»Das ist ’n Mädchen! Ich hab ihn, Euer Liebden. Und jetzt ein guter, glatter Stich.«
Der Dämon sah ihr ins Gesicht und erkannte darin keine Angst, sondern nur ernste, tödliche Ruhe. Als sich ihre Blicke trafen, begriffen sie beide.
Ich werde dich bald wieder sehen, sagte der Seligpreiser in ihren Gedanken.
»Vielleicht schneller, als du dir vorstellen kannst«, erwiderte Rhapsody.
Sie trieb das alte Schwert, die Waffe der Könige und Krieger, die unsichtbare Feinde getötet und eine Nation vereinigt hatte, tief in das Herz des Dämons, riss ihm mit ihrer ganzen Kraft den Brustkorb auf und durchtrennte sein Rückgrat. Der üble, beißende Gestank des F’dor ergoss sich aus dem Körper des Seligpreisers, und brennendes Blut schoss auf den Boden des Allerheiligsten.
Achmed lag bäuchlings auf dem Marmorboden des Heiligtums und hob langsam den Kopf. Seine ausgestreckte Hand, um die er das Netz der vier Winde gewickelt hatte, ging in Rauch auf, als das brennende, schwarzrote Blut auf seine Handfläche spritzte. Trotz seiner Schmerzen schürzte er die Lippen zu einem Grinsen. Gurgelndes Lachen mischte sich mit den Klängen des Bannrituals.
So wie ich jetzt dein Blut an meinen Händen habe, wird es eines Tages wieder sein.
Der Dämon kreischte auf. Es klang eher nach Wut als nach Schmerz. Er streckte die Hände nach Rhapsody aus, als sie die Tagssternfanfare in seinem Körper umdrehte und herauszog. Grunthor ächzte unter der Anstrengung, die es kostete, den Körper festzuhalten. Dem Seligpreiser gelang es, mit eisig kaltem Blick Rhapsody in die Augen zu sehen, bevor der Firbolg-Riese den blutigen Körper aus dem Marmorboden der Basilika zog. Er sah sie an, und sie nickten sich zu. Dann wuchtete Grunthor mit letzter Kraft den zuckenden Körper auf den Altar unter der Öffnung in der Decke.
Im selben Augenblick beschwor Rhapsody das Sternenfeuer aus dem Himmel durch den offenen Glockenturm herab.
Mit einem wilden Brüllen ergossen sich die ätherischen Flammen auf den Altar, trieben die Drei aus dem Allerheiligsten und verzehrten es. Die Schreie des Dämons waren im Lärm des Feuerstoßes unhörbar, doch Rhapsody spürte sie in ihrem Kopf. Die menschliche Gestalt zuckte und schrumpfte, bevor sie in dem blendenden Feuer verschwand. Sekunden später war alles wieder wie zuvor, allerdings von den Flammen geschwärzt.
Rhapsody starrte das ausgebrannte Allerheiligste an und suchte nach Anzeichen für Überleben nach Teilen, die vom Sternenfeuer verschont geblieben waren, doch sie sah nichts als Rauch und Asche. In der Ferne läuteten die Glocken der Stadt drängend, und in der Nacht waren erschrockene Stimmen zu hören.
Grunthor öffnete die Arme. Rhapsody rannte auf ihn zu und hielt sich mit ganzer Kraft an ihm fest. »Es tut mir so Leid, es tut mir so Leid«, keuchte sie.
»Warum? Du warst toll, Liebes, genau wie ich dir’s beigebracht hab. Du hast für ’nen Moment die Konzentration verloren, aber das kommt bei den Besten von uns vor, nicht wahr, Achmed?«
Am Boden hob Achmed schwach den Kopf. »Auf alle Fälle.« Er sah Rhapsody eindringlich an und wandte den Blick auch nicht ab, als Grunthor ihn auf die Beine zog und den Arm zur Unterstützung um ihn legte.
»Nichts wie weg hier, Euer Liebden«, drängte Grunthor und setzte sie ab. Er packte sie sanft, aber bestimmend am Arm. Rhapsody blieb gerade lange genug stehen, um mit ihrem Mantel das Blut von Boden und Wand abzuwaschen; dann folgte sie den beiden durch die Sakristei und trat über Gittelsons Leichnam hinaus auf die Straße, wo sie in der Dunkelheit warteten, bis sie sich unter die Bevölkerung mischen konnten, die herbeilief und sehen wollte, was in der Basilika geschehen war.
Als der Küster viele Stunden später schließlich die Basilika geräumt und verschlossen hatte, traten die Drei aus den Schatten und untersuchten noch einmal das Allerheiligste. Rhapsody machte die Augen zu und lauschte der Glockenmusik, die schon seit beinahe einer ganzen Stunde ertönte. Sie war süß und harmonisch und von einer Klarheit, die anzeigte, dass der Wind wieder ungehindert durch den Turm strömte.
»Klar und hell«, sagte sie zu ihren Gefährten. »Der Boden wird wieder geheiligt. Wie fühlt es sich an, Grunthor?«
»Ist noch schwer zu sagen, aber die Verseuchung verschwindet eindeutig«, meinte er, bückte sich und berührte den Boden. »Is aufm richtigen Weg. Glaube, die Glocken brauchen ihre Klöppel zurück, damit es ganz klappt. Und du, Liebes, wie geht’s dir? Hast mir für ’nen Augenblick Sorgen gemacht, weißt du?«
Sie streckte die Arme aus, und ihr riesenhafter Freund hob sie erleichtert vom Boden auf.
»Mir geht es gut. Wirklich gut«, sagte sie und schaute in seine bernsteinfarbenen Augen.
»Bin mir nich sicher, ob ich dir glauben kann.«
»Das solltest du aber.« Rhapsody drückte Grunthor noch eine Zeit lang fest an sich, dann reckte sie den Kopf und küsste ihn auf die monströse Wange. »Grunthor, gehst du bitte und suchst uns einen Ausgang? Ich muss allein mit Achmed reden.«
Grunthor sah Achmed an. Dieser nickte. »In Ordnung, Euer Liebden, ich vermute, ich kann mich darum kümmern.« Er setzte sie sanft ab und strich ihr über den Kopf; dann ging er auf die Marmorstufen des Allerheiligsten zu.
»Grunthor?«
Er drehte sich um und schaute zu ihr zurück. »Ja?«
»Ich liebe dich.«
Ein breites Lächeln legte sich über sein Gesicht. »Das is gegenseitig, Liebes.« Er schlug die Hacken zusammen, drehte sich wieder um und lief zur Tür der Basilika.
Rhapsody wartete, bis der riesige Bolg die Kirche verlassen hatte, und sah dann den Fir-Bolg-König an. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Belustigung, der sofort verschwand, als sie sich an ihn wandte. Sie schaute ihm eindringlich in die Augen; dabei krochen Angst und Schmerz in ihren Blick zurück. Achmed bemerkte es sofort.
Er nahm sie in die Arme. Rhapsody drückte sich zitternd an ihn. Wortlos strich er ihr mit der Hand über den Rücken und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Sie wusste, dass er auch ohne Worte die Tiefe ihrer Furcht kannte. Er hielt sie lange fest, und die Unmittelbarkeit ihrer Panik ging vorbei.
»Weißt du«, sagte sie, als sie wieder aufschaute, »wir beide sind wirklich zwei Seiten derselben Münze.«
»Ich weiß.«
Sie nickte und verlor sich einen Moment lang in ihren Gedanken. Dann blickte sie ihm wieder ins Gesicht.
»Gibt es etwas, das du für mich nicht tun würdest, wenn ich dich darum bäte?«
»Nein.«
»Das hatte ich gehofft.« Sie löste sich aus seinen Armen und ging die Treppe des Allerheiligsten hinunter. Sie hatte die Arme um ihre Hüfte geschlungen und überblickte den gewaltigen Raum der Basilika, in dessen Finsternis die Lüster brannten. Sie setzte sich auf eine Stufe; einen Augenblick später gesellte sich Achmed zu ihr. Sie warteten schweigend eine lange Zeit und sahen zu, wie es in der Basilika immer dunkler wurde. Dabei lauschten sie dem Lärm der Menge, der vor den Türen allmählich abnahm.
Ich will nur, dass es vorbei ist. Ich will endlich wieder einmal ruhig schlafen.
Du willst, dass es vorbei ist? Es wird nie vorbei sein. Rhapsody.
Schließlich sah sie ihn an. Ihre Augen leuchteten, doch sie spiegelten nicht ihre üblichen Gefühle.
»Hast du in der alten Welt während der Ausübung deines Berufes je die Gelegenheit gehabt, ganz schnell und ohne große Schmerzen zu töten?«
»Ja. So habe ich es die meiste Zeit versucht.«
»Natürlich.« Sie sah wieder fort und überblickte die Schäden auf der Empore und an den Bänken. »Vielleicht brauche ich deine Dienste bald nach dem cymrischen Konzil.«
Achmed nickte. »Für wen?«
Rhapsody sah ihn direkt an. »Für mich.«
Achmed nickte abermals. Er verstand.
68
Das Feuer im Kamin des Konzilraums hinter der Großen Halle des Kessels brannte knisternd und knackend und roch viel besser als in Grunthors Erinnerung, was zum Teil an den drei großen Vanilleschoten lag, die Rhapsody hineingeworfen hatte, als sie zum Abendessen hergekommen waren. Beim Mahl war es erstaunlich still gewesen, was hauptsächlich an dem nachdenklichen Blick der Sängerin und ihrer Abneigung gegen ein Schwätzchen gelegen hatte. Das bedeutete für Grunthor, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.