Tränen traten in ihre Augen, und die beiden Frauen umarmten sich heftig. Rhapsody schluchzte auf, als sie erkannte, dass dies die erste Person von der Insel war, die sie gekannt und die überlebt hatte, wenn sie von ihren beiden Bolg-Freunden absah. Analise war jemand, der aus ihrem früheren Leben stammte. Sie warf Grunthor einen raschen Blick zu und zog Analise beiseite, als er zwischen sie und die Menge trat, die auf sie zustürmte, und sie so ein wenig abschirmte.
Sie unterhielten sich in ihrer alten Sprache. Analise erzählte Rhapsody ihre Geschichte und beantwortete die Fragen, welche die Lirin-Königin nicht zurückhalten konnte. Sie war mit der Zweiten Flotte gesegelt, hatte sich in Manosse niedergelassen und dort ein angenehmes Leben geführt. Der Krieg, der so viele vernichtet hatte, war an ihr vorübergezogen. Sie hatte von der Krönung der neuen Königin gehört und sich entschlossen, die Reise als Geste der Hochachtung zu machen, als sie den Ruf des Horns verspürt hatte. Sie war zutiefst erstaunt, als sie herausfand, dass Rhapsody und die Königin ein und dieselbe waren.
»Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast«, sagte sie mit einer Stimme, die unter ihren tiefen Gefühlen brach.
Rhapsody erschauerte. »Bitte tu es. Ich habe es auch versucht.«
»Ich kann nicht«, meinte Analise und schenkte ihr ein Lächeln. »Du hast mich vor einem schlimmeren Schicksal bewahrt, als ich es mir hätte vorstellen können, Rhapsody. Wegen dir habe ich ein glückliches Leben führen können und den Krieg auf der Insel überlebt. Ich bin zufrieden in Manosse und habe jetzt eine eigene Familie. Ich werde dir meine Enkel später vorstellen, damit sie die Frau kennen lernen, der sie ihr Leben zu verdanken haben.«
Rhapsody wirkte verlegen. »Sag ihnen das bitte nicht, Analise. Ich würde sie aber gern sehen. Du bist jederzeit in Tyrian willkommen.« Erschöpfung übermannte sie, und Traurigkeit zerrte an ihrer Seele. Sie gab Analise einen Kuss und versprach ihr, sich am nächsten Tag mit ihr zu treffen. Als sie sicher war, dass keiner der feiernden Cymrer sie sehen konnte, machte sie sich in aller Heimlichkeit auf den Weg nach Elysian.
Aber damit hatte sie keinen Erfolg. Tausende riefen in Feierlaune und Weinseligkeit ihren Namen und umjubelten sie. Rhapsody hatte geglaubt, beim Abendessen mit den meisten Leuten geredet zu haben, doch als sie sich umsah, bemerkte sie eine endlose Reihe von Staatsmännern und Leuten, die ihr Glück wünschen wollten. Es war unmöglich, sie alle zu begrüßen. Allein die Unterredungen mit den Staatsoberhäuptern würden bis zum Morgengrauen dauern. Sie musste unbedingt von hier verschwinden.
Der Andrang der bewundernden Untertanen verursachte Rhapsody Übelkeit. Sie fühlte sich gefangen, und Panik durchfuhr sie. Schweiß bildete sich auf ihren Handflächen, und ihr Herz raste. Als die Wand aus Menschen auf sie zuraste, sah sie aus den Augenwinkeln ein kupfernes Schimmern. Ashe, der selbst von Glück Wünschenden umringt war, versuchte so höflich wie möglich, sich einen Weg zu ihr zu bahnen.
Die Aussicht darauf, mit ihm zu reden, war mehr, als Rhapsody ertragen konnte. Sie lief auf Rial zu, den sie an der anderen Seite des Ausgangs stehen sah. Als sie sich ihm näherte, grinste er breit, doch sobald er den Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte, wandelte sich seine Erheiterung zu Besorgnis. Er streckte die Arme aus, während sie auf ihn zurannte.
»Was ist los?« Er drückte sie beruhigend, machte sich von ihr los und sah ihr in die Augen.
»Bitte, Rial«, keuchte sie mehr aus Angst als aus Erschöpfung, »hol mich hier heraus. Bitte! Sonst breche ich zusammen.«
Ihr Vizekönig verstand sofort. Er drehte sich rasch halb um und legte dabei den Arm um sie. Sein langer roter Umhang wallte um sie beide, während sie davoneilten, und er redete besänftigend auf sie ein, so wie sie es bei verängstigten Kindern tat.
»Macht Euch keine Sorgen, Euer Hoheit. Ihr hattet einen anstrengenden Tag, und jeder wird es verstehen. Ich denke, Ihr wart so lange auf dem Fest, wie es die Höflichkeit gebietet. Ich bringe Euch von hier fort und werde Euch bei der Versammlung entschuldigen.« Er streichelte sanft ihre Hand, und sie ergriff die seine und hielt sich mit aller Kraft an ihr fest.
78
Ashe kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, so stark war der Druck der Menge. Es gelang ihm, jeden anzulächeln, der ihn bei der Schulter packte, seine Hand ergriff oder ihm auf den Rücken klopfte. Er wusste, dass Rhapsody dies von ihm erwartete. Es war ausschließlich ihre mögliche Missbilligung, die ihn davon abhielt, sein Schwert zu ziehen und sich den Weg durch die ärgerlichen Esel frei zu schlagen, die ihm den Weg versperrten. Die lärmenden Stimmen und Jubelrufe bereiteten ihm Kopfschmerzen. Er konnte es nicht erwarten, endlich von hier zu fliehen und in Rhapsodys Armen zu liegen. Auf diesen Moment hatte er mehr als ein halbes Jahr gewartet. Wenn er noch einen Augenblick länger von ihr fern gehalten wurde, würde er sich nicht mehr beherrschen können.
Als er sich von einer weiteren Menschenansammlung gelöst hatte, sah er zu der Stelle, wo Rhapsody gestanden hatte. Sie war fort.
Er wirbelte herum und entfesselte seine Drachensinne, doch er erfühlte sie nicht. Er wusste sofort, dass sie nach Elysian unterwegs war, aber Kälte griff nach ihm, als Zweifel in ihm aufstiegen. Während der Zeit ihrer Trennung war Rhapsody an vielen merkwürdigen Orten gewesen und hatte gelernt, sich sogar vor ihm zu verbergen. Vielleicht ging sie gar nicht nach Elysian.
Er hatte nicht die Zeit, einer falschen Vermutung zu folgen, wie es nach Llaurons vorgeschobenem Tod der Fall gewesen war. Wenn er den richtigen Ort nicht fand, wäre sie verschwunden, bevor er sie eingeholt hätte, und das Konzil würde fortgesetzt, bevor er ihr ihre Erinnerungen zurückgegeben hatte. Das durfte nicht geschehen.
Er suchte nach Hinweisen, und zufällig fiel sein Blick auf Oelendra. Sie hatte sich von der Menge frei gemacht und ging langsam am Rand der Senke in die Nacht hinein. Er schoss auf sie zu und packte sie am Arm. Die Worte schössen ohne jede höfliche Floskeln aus ihm hervor.
Oelendra sah ihn mitleidig an. »Herzlichen Glückwunsch, mein Herr der Cymrer. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute...«
»Wo ist Rhapsody? Sag es mir, Oelendra, oder ich werde ...«
Oelendra kniff die Augen zusammen. »Oder du wirst was? Fang nicht am falschen Ende an.«
»Es tut mir Leid, Oelendra«, erwiderte Gwydion eingeschüchtert. »Mit Ausnahme einer einzigen anderen Person gibt es niemanden, dem ich so viel verdanke wie dir. Aber wenn ich noch eine Sekunde von meiner Frau fern gehalten werde...«
»Hast du sie gefragt, bevor du sie als Herrin nominiert hast?«
Gwydions Miene versteinerte. »Was willst du damit sagen?«
»Hast du dir die Mühe gemacht, sie zu fragen oder ihr gegenüber wenigstens anzudeuten, was du vorhattest?«
»Wann denn?«, fragte er ungläubig. »Ich habe sie doch seit drei Monaten nicht einmal mehr gesehen, Oelendra. Ich bin langsam verrückt geworden, während ich auf die Erlaubnis gewartet habe, mit meiner eigenen Frau zu sprechen, und sie ist mir nicht erteilt worden.«
»Vielleicht gab es einen Grund dafür.«
»Es gab zweifellos viele Gründe, aber keiner davon war wesentlich. Ich muss sie sehen, Oelendra. Ich muss sie sofort sehen, bevor etwas schief geht und Anborn oder Achmed Ansprüche auf sie erheben. Gute Götter, ich muss ihr die Wahrheit sagen. Bitte, bitte hilf mir. Ist sie in den Kessel zurückgekehrt? Oder ist sie nach Elysian gegangen?«
Oelendra sah ihm in die Augen. In ihnen lagen bereits die neue Weisheit und der Blick eines wahren Königs. Aber in den Tiefen lauerten die schreckliche Angst und Verzweiflung eines furchtsamen Ehemannes, der dabei war, seine Seele zu verlieren. Er hatte ihr Mitgefühl, aber ihre Loyalität stand zwischen ihm und der Information, die er brauchte.
Ashe wusste um ihren Zwiespalt. »Oelendra, ich kenne und bewundere deine Treue gegenüber Rhapsody, aber du musst wissen, dass ihr zu den Entscheidungen, die sie zu treffen hat, wichtige Informationen fehlen. Bitte stell dir vor, was sie von dir erwarten würde, wenn sie alle Tatsachen wüsste. Glaubst du nicht auch, dass es ihr sehr wehtun würde, wenn sie etwas unternähme, was ihren Entscheidungen aus jener Nacht vor sechs Monaten widerspricht? Was wird wohl mit ihr geschehen, wenn sie schließlich herausfindet, was wir einander versprochen haben, sich aber in der Zwischenzeit mit einem anderen verbunden hat?«