht.
Der Dämon am Altar starrte sie verwundert an. Wut überflutete sein Gesicht. Er verdrehte noch einmal die Hand. Seine Augen verfinsterten sich an den Rändern zu einem blutigen Rot. Die ältliche Stirn des menschlichen Kopfes legte sich in tiefe Falten. Der Seligpreiser ballte die Faust noch fester, sodass die Muskeln des schwachen Armes zitterten, und drehte diesen erneut.
Ein Schmerzensschrei entwand sich Rhapsodys Kehle, während sie auf die Knie sank und mit letzter Kraft das Schwert hielt. Nein, dachte sie verzweifelt, Nein! Ich versage! In den Tiefen ihres Geistes hörte sie die Stimme des Drachen aus ihrem Traum.
Was ist, wenn ich versage?
Das wäre möglich.
Sie versuchte auf die Beine zu kommen und stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab. Sofort gab der ebene Boden unter ihr nach. Eine Ranke, glatt wie Glas, schwarz wie die Nacht, mit weißen Adern, schoss mit der Macht einer Peitsche hervor, wickelte sich um ihren Unterarm und zog sich immer fester zusammen.
In der Gasse vor der Basilika spürte Grunthor durch die Erde, wie Rhapsody niederfiel.
67
Der Seligpreiser lachte laut, als eine weitere Ranke aus dem Untergrund hervorbrach, sich um Rhapsodys Bein legte und sie gegen die Bodenplatten drückte.
»Oje, die Lirin werden enttäuscht sein«, sagte er in gespieltem Mitgefühl. »Und das nach all dem Pomp. Die Krönung hat so viele Mühen gekostet und war wirklich ein hübsches Ereignis. Vielleicht treffen sie beim nächsten Mal eine bessere Wahl.«
Rhapsody kämpfte gegen den Griff der dämonischen Ranken an. Sie trat aus und riss an ihnen, doch es half nichts. Ihre Haut prickelte vor kalter Angst, als sie sich an Jos und Llaurons schrecklichen Tod erinnerte. Selbst in der großen Entfernung zu dem Altar roch sie den schrecklichen Gestank, den die Erregung des F’dor verströmte. Es war der krank machende Geruch von brennendem Fleisch. Überall wuchsen aus dem Boden winzige glasähnliche Dornen empor. Wie Ströme von Kakerlaken krochen sie durch die Ritzen zwischen den Steinplatten. Es waren schreckliche Schösslinge, die im nächsten Augenblick selbst zu fesselnden und erstickenden Ranken wurden.
Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Die gewaltige Größe dessen, was vor ihr lag, ließ ihr Herz im Gleichklang mit der Drehung der Welt schlagen. Ein Versagen könnte das Ende der Welt nach sich ziehen, hatte sie in ihrem Traum zu Elynsynos gesagt. Daran darf ich nicht einmal denken.
Ein weiterer Fortsatz schoss plötzlich hervor und zielte auf ihren Hals. Rhapsody wich ihm aus und stellte fest, dass ihre Bewegungsfreiheit schon stärker eingeschränkt war, als sie bemerkt hatte.
Die Ranken schnitten ihr noch tiefer in den Arm, in das Bein, und ihr Herz und Puls gingen unregelmäßig. Die Drachenworte flüsterten durch das ungleichmäßige Schlagen ihres Herzens.
Du befindest dich an dem Ort, wo der Anfang der Zeit zu seinem Ende gekommen ist. Auch das Ende der Zeit wird hier seinen Anfang nehmen. Du kannst es nicht ändern, auch wenn es dir vielleicht gelingt, es hinauszuzögern.
Sie kämpfte die Panik zurück, drängte sich gegen den Druck der Ranken, rollte sich auf die Seite und kämpfte mit der Tagessternfanfare in der Rechten darum, die andere Hand zu befreien.
Das Schwert blitzte wütend in der Finsternis der Basilika auf. Die schwarzen Flammen der Kerzen in den Lüstern zischten eine dunkle Antwort darauf. Der Seligpreiser verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Altar.
»Ihr bietet eine gute Vorstellung, Euer Majestät. Erstklassige Unterhaltung. Ich fürchte bloß, es wird allzu schnell zu Ende sein.« Der Seligpreiser lehnte sich ein wenig nach vorn. »Ich werde deine Seele essen, Rhapsody, und die deiner Bolg-Freunde, die sich am äußeren Rand meines unheiligen Grundes herumdrücken. Es wird eine so süße Seele sein. Ich bin sicher, dass ich sie genießen werde. Ich glaube, ich werde dich währenddessen noch ein wenig am Leben lassen, damit du zuschauen kannst, wie ihre Teile in meiner Kehle und dem Mund der Unterwelt verschwinden.«
Nimm dich zusammen, dachte Rhapsody. Er darf dich nicht ablenken. Sie blendete die Worte des Dämons aus ihren Gedanken aus, schärfte ihre Konzentration und zerrte mit ihrem gefesselten Arm kräftig an den Ranken, wobei sie diese so weit wie möglich dehnte. Den anderen Arm benutzte sie dazu, die gedehnten Fesseln mit dem Feuerschwert in tausend Stücke zu hauen.
Nun hatte sie beide Hände frei, wich einem schlangenähnlichen Stoß einer Ranke aus, die nach ihrem Hals gezielt hatte, und hieb sie an der Basis durch. Ein Stoß reinsten Feuers ergoss sich aus dem Schwert, als sie das Mark traf. In einer Welt der Finsternis war es ein strahlender Sonnenschein, der den Fortsatz verätzte, welcher innerhalb weniger Sekunden zu Staub verwelkte.
Die Schlinge um ihren Fuß zog sich noch enger zusammen und zerrte sie aus dem Gleichgewicht auf den rauen, zerbrochenen Boden. Rhapsody konzentrierte sich, nahm den Schwertgriff in beide Hände und schlug mit aller Macht auf das Rankengewächs ein. Splitter der berstenden Steinplatte trafen sie, als das Gewächs in einem Hagel aus Feuer und Stein explodierte.