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»Ich lehne ab«, ertönte eine ruhige Stimme von einem Hügel in einiger Entfernung der Versammlung. Rhapsody schaute auf und sah die alte Kriegerin am Rande der Senke stehen. Sie drehte sich um und entfernte sich noch etwas weiter.

Rhapsody sank das Herz. Sie wusste, dass es ihre Pflicht als Ruferin war, neutral zu bleiben, doch sie wollte unbedingt etwas Ermutigendes sagen. Sie sah hinunter auf Grunthor und lächelte.

»Wir müssen uns selbst vergeben«, wiederholte sie sanft. Ihre Worte hallten durch die Senke.

»Richtig«, pflichtete ihr der riesige Firbolg bei. »Geht mich zwar nichts an, aber ich glaub, du bist die richtige Wahl. Wenn die Flotte auf dich gehört hätte, wäre sie nie in diesen dämlichen Krieg geraten. Und wenn die Lirin auf dich gehört hätten, wär’s ihnen besser ergangen, nich wahr? Und wenn die alte Annie auf dich gehört hätte, warn wir alle schon zu Hause beim Abendessen und müssten nicht ’nen verdammten Kontinent zusammenführen, oder? Was sagst du, Mädchen? Gib ihnen die Gelegenheit, es diesmal richtig zu machen.«

Nach einem Augenblick voll des stillen Erstaunens über die Rede des Sergeanten brach die Erste Flotte in Jubelrufe aus und rief laut ihren Namen. Rhapsody warf Grunthor eine Kusshand zu. Dann drehte sie sich nach Oelendra um. Selbst aus der großen Entfernung erkannte Rhapsody das Schimmern der Tränen in den Augen der Kriegerin.

»In Ordnung«, sagte sie, und die Jubelrufe wurden zu lautem Beifall.

»Gut«, meinte Rhapsody und blinzelte die eigenen Tränen fort. »Ich schlage vor, die einzelnen Sprecher kommen in einem der Tagungszimmer in Ylorc zusammen, während der Rest feiert und sich besser kennen lernt. Vielleicht erzeugt das genug guten Willen, der uns in den nächsten Tagen weiter hilft, damit wir einen Herrscher und eine Herrscherin wählen und noch weitere Aufgaben in Angriff nehmen können. Ihr habt nach der Zukunft gefragt. Hier machen wir sie.« Sie ergriff wieder ihre Harfe. Die ganze Versammlung schöpfte gespannt Atem.

»Wisst ihr, ich bin nicht Manwyn«, sagte Rhapsody, während eine Spur von Humor in ihren Blick zurückkehrte. »Ich kann euch nur sagen, was meiner Meinung nach möglich ist. Es liegt an euch, ob ihr es wahr macht oder nicht.«

Sie gab einem kleinen, goldhaarigen Kind aus der Abordnung der Lirin ein Zeichen.

»Arie, du bist die Zukunft. Komm her und sing mit mir.« Das Kind rannte zum Fuß des Rufersimses.

Sie spielte wieder. Diesmal war es eine flotte Melodie: ein Gwadd-Lied aus dem alten Land mit dem Titel »Hell fließt der Wiesenstrom«, ein Liebeslied an die welligen Hügel und Weiden, welche die Heimat des kleinen Volkes waren. Während sie sang, traten einige von ihnen gemeinsam mit weiteren kleineren Rassen, mit denen sie sich vermischt hatten, neben den goldhaarigen Jungen. Sie standen gebannt da und lauschten. Einige wagten mitzusingen. Die kleinen, spitzen Gesichter leuchteten; die großen Augen glitzerten, und die schlanken Gestalten der Gwadd warfen lange Schatten in der Nachmittagssonne.

Als das Lied von ihnen aufgenommen wurde, wob Rhapsody ein anderes hinein, das einzige Nain-Lied, das sie je gelernt hatte. Es handelte sich um ein Minenlied, das in den Höhlen gesungen wurde, während das Volk im Nachtberg seiner endlosen Arbeit nachging und die Schätze der Erde hervorholte. Das Lied wurde sofort von zehntausend Nain-Stimmen aufgenommen, von Stimmen, so reich und tief wie die Erde, in der sie lebten. Rhapsody hatte eine Tonart gewählt, die mit dem Gwadd-Lied harmonierte, und als sie gemeinsam sangen, hallten ihre Stimmen durch den Gerichtshof und drangen den versammelten Cymrern durch Mark und Bein.

Sie fügte ein Lied nach dem anderen hinzu, Choräle, Hymnen, einfache Bauernlieder, welche die Filiden sangen, während sie auf dem Feld arbeiteten, die Seemannslieder von Serendair, und jede Gruppe fiel ein, wenn sie ihr Lied hörte. Die Rhapsodie der Vergangenheit, die sie als Tribut an Anwyn gesungen hatte, war zu einer strahlenden Sinfonie geworden, deren Sätze so unterschiedlich waren wie die Völker, die in der Senke vor ihr standen, doch im Zusammenspiel klang es wunderschön. Die Gesichter der Cymrer spiegelten den Glanz der Nachmittagssonne wider, die allmählich hinter den Zahnfelsen versank, und zum zweiten Mal fühlte sich Rhapsody im Herzen eins mit ihnen. Sie teilte Elynsynos’ Liebe zu diesem Volk. Es war, als schaute sie ein letztes Mal auf die Flickendecke in ihrer Heimat, auf die Wiesen und Kornfelder, die der Landschaft unter dem Himmel ein wunderbares Muster verliehen.

Schließlich war das Werk vollendet, und Stille verankerte sich in der Senke, als Rhapsody die Harfe weglegte. Die leuchtende Aura hypnotischer Macht, die sie umgeben hatte, seit sie dem Feuer im Innern der Erde getrotzt hatte, schien verschwunden zu sein. Jetzt schwebte sie in der Luft über dem Gerichtshof, erhellte jede einzelne Seele, die den Gesang gehört hatte, und verband sie miteinander.

Sie wandte sich nach Westen und begann mit ihren Abendgebeten. Sie sang die untergehende Sonne und den Abendstern an, der über dem höchsten Gipfel von Achmeds Bergen stand. Das Abendgebet wurde von Zehntausenden lirinschen Stimmen aufgenommen, von denen viele aus der tyrianischen Abordnung stammten, andere wiederum aus den verschiedenen Flotten, aus Roland und von der Insel der Meeresmagier. Das Gebet erhob sich zum Abendstern, hallte durch die Senke, über die orlandische Ebene, durch die Zahnfelsen, über die Heide und bis darüber hinaus. Sie sangen die Sonne hinab, und der Himmel füllte sich mit strahlenden Bändern aus Orange und Rot, die sich in das Azurblau des westlichen Horizonts woben, welches sich der herannahenden Dunkelheit entgegenstreckte.

Als das Echo des letzten Tons verhallt war, schulterte Rhapsody ihr Gepäck. »Meine Dienste für euch sind nun beendet«, sagte sie zu der Versammlung.

»Wenn ihr mich in euren Reihen haben wollt, werde ich mich gern zu euch gesellen und den Vorsitz des Konzils jenen überlassen, die ihr unter euch auswählt.«

Als der Beifall seinen Höhepunkt erreichte, sprang Ashe vor und gab der scheidenden Ruferin ein Zeichen.

»Euer Majestät, darf ich das Wort ergreifen?«

Rhapsody seufzte leicht. Sie hatte den ganzen Tag über gestanden, und ihre Füße waren wund. »Selbstverständlich«, antwortete sie und war dankbar für die Unterbrechung. Sie setzte sich auf einen ausgemeißelten Stein, der im Rücken des Simses als Bank diente.

Ashe löste sich aus den Reihen der manossischen Abordnung und erkletterte den Sprecherhügel. Er bestieg den höchsten Kamm und schaute hinunter auf das Meer seiner cymrischen Gefährten. Im roten Licht der untergehenden Sonne leuchtete sein Haar, als wäre es eine Feuerkrone.

»Als Sprecher der Zweiten Flotte bitte ich darum, dass wir unsere Aufmerksamkeit sofort auf unsere Führerrolle als Konzil richten. Wie Anwyn gesagt hat, sind wir ein Konzil ohne Herrscher und Herrscherin. Gwylliam ist tot, und obwohl Anwyn noch lebt, hat sie sich eindeutig als unfähig erwiesen, unsere Führerin zu sein.«

Zustimmendes Gemurmel setzte ein. Selbst diejenigen, die am Ende des Krieges für sie als Herrscherin gestimmt hatten, standen ihr jetzt nicht mehr bei. Dafür hatten die Zeit und Anwyns eigenes Verhalten gesorgt.

»Zu diesem Zweck«, fuhr Ashe mit lauterer Stimme fort, »nominiere ich Ihre Majestät Rhapsody, Königin der Lirin, als cymrische Herrin.« Er musste schreien, damit er in der allgemeinen Aufregung überhaupt noch gehört wurde. »Sie stammt aus der Ersten Generation, ist aber mit keiner Flotte gesegelt und hat daher keine Vorliebe für irgendeine Gruppe. Sie ist eine der Drei, von denen Manwyn gesprochen hat. In der Prophezeiung ist sie der Himmel, die Liringlas, die alles umfasst und nicht geteilt werden kann. Sie ist das einzige Mittel, durch das Frieden und Einheit kommen wird. Sie hat den F’dor getötet, den alten Feind unseres Volkes und Bringer so vielen Elends seit unserer Flucht aus Serendair. Sie hat die Lirin vereinigt und Frieden zwischen ihnen und dem Fürstentum Bethania gestiftet, mit dem sie sich beinahe im Krieg befunden hätten. Sie hat den Bolg geholfen, in ein neues Zeitalter des Friedens und Wohlstandes einzutreten. Sie ist ein Mischling, was ein neues Band zwischen den Rassen bedeutet. Ihr wurde vorhergesagt, unsere Herrin und Anwyns Gegenspielerin zu sein. Sie ist diejenige, die uns zusammenbringen kann, während Anwyn uns voneinander entfernt hat. Falls das noch nicht ausreicht, hat sie meine Großmutter zum Schweigen gebracht, was bereits für sich genommen höchsten Beifall verdient.«