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Als in dieser Nacht der letzte süße Ton verweht war, schoss ein Schauer aus Sternschnuppen herab und entlockte der Menge ein erstauntes Seufzen. Kurz darauf war ein tiefes, gemeinsames Luftholen aus den Lagern auf der anderen Seite der Zahnfelsen zu hören. Die cymrischen Häuser hatten das Omen ebenfalls gesehen und begriffen es. Jedermann begriff es tief in seinem Innern. Es war Zeit zusammenzukommen.

Es war eine ruhige Nacht. Rhapsody mied ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Kessel und hielt Wache auf dem Feld. Sie beobachtete, wie die Feuer in den äußeren Lagern gelöscht wurden eines nach dem anderen. Achmed und Grunthor waren bei ihr geblieben; Rhapsody sah sie zärtlich an. Grunthor saß mit seinem gewaltigen Schwert auf den Knien da und hatte die Ellbogen aufgestützt. Das Kinn auf die Fingerspitzen gestützt, dachte er angestrengt nach. Die Bürde, den kleinen Stadtstaat zu überwachen, zu dem der Gerichtshof geworden war, war ihm zugefallen. Er hatte diese Aufgabe ausgezeichnet gelöst, was insofern erstaunlich war, als dass der König ihm als Truppe nur einige Finder-Soldaten zur Verfügung gestellt hatte. Achmed stand neben ihm und hatte den Blick ebenfalls auf die Lager der cymrischen Häuser und die lange Karawane der Reisenden gerichtet, die sich mit jedem Tag erneuerte. Er hielt das Gesicht in den Wind; diesmal hatte er es nicht hinter seinen Schleiern versteckt, doch sein Ausdruck war steinern. Dennoch wusste Rhapsody zumindest teilweise, was er gerade dachte. Es war diese Gruppe von Cymrern, die für seine unangenehme Stimmung verantwortlich war, denn sie stellte eine Bedrohung dar. Es waren die stolzen Abkömmlinge der Meeresreisenden, die Städtebauer, die Architekten von Basiliken und die Gelehrten einer großen Zivilisation. Sie waren aber auch die Kinder von kriegerischen Anführern, die vergewaltigenden und zerstörenden Heere, die schweigenden Verräter der Menschheit.

Zwar hatte Rhapsody Vertrauen zu ihnen als Volk, doch Achmed hegte Zweifel daran, ob es vernünftig war, sie wieder zusammenzubringen und aus ihren Reihen einen Thronfolger zu bestimmen. Er traute diesen Leuten nicht, auch wenn er im Grunde einer von ihnen und vielleicht älter als sie alle war. Aber Rhapsody war mit den Bolg in ähnlicher Weise verfahren und hatte unerwarteten Erfolg gehabt. Vielleicht hatte sie auch in diesem Fall wieder Recht. Seine Worte zu ihr und ihre Antwort erklangen in seiner Erinnerung. Es waren Worte aus einer lange vergangenen Nacht, bevor sie ausgezogen war, um einem verirrten Wanderer zu helfen, in dessen Armen sie gelandet war.

Es ist vermutlich besser, wenn du nicht einmal versuchst, es zu verstehen.

Du hast vermutlich Recht. Ich glaube, es ist besser für mich, einfach zu entscheiden, wie es sein soll, und dann wird es so sein.

Es war Rhapsody gewesen, die sie beide zu dem gemacht hatte, was sie nun waren. Sie hatte ihn einen Pfadfinder genannt, und er hatte die Gabe des zweiten Gesichts erhalten Grunthor, stark und zuverlässig wie die Erde selbst, hatte si gesagt. Die Zuneigung in ihrer Stimme hatte die Seele des Sergeanten mit der Erde vermählt. Sie war der Optimismus gegen seinen Zynismus, die Hoffnung gegen seine Zweifel. Wir si wirklich zwei Seiten derselben Person, hatte sie einmal gesagt Was immer bei der Versammlung am nächsten Morgen h rauskommen würde, würde ihr Verhältnis zueinander nich beeinflussen. Allerdings wusste sie nicht, dass er beinahe di‹ Erinnerung an sein früheres Leben verloren hatte, bevor si in es eingetreten war, ihm einen neuen Namen gegeben und ihm den Weg aus seiner Vergangenheit gewiesen hatte. Er wollte nicht in jene Zeit zurückkehren.

Rhapsody saß noch immer Wache, als die ersten Strahlen der Morgensonne sie berührten. Der Himmel war schon seit einiger Zeit heller geworden und hatte das Muster der Blaufärbungen vom Abend spiegelverkehrt wiederholt. Die tintenhafte Dunkelheit war einem reichen Kobaltblau und dann einem sanften Azurblau gewichen, das den herannahenden Morgen ankündigte.

Sie schloss die Augen und bot ihre Brust den Sonnenstrahlen dar, die sie mit dem Ton ihres Liedes erfüllten. Sie lächelte; es war ela, und in ela sang sie das Liebeslied der Lirin an den Morgen.

Sie hörte, wie in der Ferne eine Stimme in ihren Gesang einfiel, und erkannte sie. Oelendra war zum Gerichtshof gekommen. Dann hörte sie, wie eine Stimme nach der anderen das Lied aufnahm, bis es zehntausende waren, welche die aufgehende Sonne priesen. Mit Oelendra waren die cymrischen Lirin gekommen Rhapsodys eigene Untertanen und die Abkömmlinge derjenigen, die lieber in Tyrian als in den großen Städten Anwyns und Gwylliams gelebt hatten. In ihrer kurzen Zeit als Königin hatte Rhapsody das Morgenlied dem Lande Tyrian beigebracht, und der Wald hatte es die Menschen gelehrt.

In noch größerer Ferne erkannte sie weitere Stimmen, die sie nie zuvor gehört hatte. Sie nahmen ihre Melodie auf und fügten die eigene hinzu. Die Modulation der fernen Sänger passte wunderbar zu Rhapsodys eigener, und ihr Herz hüpfte bei der Erkenntnis, dass auch die Liringlas gekommen waren. Sie waren von Manosse über das Meer gesegelt oder kamen aus den Ländern jenseits von Hintervold.

Dann hob ein letzter Chor vom Ende der gewaltigen Karawane zu singen an, die sich den Weg durch die Felder von Bethe Corbair nach Ylorc gebahnt hatte. Die Lieder dieser Sänger besaßen eine uralte Harmonie, die bis in Rhapsodys Seele reichte und sie zum Klingen brachte, wie es nie zuvor der Fall gewesen war. Sie wandte sich von der Sonne ab, beschirmte die Augen und versuchte herauszufinden, woher diese wundervollen Klänge kamen, doch sie sah lediglich ein Meer von Menschen, die in einer langen, schlangengleichen Prozession auf die Zahnfelsen zumarschierten.

Als schließlich der letzte Ton erstarb, setzte eine andere Musik ein. Trompeten schmetterten über die Ebene, und in der Senke nahmen die Hörner den Ruf auf und kündigten die Ankunft der cymrischen Häuser an. Es war ein erregender Klang. Die vollen Bläsertöne ließen Rhapsody erschauern. Es war ein Gefühl, das sie bisher nur ein einziges Mal verspürt hatte. Alte Erinnerungen wurden wach Erinnerungen an das alte Land und den Tag, an dem die jüngste Prinzessin in der elysianischen Festung des Seren-Königs geboren worden war. Im ganzen Land waren Boten zu jedem kleinen Dorf ausgesandt worden, damit die frohe Nachricht rasch verbreitet wurde. Als sie Rhapsodys Dorf erreicht hatten, hatten sie die großen Trompeten geblasen, welche eine königliche Geburt ankündigten. Damals war Rhapsody ein kleines Kind gewesen und hatte nie zuvor solch wunderbare Musik gehört. Noch viele Wochen später hatte sie davon geträumt und bei ihren Eltern um ein eigenes Instrument gebettelt. Immer wieder hatte sie sich auf den Hügelkamm gesetzt, wo sie die Trompeter gesehen hatte, und auf ihre Rückkehr gehofft. Doch es war vergeblich gewesen. Rhapsodys Augen füllten sich bei dieser Erinnerung mit Tränen. Sie lächelte.

Sie kehrte gerade rechtzeitig in die Gegenwart zurück, um das erste Haus, das Haus Faley, in die Senke einrücken zu sehen. Es waren fünfhundert, zumeist Menschen mit ein wenig lirinschem Blut. Sie kamen vor der großen Prozession der Cymrer zu Fuß und zu Pferd; einige gingen allein, viele in kleinen Familiengruppen, Kinder und Erwachsene. Rhapsody begrüßte das Oberhaupt der Familie mit einer Verbeugung; der Mann winkte freudig zurück. Als die ersten Cymrer eingetroffen waren, hatte sie jeden Einzelnen begrüßt und war oft bis nach Mitternacht aufgeblieben, damit sich alle wohl fühlten und wussten, warum sie hier waren. Doch die wachsende Menschenmenge hatte es ihr bald unmöglich gemacht, weiterhin jeden willkommen zu heißen.