»Nett von dir, etwas zum Essen mitzubringen«, erwiderte er trocken. »Aber du hast mir immer noch nicht gesagt, wie du mich aus dem Berg vertreiben willst. Egal. Geh zurück zum Konzil, Tristan, und verschwende nicht länger meine Zeit.« Achmed drehte sich um und ging fort.
Der Herr von Roland blähte wütend die Nasenflügel und fuhr mit der Hand zum Griff seines Schwertes. »Ich warne dich zum letzten Mal, Ungeheuer...«
Achmed wirbelte schneller herum, als Tristan es mit seinem Blick erfassen konnte. Das Langschwert des Herrn von Roland flog mit dem Griff voran in das schlammige Gras. Tristan spürte den plötzlichen Schmerz des schraubstockgleichen Griffs, der sich um sein Handgelenk wand, dann sah er die vor dunkler Wut glühenden Augen des Königs eine Haaresbreite von seinen eigenen entfernt. Hinter sich hörte er, wie Schwerter klirrend aus der Scheide gezogen und Bögen knirschend gespannt wurden.
»Anscheinend geben wir beide nicht viel auf die Warnungen des anderen«, sagte er mit ruhiger und leiser Stimme, die nur für Tristan hörbar war. »Erinnere dich daran, dass ich dich vor langer Zeit in der Stille deines Schlafzimmers gewarnt habe, mir in die Quere zu kommen. Du wirst bald herausfinden, aus welchem Holz Ungeheuer geschnitzt sind. Bist du bereit für diese Lektion? Hier, vor deinen schwachsinnigen cymrischen Gefährten? Bist du bereit, die Schlacht von Bethe Corbair oder die Auslöschung der vierten Kolonne zur Unterhaltung deiner Freunde noch einmal aufzuführen?«
Tristan zog den Arm aus der Umklammerung des Bolg-Königs. »Du klägliches, untermenschliches Wesen. Dein Heer ist tot, dein Berg leer. Du könntest dein Reich nicht einmal mit Lampenlicht gegen die herankommende Nacht verteidigen und schon gar nicht meine Soldaten aufhalten.«
Unter den zeremoniellen Schleiern war Achmeds Lächeln deutlich erkennbar. »Wirklich? Eine bemerkenswerte Theorie. Sollen wir sie überprüfen?«
Silberner Hörnerschall zerriss die Luft und zerschmetterte die fühlbare Spannung zwischen den beiden. Sie schauten hoch zum Rand der Senke und sahen Rhapsody auf dem Rufersims stehen. Sie starrte auf die Männer herunter und war kaum mehr als eine winzige silberne Scheibe, die in der Sonne glitzerte und einen langen Schatten warf. Die Juwelen in der Krone wirbelten um ihren Kopf und waren selbst aus großer Entfernung sichtbar.
Achmed grinste noch breiter, als er Tristans verzauberten Blick bemerkte. »Die Ruferin befiehlt uns zu sich, höchster Herrscher«, sagte er launig. »Sollen wir ihren Ruf missachten und sofort anfangen? Möchtest du das Konzil mit dem Blut der armen, geschundenen Überlebenden meines Königreiches taufen?«
Er beugte sich vertraulich vor. »Rhapsody ist die beste Heilerin in den Bolg-Landen . Sie leidet mit dem Verlust jeder Firbolg-Seele und jedes kranken Kindes. Das war auch ihr Volk, Herr von Roland. Du weißt, wie sie vor langer Zeit zu dir gekommen ist und die Bolg vor dem weiteren Abschlachten durch deine Truppen retten wollte. Willst du, dass sie wieder dabei zusieht? Bist du deswegen mit deinem Heer gekommen für einen neuen Frühjahrsputz?«
Nun hielt Tristan dem Blick des Bolg-Königs stand. »Kiernan?«, rief er zu seinem General.
»Herr?«
»Lager aufschlagen. Wir werden nach dem Konzil weitermachen.«
»Ja, Herr.«
Tristan drehte sich um und hob sein Langschwert auf. Er säuberte es an seinem Mantel und steckte es mit einer hastigen Bewegung zurück in die Scheide. Während der Befehl, das Lager aufzuschlagen, in Wellen durch die Soldatenmenge schwappte, drehte er sich noch einmal zu Achmed um.
»Wenn dieses Konzil vorbei ist, wird nicht nur das Heer von Roland, sondern auch die Macht und Stärke der ganzen Versammlung meinem Befehl unterstehen.«
»Noch besser. Dann haben wir genug Fleisch zum Abendessen.«
»Ich werde dein Land vor dem nächsten Einbruch der Nacht besitzen.« Tristan Steward gab seinen Generälen und Gehilfen ein Zeichen und schritt dann durch die großen irdenen Tore der Senke und des Gerichtshofes, um sich zu seinem eigenen Haus zu gesellen, während das Heer sich zur Belagerung bereit machte.
Achmed sah dem Herrn von Roland nach, bis dieser im Gerichtshof verschwunden war, und wandte sich dann an Grunthor.
»Gut. Ich wusste, dass ihre unglaubliche Schönheit eines Tages von wirklichem Nutzen sein würde.« Er schaute zurück zu den Bergen, die sich kalt und still hinter ihm erhoben. »Ich höre schon Grummeln aus den cymrischen Reihen über Tristan und sein Heer. Viele sind wütend, dass er es zu einem Friedenskonzil mitgebracht hat.«
»Ja.« Grunthor warf einen kurzen Blick auf die lagernde Streitmacht, die das Land um den Gerichtshof schwärzte. »Vielleicht tragen sie’s untereinander aus. Könnte ganz nett werden.«
»Allerdings. Und jetzt sollten wir uns selbst quälen.«
Grunthor nickte. Gemeinsam erkletterten sie den oberen Rand der Senke und nahmen ihre Plätze als Gastgeber der Versammlung neben der Ruferin ein.
74
Der Schall der Hörner hätte für Rhapsody und die anderen Cymrer das erste Signal sein können, das ihnen die Ankunft einer weiteren Gruppe ankündigte, doch Achmed wusste schon seit Stunden, dass sie im Anmarsch war. Seine Späher und Spione hatten ihn gewarnt. Als die Menge am Horizont erschien, sah sie eher wie ein Heer und nicht wie eine Abordnung aus, denn sie war in leuchtende Uniformen gekleidet, und ihre Banner flatterten. Es waren weder Menschen noch Lirin. Die Männer waren fünf bis fünfeinhalb Fuß groß, hatten lange, fließende Barte, muskulöse Brustkörbe und Schultern, die so breit wie bei einem Menschen waren. Die Mehrheit der Versammelten hatte diese Leute noch nie in ihrem Leben gesehen, aber alle hatten die alten Geschichten über den Krieg und das cymrische Zeitalter gehört und erkannten die Neuankömmlinge als diejenigen, welche den Nachtberg und das Gebiet hinter ihm bevölkerten.
Es waren die Erdbewohner, die Kinder der Schmiede, die Nain, die auf den cymrischen Schiffen in die neue Welt gekommen waren, aber im fernen Osten unter ihresgleichen lebten. So wie Gwylliam zum König der Menschen sowohl der Cymrer als auch der Ureinwohner erwählt worden war, hatte man den Anführer der cymrischen Nain in der neuen Welt zum König der Nain gemacht. So war es auch während des Krieges geblieben, bis die beiden Völker sich völlig vermischt hatten. Faedryth, Herr und Herzog des Hauses Alexander, war zugleich ein alter Cymrer der Ersten Generation und der König eines eingeborenen Volkes. Seit Jahrhunderten hatten die Nain in selbst auferlegter Abgeschiedenheit gelebt. Im Krieg hatten sie hauptsächlich gegen die Lirin gekämpft und waren Teil des Konzils geblieben, sich aber fast ausschließlich um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert. Die Ankunft der Nain-Häuser rief eine plötzliche Stille hervor. Dann setzte ein rasch anwachsendes Murmeln ein, als die Bedeutung ihrer Teilnahme heftig erörtert wurde.
Als die gesamte Abordnung eingetroffen war, stellten sich die Nain gegenüber den Lirin auf, deren Häuser sich am Fuß des Rufersimses zusammengedrängt hatten. Spannung lag in der Luft. Die Massen teilten sich nun auf in Häuser, Rassen oder Flotten, mit denen die Vorfahren gesegelt waren. Die Bolg-Cymrer blieben bei Achmed, der sich als Gastgeber am oberen Rand der Senke hinter Rhapsody gestellt hatte.
Die Spannung in der Luft wurde beinahe handgreiflich. Einige der Häuser beanspruchten Mitglieder aus der Diaspora für sich, wenn sie unter ihnen entfernte Verwandte oder andere Familienmitglieder erkannten. Andere schienen Mitglieder freizügiger aufzunehmen, ohne Kenntnis der Abstammung und aus politischen Gründen. Dies führte zum Ausbruch vieler Streitereien. Die Gemüter waren erhitzt, Waffen wurden gezogen, obwohl jegliche Aggression während des Konzils verboten war. Rhapsody sah all dem unglücklich zu. Wenn sie das Konzil nicht so schnell wie möglich zur Ordnung rief, würde sich niemand mehr um die allgemeinen Verhaltensregeln kümmern.
Mit einem Mal stieg aus der Versammlung ein gewaltiges Geschrei auf. Rhapsody stellte sich auf die Zehenspitzen und wollte sehen, was den Aufruhr verursachte. Schon öffnete sich eine Gasse in der Menschenmenge, und eine Gestalt in leuchtender, schwarzer Rüstung ritt auf einem schwarzen Schlachtross herbei. Rhapsody erkannte das Pferd sofort. Als der Mann vor dem Rufersims anhielt, nahm er den Helm ab. Erneut ertönte wildes Gelärme. Es war Anborn. Selbst aus der Ferne erkannte Rhapsody das Lächeln auf seinem Gesicht, als ihre Blicke sich trafen. Er winkte ihr zu. Dann stieg er ab und ging durch die leere Mitte des Amphitheaters. Er blieb stehen und wartete schweigend. Sofort bildete sich eine Menschenmenge um ihn. Einige grüßten ihn mit stiller Verehrung, andere mit offener Freude. Plötzlich erkannte sie in ihm mehr denn je den General, der er war den großen Marschall der Cymrer und nicht den griesgrämigen Stümper, den sie kennen gelernt hatte und der vielleicht ihr Gemahl würde. Er war ein geborener Führer, und nun begriff sie die Macht seiner Gegenwart. Der König der Nain kam zu ihm herüber und reichte ihm die Hand in einer Geste alter Freundschaft. Unter den Lirin erhob sich unwilliges Gemurmel. Rhapsody nahm böse Blicke und verächtliche Gesten wahr.