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Als ihr hämmerndes Herz zu einem regelmäßigeren Rhythmus zurückfand, hatte sie eine Vision von Elynsynos und einer Frage, die sie ihr stellen wollte.

Warum? Warum ich? Warum ist diese drückende Verantwortung mir aufgebürdet worden?

Rhapsody kämpfte sich auf die Beine und lauschte auf die Antwort der Drachin.

Weil du nicht allein bist.

Ein schreckliches Brüllen, ein Kriegsschrei entsetzlicher Eindringlichkeit hallte durch die dunkle, fensterlose Basilika. Die Lüster schwankten heftig; die Glocken im Turm nahmen den Schrei auf und warfen ihn zurück. Dem Schrei folgte der Lärm berstender Gegenstände und das schwere Dröhnen herannahender Schritte.

Daraufhin erhob der Seligpreiser die Arme. Der verseuchte Boden brach zu einem Meer aus dunklen Flammen auf und zu zuckenden Wällen blendenden Feuers, das den Dämon umgab und die gesamte Basilika verschlang.

Ein Schmerzesheulen drang hinter dem Feuerwall hervor und verkrallte sich in Rhapsodys Herz. Es war Grunthor. Ihre Seele erkannte den Klang seiner Qualen, denn sie hatte ihn schon einmal gehört.

Eine Welle gewaltiger, boshaft knisternder Hitze überspülte sie. Sie trieb kurz in der brennenden Woge feuriger Luft umher, schützte die Augen mit dem Unterarm und versuchte einen Blick auf Grunthors Schatten links von dem Dämon zu erhaschen, wo der Sergeant auf das zweite Signal hin hatte erscheinen sollen. Doch alles verlor sich in einem schwarzen Inferno: der Dämon, ihr Freund, das Mittelschiff der Basilika. Es war, als steckte sie erneut im Herzen einer ganz anderen Erde einer Erde, in welcher der F’dor triumphiert hatte. Zorn loderte in ihrer Seele bei dem Gedanken hoch, dass diese Möglichkeit jetzt nicht mehr weit entfernt war.

Die Flut würde kommen vielleicht unter einem sanften Wind, vielleicht auch in einer Woge aus Blut.

Verstehst du jetzt, worum du kämpfst?

Um das Leben.

Ja, und um noch mehr. Die Schlacht wird nicht nur um dieses Leben geführt, sondern auch um das Nachleben. Du darfst nicht versagen.

Sie stellte sich aufrechter und verlagerte den Druck auf die Tagessternfanfare ein wenig, wie Achmed es ihr einmal beigebracht hatte.

Wie immer du das Schwert anfangs gepackt hast, veränderst du erst einmal den Griff, damit du dich darauf konzentrieren kannst, wie du es hältst. Nimm deine Waffe nie als selbstverständlich hin.

Der Griff ihrer Waffe fühlte sich an, als wäre er ein Teil ihrer Hand oder eine Fortsetzung ihres Körpers.

Es ist, wie es sein soll.

Als Oelendras Stimme in ihrem Kopf widerhallte, dachte Rhapsody an ihre Lehrerin, an all das, was sie erlitten hatte, an all die anderen vor und nach ihr, die ihr Leben, ihre Seele und geistige Gesundheit in einem jahrhundertealten Kampf gegen den Dämon hingegeben hatten. Dieser freundliche Seligpreiser, der Tee auf seinem Altar brühte, war nichts anderes als die jüngste Verkörperung des Bösen, das so alt war, dass es bereits vor der Rasse der Menschen, vor der Bildung der Landmassen, der Erbauung der Städte, der Einrichtung von Nationen existiert hatte. Die ganze Geschichte zerbröckelte im Vergleich zu der Zeitspanne, die das Böse bereits existierte, Lügen säte, Tod wirkte und wartete, bis es seine Gefährten aus der Gruft der Unterwelt erlösen und den uranfänglichen Wyrm wecken konnte, der alles Leben in einer schrecklichen Sintflut des Chaos verschlingen würde. So viele Seelen würden ihm zum Opfer fallen, so viele in seiner Spur sterben. Die fernen Stimmen all jener, die gegen es gekämpft hatten, ob sie noch lebten oder schon gestorben waren, schrien ihr durch die windstille Luft zu, dröhnten ihr durch den Griff des Schwertes entgegen, hallten in ihrem Blut wider. Rhapsodys Mund öffnete sich aus eigenem Willen, und die Stimmen drangen aus dem Mund der Sängerin. Me wieder. Nie wieder.

Eine Kugel aus schwarzem Feuer bildete sich in dem tobenden Inferno und kam wie eine Lawine auf sie nieder. Durch das jammernde Heulen des Feuers hörte sie den Dämon lachen. Rhapsody schluckte und schloss die Augen vor dem herannahenden Feuerball. Sie drückte das Flammenschwert gegen ihre Brust. Die reine Hitze des Elementarfeuers wärmte ihre Seele und half ihr dabei, einen klaren Kopf zu bekommen, obwohl ihr der Tod drohte. Sie holte tief Luft, sammelte die Gedanken mithilfe der Kraft aus dem Schwert und sang leise den einzelnen Ton ela , mit dem sie in Einklang stand und der ihr das ganze Leben hindurch Weisheit und Urteilskraft bei jeder Unsicherheit verliehen hatte. Die Klarheit dieses süßen und reinen Tons klang über das Brüllen des Feuers, durchdrang es und erstickte das Gelächter, als die kleinsten Glocken im Turm zunächst summten, dann ohne Klöppel läuteten und schließlich fest und stark dröhnten. Me wieder, riefen sie, sangen ohne Klöppel und hallten von nichts anderem wider als von der Macht der Sängerstimme. Me wieder.

Jetzt überrollte sie die Wand aus Feuer. Sie spürte, wie die Säure in den Augenlidern stach und die Bösartigkeit in den Flammen mit dunkler Stimme sang fern, kreischend vor Wut und Schmerz, in sinnloser Raserei.

Sie steigerte die Macht des Tons ganz gleichmäßig und hörte, wie immer mehr Glocken ihrem Ruf antworteten. Stärke schwoll in ihr an. Mit einem mächtigen Stoß hielt sie das Schwert hoch und schickte den Ton mit der ganzen Kraft ihres Atems hinauf. Als die schwarzen Flammen der Unterwelt sie umbrandeten, hörte sie, wie die größten und tiefsten Glocken zu schwingen und dann ohne Klöppel zu läuten begannen und die Basilika mit harmonischer Musik erfüllten, welche alle Verderbnis des Dämons vertrieb.

Rhapsody steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. Der Wind blies vom Turm herab, wirbelte ihre Haare durcheinander, und das Feuer verschwand.

Der Seligpreiser stand in wütendem Schweigen und heftigem Schmerz da und hörte das Läuten einer der hundertsechsundvierzig Glocken, die nun das ela sang. Der Boden in seiner Umgebung war nicht mehr entweiht, sondern wurde allmählich wieder geheiligt. Gleichzeitig spürte er, wie seine Kräfte abnahmen.

Er öffnete den Mund und wollte die Worte der Verdammnis sprechen.

Aber er konnte sich nicht mehr an sie erinnern.

Lanacan schloss die Augen und konzentrierte sich. Es gab noch einen anderen Laut hier, einen viel älteren und schrecklicheren. Die Glocken im Turm verstummten, als das Schwert wieder in der Scheide steckte; die fremdartige Schwingung summte von allein weiter. Es war ein sandiges Geräusch, an das er sich in der gegenwärtigen Lebensspanne nicht erinnerte. In dieser Welt hatte er es noch nie gehört. Es zerrte an den tiefsten Bereichen seiner Erinnerung und kratzte an seinen Schläfen. Es wurde lauter. In seinem Kopf pochte es, als wäre der Schädel nicht länger ein geeigneter Behälter für das Gehirn, das im Rhythmus des Lärms anschwoll. Es war ein Laut, der vom Tod flüsterte.

Kalter Schweiß prickelte auf seiner Haut. Irgendwie hatten die Glocken die Hirnschale dieses Körpers zerbrochen. Das Mädchen hatte den Ton gefunden, mit dem es seinen Wirtskörper töten konnte. Er starrte es an. Es stand aufrecht in der Dunkelheit des Gangs unter ihm und hatte die Arme gegen die Hüften gelegt. Im Zwielicht sah Rhapsody aus wie das Windkind aus den Legenden; die goldenen Locken umwirbelten ihren Kopf. Er brannte ihr Bild in seinen Geist ein. Er musste sich an sie erinnern, wenn er einen neuen Körper gefunden hatte, der ihm als Wirt dienen würde. Dann würde er sie aufspüren und vernichten.

Da kam ihm ein noch angenehmerer Gedanke.

Sie selbst gab einen wunderbaren Wirt ab.

Er bekämpfte die bohrenden Kopfschmerzen, die ihn bisweilen blendeten, und versuchte krampfhaft, sich an diese Vorstellung und an sein Bewusstsein zu klammern. Wenn er sie binden konnte, würde sie das vollkommene Werkzeug für seine Herrschaft sein.