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Rhapsody war zum Balkon ihres Zimmers getreten und hatte der Kriegerin nachgesehen, deren breite Schultern sich wie unter einem großen Gewicht gebeugt hatten. Dann hatte sie das Paket zum Bett getragen und es geöffnet. Darin hatte sich die rote Seidenrobe mit dem Aufgestickten Bild eines Drachens befunden, die Oelendra ihr in der ersten Nacht im Hause der Kriegerin überlassen hatte. Der Magen hatte sich ihr umgedreht; das Bild hatte sie an Ashe erinnert. Eilig hatte sie die Robe wieder zusammengepackt und sie vorsichtig außer Sichtweite in ihre Satteltasche gesteckt. Anborn hatte sie besucht, ihr nützliche Informationen über die verschiedenen cymrischen Häuser und ihre Anführer zuteil werden lassen und ihr erfrischende und grausam ehrliche Einblicke in die zu erwartenden Feindseligkeiten und Rivalitäten zwischen ihnen gewährt. Rhapsody hatte es wie immer angenehm gefunden, mit ihm zu reden. Als er gegangen war, hatte er sie tröstend in den Arm genommen und ihr einen herzlichen Lebewohlkuss gegeben. Dann war er einen Schritt zurückgetreten und hatte sie belustigt angesehen.

»Ich vermute, ich muss erst die Hochzeit abwarten, bevor ich mit dir ins Bett gehen kann.«

»Natürlich«, hatte sie kess geantwortet. »Das ist der einzige ehrenhafte Weg für mich. Ansonsten könntest du befürchten, dass ich dich nur benutze und dich als gebrochenen und verzweifelten Mann dann vor dem Altar verlasse. Ich weiß, dass dich der Schmerz verzehren würde.« Sein Gelächter hatte ihr noch lange, nachdem er sich von ihr in jener Nacht verabschiedet hatte, in den Ohren geklungen.

Als sie nun über die Felder Avonderres und des westlichen Navarne ritt, vertrieb sie die Gedanken an die Menschen, die sie liebte, aus ihrem Kopf. Der F’dor war tot, aber sie hatte mehr Angst denn je.

Nach einer Woche harten Reitens erreichte sie schließlich bei Sonnenuntergang jenen Ort, den sie gesucht hatte. Es war eine abgelegene Lichtung am Fuß der Hügel, die sie vor einem Jahr auf einer Wanderung um einen stillen See entdeckt hatte. Als sie die Höhle fand, spürte sie, wie der Wind auffrischte und angenehm durch ihre Haare blies.

»Willst du mich sehen?«, flüsterte sie.

»Ich will meine Freundin immer sehen«, ertönte die vielgestaltige Stimme warum und luftig.

»Komm herein, Schöne.«

»Ich komme möglicherweise mit einem Kind, und wenn es so ist, dann ist es von einem Dämon gezeugt«, flüsterte sie mit so leiser Stimme, dass niemand außer der Drachin sie hören konnte. Es war etwas, dem sie nun erst zum zweiten Mal Ausdruck verlieh. Sie würgte an den Worten, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Weine nicht, Schöne«, antwortete die harmonische Stimme. »Ich liebe dich.«

Oelendra zuckte beim Anblick von Ashes Gesicht zusammen. Er war offenbar im Palast gewesen und abgewiesen worden. »Es tut mir Leid, mein Lieber«, sagte sie sanft und öffnete die Tür ihres Hauses, um ihm Eintritt zu gewähren. »Sie ist fort. Komm herein und ruh dich eine Weile aus.«

Ashe wich zunächst ihrem Blick aus. »Nein, vielen Dank, Oelendra. Ich muss sie finden. Bitte sag mir, wo sie hingegangen ist, damit ich mich sofort wieder auf den Weg machen kann.«

»Komm herein«, sagte Oelendra befehlend in derselben Stimme, der sie sich bedient hatte, um Rhapsodys Geheimnis aus ihr herauszupressen. »Ich habe dol mwl auf dem Feuer; das ist ein Getränk, das Rhapsody seit ihrer Kindheit liebt. Vielleicht macht es dir das Herz ein wenig leichter.«

Ashe seufzte widerstrebend und zog seinen Kapuzenumhang aus; dann folgte er ihr in das Innere des Hauses. Er setzte sich in den Schaukelstuhl aus Weidengeflecht vor dem Feuer, während Oelendra ihm einen Becher mit dem dampfenden Getränk füllte.

»Du musst zur Küste gehen, Gwydion«, sagte sie, während sie ihm den dol mwl hinhielt. »Die Zweite Flotte wird bald als Antwort auf das Konzilhorn eintreffen. Als Oberhaupt des Hauses von Neuland ist es deine Pflicht, sie zu begrüßen und zum Großen Gerichtshof zu führen.«

Ashes verwirrende blaue Augen öffneten sich weit über dem heißen Dampf, der aus dem Becher strömte. »Sie beruft das Konzil ein?«

»Ja.« Oelendra betrachtete sein Gesicht. »Beunruhigt dich das?«

Er nahm einen tiefen Schluck und füllte den Mund mit dem müden Getränk. Als es ihm die Kehle hinunterrann, wärmte es wunderbar. »Nur ein bisschen.«

»Warum?«

Ashe schaute ins Feuer. Es brannte ruhig, ohne eigenen Willen, so anders als in Rhapsodys Nähe. »Weil ich erwarte, dass das Konzil viele Dinge in ihrem und unser aller Leben ändern wird. Mehr als alles andere auf der Welt will sie nur ein Zuhause im Wald finden und ihre Tage in Ruhe verbringen. Wenn ich ihr etwas schenken könnte, wäre es genau das. Aber es wird niemals so sein. Sobald die Cymrer sie sehen, werden sie Rhapsody zum Idol machen. Man wird sie andauernd belästigen und stören. Ich will sie mit niemandem teilen, Oelendra; sie verdienen Rhapsody nicht mehr als ich. Wenn es um Aufmerksamkeit und Liebe geht, werde ich ganz am Ende stehen.«

Oelendra nickte wissend. »Es ist bestimmt jetzt sehr schwierig für dich.«

»Schwierig?« Sein Lachen war beinahe ein Bellen. »Ich fürchte, das beschreibt es nicht einmal annähernd. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, mir jemandem wie ihr verheiratet zu sein, und sie weiß es nicht einmal? Sie hasst mich, Oelendra.« Er klang eher verängstigt als verbittert.

»Nein, Gwydion, das tut sie nicht. Sie liebt dich. Sie steht unter großem Druck und kennt die Wahrheit nicht.«

Ashe nickte und nahm noch einen Schluck, von dem er hoffte, er werde den würgenden Knoten in seinem Hals lösen. »Es ist wahrscheinlich nicht gerade hilfreich für sie, dass jeder Dummkopf auf der Welt sie gnadenlos verfolgt, bedrängt und wie ein Hirsch in der Brunftzeit gegen alle anderen kämpft.«

»Zweifellos«, sagte Oelendra bedeutsam. »Bist du einer von ihnen?«

Ashe setzte den Becher mit einer heftigen Bewegung ab. »Natürlich. Ich habe nie verleugnet, dass ich ein Dummkopf bin. Sie ist nach Ylorc zurückgegangen. Verdammt, ich komme gerade von dort. Wenigstens habe ich alle Abkürzungen gefunden, sodass der Rückweg schneller sein wird.«

»Hör mir zu, Gwydion«, sagte Oelendra streng. »Geh nicht nach Ylorc; geh zur Küste. Sie will dich jetzt nicht sehen. Warte, bis das Konzil vorbei ist. Dann wird sich alles geklärt haben, und du weißt, woran du bist.«

Ashe stand auf. »Du verlangst von mir, dass ich Monate warten soll, bis ich meine eigene Frau sehe? Oelendra, ich fürchte, du verstehst mich nicht. Ich habe mich zwanzig Jahre lang vor der Welt verborgen und immer befürchten müssen, dass mir der nächste Augenblick Tod und Verdammnis bringt. Es war eine unbeschreibliche Folter. Aber ich würde mich lieber sofort wieder in diesem Zustand befinden, als die gegenwärtigen Qualen noch länger auszuhalten. Wenn sie endlich einverstanden sein wird, mich zu sehen, wird sie bereits Anborn oder Achmed geheiratet haben oder was die Götter verhüten mögen gegen ihren Willen von einem ihrer Freier entführt worden sein.«

»Das bezweifle ich«, warf Oelendra ein.

Er stand bereits neben dem Kleiderständer und nahm seinen Mantel vom Haken. »Vielleicht nicht; es ist mir egal. Ich kann nicht mehr. Ich könnte dieses Geheimnis für den Rest meines Lebens mit mir herumtragen, wenn ich der Meinung wäre, dass es besser so ist, aber das stimmt nicht. Eines Tages wird sie herausfinden, was wir uns versprochen haben. Wenn sie dann schon einen anderen geheiratet hat, wird es sie umbringen. Es wird wie bei Llauron sein, nur noch viel schlimmer.«

Die alte Krieger in seufzte. »Jetzt weißt du, warum sie Lügen so hasst, Gwydion. Ich biete dir meinen Rat noch einmal an, und es liegt an dir, ob du ihn annimmst. Lass es. Warte noch ein wenig. Was sind ein paar Monate für einen Mann, der praktisch unsterblich ist?«

»Es ist ganz einfach unerträglich«, erwiderte Ashe, während er die Tür öffnete. »Vielen Dank, Oelendra. Ich werde sie von dir grüßen.« Er verbeugte sich höflich vor ihr und zog die Tür leise hinter sich zu.