Die Erde unter Grunthors Füßen schwankte. Als sie zu schreien anfing, fühlte Grunthor es. Ihre Schmerzen rannen wie Säure durch seine Adern. Er wusste instinktiv, dass etwas völlig falsch lief. Das Blatt wendete sich gegen sie, und er verstand nicht, warum.
Nun fühlten sich seine Arme warm an. Innerhalb weniger Sekunden waren sie bereits kurz davor, sich zu entzünden. Schmerzen durchrasten ihn und verbrannten seine Haut dort, wo sie mit der Bestie in Berührung kam. Es schien, als schwölle der alte Mann an. Der zerbrechliche greise Körper dehnte sich und wurde mit jeder Sekunde stärker. Der Gestank des Grabes quoll aus dem Mund des Seligpreisers und brannte in Grunthors Augen. Der Bolg musste würgen. Grunthors Herz schlug laut; sein Rhythmus wurde von einer Angst begleitet, die er nie zuvor verspürt hatte. Er begriff, dass ihm die Bestie die Arme brechen würde.
Und dann frei wäre.
Er grunzte vor Pein auf, als sein Hemd versengte, und versuchte, die Augen vor dem beißenden Rauch zu schützen. Er sah hinüber zu Achmed und keuchte auf.
Der Dhrakier war auf die Knie gesunken. Blut floss ihm aus Nase und Ohren. Seine sonst braune Haut war totenbleich, und die Glieder zitterten heftig in dem Versuch, den Bann aufrechtzuerhalten. Er rang nach Luft. Aus seiner Kehle kamen unregelmäßige, abgerissene, gurgelnde Laute. Die Adern an seinem Hals vibrierten und standen kurz vor dem Zerreißen. Während Panik Grunthor zu verschlingen drohte, sah er hinüber zu Rhapsody.
Sie starrte den Seligpreiser an. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß, ihre Augen hatten einen seelenlosen Ausdruck und sahen weit, weit fort.
Gute Götter, dachte er, der Bastard verzaubert sie.
»Euer Liebden?«, keuchte er und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Rhapsody starrte an ihm vorbei; ihr Blick hatte sich in den des Dämons verkrallt. Er spürte den metallischen Geschmack von Blut im Mund.
Seine Stärke schwand, schon bald würde der Dämon frei sein. In Grunthors Kopf dröhnten dunkle Stimmen und der Druck seines eigenen Blutes.
Ein dumpfer Aufprall, der Schlag von Metall gegen Stein Achmed war gestürzt und lag bäuchlings auf dem Boden. Eine Blutlache breitete sich unter ihm aus. Sein Gesang war so schwach geworden, dass er kaum mehr zu hören war. Die noch immer erhobene Hand zitterte und drohte ebenfalls niederzusinken. Die Stirn war in zuckende Falten gelegt; sie pulsierte und schien zu bersten.
Sein letzter Blick auf Achmed wurde von einem schwarzen Vorhang verdeckt, als sein Blut zu kochen begann. Mit der Kraft eines Sturmbocks kämpfte sich der Dämon frei und schleuderte Grunthor quer durch die Basilika gegen die Mauer des Allerheiligsten. Benommen legte er die Hand auf den Kopf und versuchte die Schmerzen zu stillen. Er kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit an, die ihn zu überwältigen drohte, und ließ es zu, dass Wut ihn durchströmte. Dann tastete er sich in den Teil seiner Seele vor, der mit der Erde verbunden war.
Der Marmorboden und der Grund darunter, der vor kurzem noch verseucht gewesen war, antworteten ihm mit einem Summen.
Haltet ihn für mich fest, dachte er.
Selbst von der gegenüberliegenden Seite des Allerheiligsten aus spürte er, wie die Erde unter den Füßen des Dämons weicher wurde. Die Schmerzen in seinem Kopf verebbten, als er sah, wie der Seligpreiser nun in dem Schlamm einsank, der vorhin noch fester Marmor gewesen war, und sich freizukämpfen versuchte. Das wahnsinnige Glitzern in seinen Augen schwankte und sein Lächeln verschwand allmählich.
Grunthor holte tief Luft, als sich die Erde wieder härtete und den Dämon festhielt. Er spürte, dass Achmed das Bannritual nur noch wenige Sekunden aufrechterhalten könnte.
Entschlossen drehte er sich auf den Knien um und kämpfte sich auf die Beine, wobei er sich an der Mauer abstützte, die fleckig von seinem eigenen Blut war. Dann taumelte er zurück zum Allerheiligsten und packte wieder die Arme des Seligpreisers.
Der Dämon kämpfte nicht einmal. Er richtete den Blick auf Rhapsody. Seine Augen brannten Löcher in ihre Seele.
Die Stimme in ihrem Ohr wurde lauter.
»Ah, Rhapsody, ich sehe, dass du glücklich bist. Du hast Kinder immer geliebt, nicht wahr? Und du hattest befürchtet, unfruchtbar zu sein, stimmt’s? Ich weiß, wie es in deinem Herzen aussieht. Ich sehe deine tiefsten Geheimnisse, weil ich mitten in ihnen stecke. Du solltest vorsichtiger sein, für wen du die Beine breit machst, meine Liebe. Manchmal lassen sie mehr zurück, als das kurze Vergnügen wert ist.«
Die warme Stimme sank noch tiefer in sie ein.
Komm jetzt zu mir.
Gegen ihren Willen machte sie einen Schritt nach vorn.
Ihr Verstand schrie vor Qual auf. Sie kämpfte gegen den Klang der süßen Stimme und kniff die Augen zusammen, um die Worte zu vertreiben, doch ihre Hände waren schon erstarrt. Mechanisch machte sie einen weiteren Schritt voran.
Das ist richtig, ermutigte sie die Stimme des Seligpreisers sanft. Komm zu mir, Rhapsody.
Die Worte hallten in ihrem Herzen wider. Trost und Sicherheit lagen in ihnen. Der Seligpreiser würde ihr nichts antun. Sie sehnte sich danach, seinem Befehl zu gehorchen. Ein Verlangen, ursprünglich und beinahe von sexueller Natur, durchströmte sie und erhitzte ihr Blut. Sie machte einen weiteren Schritt.
Komm zu mir, meine Liebe, ermunterte sie die Stimme; sie klang wie die eines Liebhabers. Wärme umgab Rhapsody wie die Dunkelheit eines gemeinsamen Bettes. Rhapsody verspürte ein Schauern im Rücken; auf ihrer Haut prickelte es.
Komm zu mir, dem Vater deines Kindes und zugleich deinem Kinde. Ich bin beides: dein Kind und Vater deines Kindes, und du liebst mich. Gemeinsam haben wir dieses Kind gezeugt. Du würdest doch niemals deinem eigenen Kind wehtun, oder?
Sie schüttelte den Kopf.
Nein, natürlich nicht. Komm, bring mir das Schwert...
»Schlag zu!«, brüllte Grunthor und zerstörte damit die Worte des Seligpreisers. »Streck endlich deinen schönen Kopf aus dem Sand und hör mir zu, sonst hau ich ihn dir ab und steck ihn auf meine Axt!«
Die Stimme ihres ersten Lehrers war wie ein Leuchtfeuer in der dichter werdenden Dunkelheit. Sie riss Rhapsody aus ihrer Benommenheit und trieb die stummen Worte des Dämons aus ihrem Kopf. Eine ältere, viel tiefer eingewurzelte Loyalität durchfuhr sie und zerstreute die augenblickliche Besessenheit, welche die Worte des Dämons in ihr verankert hatten. Die Stimme des Sergeanten hallte laut und deutlich in ihr wider.
Sie hatte sich ihm verschworen. Sie hatte ihm vor langer Zeit einen Namen gegeben. Der Herr der tödlichen Waffen.
Ihr Freund.
Dero untertänigst zu gehorchende Autorität.
Sie schüttelte den Kopf, als vertriebe sie den Schlaf, und sah auf den Boden neben sich, wo die Tagessternfanfare lag und machtlos schwelte. Sie bückte sich und hob das Schwert auf, dann ging sie zielstrebig über den Marmorboden auf das Allerheiligste zu. Die Augen des Seligpreisers weiteten sich vor Schreck.
Die Schwertklinge wurde in ihrer Hand lebendig, und die schimmernde Flamme sprang auf, als Rhapsody ihren Griff verstärkte. Sie hob das Schwert mit der Spitze nach unten über den Kopf. Der Dämon kämpfte gegen Grunthors stämmige Arme an, doch es war eine sinnlose Anstrengung. Neben sich hörte Rhapsody, wie die Musik von Achmeds Bannritual lauter wurde, und Grunthors Stimme ertönte hinter dem Seligpreiser.