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Die elysianischen Gärten standen in voller Blüte. Sie waren wild gewuchert und voller Reife und Süße. Rhapsody hatte den letzten Monat vor dem Konzil mit Achmed und Grunthor in Ylorc verbracht und nachts allein in ihrem einsamen, fensterlosen Quartier innerhalb des Kessels gegenüber der Halle geschlafen, hinter der sich Jos Zimmer befunden hatte. Sie hatte es gehasst, aber sich dort sicher gefühlt. Vor einiger Zeit war sie nur einmal von der Senke aus nach Elysian zurückgekehrt und hatte dort eine Liebesnachricht und einen Strauß aus Winterblumen auf dem Esstisch vorgefunden. Anscheinend konnte Ashe noch über die Ebene wandern, nicht aber die Sicherheitsmaßnahmen der Zahnfelsen und des Kessels durchbrechen. Also war Rhapsody dort geblieben, denn sie hatte gewusst, dass er nicht herkommen konnte.

Sie öffnete die Tür des dunklen Hauses und roch den Duft der würzigen Kräuter und getrockneten Blumen, der sie begrüßte. Trotz ihrer Verletzlichkeit und der schlimmen Erinnerungen flößte ihr Elysian ein beruhigendes Gefühl ein. Es war für sie die Heimat, die sie nie gehabt hatte.

Rhapsody hing den Satinmantel auf und zog die dazu passenden Schuhe aus. Die Sohlen waren von dem stundenlangen Stehen auf dem Sims abgeschabt und gerissen. Mit müder Hand rieb sie sich die Füße. Dann ging sie durch die Dunkelheit nach oben in ihr Schlafzimmer. Sie öffnete die Tür und fand alles so vor, wie sie es verlassen hatte. Das Bett war gemacht.

Sie hockte sich vor den Kamin im Schlafzimmer. Er war sauber, und es lag Holz für ein Feuer darin, aber er brannte nicht. Heute war sie dankbar dafür, denn sie hatte nicht mehr die Kraft, Brennholz aufzuschichten. Vielleicht war es Achmed gewesen, vielleicht auch Ashe, der ihr diesen Dienst bereits erwiesen hatte. Sie sprach ein einziges Wort, und das Feuer entzündete sich. Die kleinen Zweige knisterten und zischten, als sie für kurze Zeit zu feurigem Leben erwachten, sich dann in Rauch auflösten und zu Asche zusammenfielen.

Rhapsody sah sich im Zimmer um, als das Licht beständiger wurde. Die Feuerschatten huschten über die geliebten Möbel und in die vertrauten Ecken und erweckten Erinnerungen in ihrer Seele, deren Schönheit sie schmerzte. Zwar liebte sie Elysian und vermisste es, wenn sie in Tyrian war, doch sie wusste, dass sie nicht lange hier bleiben konnte. Es war einfach zu qualvoll.

Als die Dunkelheit wich und es hell im Zimmer wurde, fing etwas Helles ihren Blick ein. Über dem zusammengefalteten Paravent in einer Zimmerecke hing ein weißes Hemd das Hemd, um das sie Ashe in jener Nacht hatte bitten wollen, als er ihr die Erinnerungen genommen hatte. Offenbar hatte sie sich daran noch erinnert, und er hatte ihrem Wunsch entsprochen. Rhapsody ging zu dem bemalten Paravent und nahm das Hemd herunter. Sie untersuchte es kurz und fuhr sich damit über die Wange. Es trug noch seinen Geruch, sauber und stürmisch, mit einer Spur der salzigen Ozeangischt. Dieser Duft trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie verfluchte sich, weil sie so verwundbar war. Selbst die Schuldgefühle, die den Tränen folgten, konnten sie nicht veranlassen, das Hemd wegzulegen.

Rhapsody stand lange Zeit da und liebkoste ihr Gesicht mit dem Kleidungsstück. Als es im Raum wärmer wurde, spürte sie, wie Erschöpfung und Traurigkeit sie überkamen. Sie warf sich das Hemd über die Schulter und ging ins Badezimmer. Sie pumpte eisiges Wasser in die Wanne, berührte es und steigerte die Temperatur, bis sie angenehm war. Dann wusch sie sich hektisch das Gesicht, als wollte sie die unsichtbaren Tränenflecken und die gelassene Miene abreiben, die sie den ganzen Tag als Maske getragen hatte.

Sie starrte ihr Spiegelbild im Glas an. Es war ein menschliches Gesicht, für ihre Augen unbedeutend, aber von einer Müdigkeit durchdrungen, die aus allen Poren der erschöpfungsblassen Haut atmete. Es war kein schönes Gesicht. Sie begriff die Reaktionen nicht, die es hervorrief. Es muss die Krone sein, dachte sie. Ich vermute, eine blendende Gloriole aus kreisenden Sternen zwingt jeden zur Ehrfurcht.

Mit einer Gleichgültigkeit, die von ihrer immer stärker werdenden Müdigkeit hervorgerufen wurde, zog sie die Kämme aus dem Haar und bürstete es langsam. Dabei versuchte sie, über die Ereignisse des Tages nachzudenken. Sie putzte die Zähne und spülte den Mund mit einer Flüssigkeit aus, der Anis und Pfefferminze zugegeben waren. Damit hoffte sie, den bitteren Geschmack zu vertreiben, doch es gelang ihr nicht. Die Säure, die ihn verursachte, steckte tief in ihr. Sie schüttelte noch einmal den Kopf, damit sich die langen Haarsträhnen legten, und kehrte ins Schlafzimmer zurück.

Das Feuer brannte nun gleichmäßig und sprang vor Freude auf, als sie den Raum betrat. Rhapsody warf das Hemd auf das Bett, ging zu ihrem Wandschrank und suchte nach einem Knopföffner. Am Morgen hatte ihr Oelendra beim Anziehen geholfen, doch jetzt musste sie allein mit den vielen kleinen Knöpfen am Rücken ihres Kleides kämpfen. Als Ashe da gewesen war, hatte sie nie einen Knopfhaken gebraucht. Die Hilfe beim An und Ausziehen war eines der Dinge, an deren Fehlen sie sich gewöhnen musste, auch wenn Ashes Unterstützung beim Ankleiden oft eher nachteilig gewesen war. Sie lachte über das Bild, das sie abgab. Die lirinische Königin und neue Herrin der Cymrer suchte nach Hilfsmitten, um ihren Körper von den Kleidern zu befreien.

Schließlich fand sie den Haken auf dem Boden hinter einigen Hutschachteln. Ashe hatte auch einen nachteiligen Einfluss auf ihre Ordnungsliebe gehabt. Sie fuhr sich mit dem Haken über den Rücken und löste die Knöpfe mit einer Geschicklichkeit, die von ihren einsamen Tagen herrührte. Es lag ein gewisser Trost darin, dass sie in ihr altes Leben zurückkehren konnte und es trotzdem weiterging. Das Kleid fiel ihr von den Schultern. Sie trat daraus hervor und schaute es einen Moment lang an. Zum ersten Mal in ihrem Leben ließ sie die Kleidung in einem Haufen auf dem Boden liegen.

Sie zog den Unterrock über den Kopf, warf ihn auf den Haufen und kehrte zum Bett zurück. Sie hob das Hemd auf und starrte es an. Die Ärmel waren etwas zerknittert, und ein einziger weißer Weinfleck zeugte noch davon, dass er in jener Nacht beim Essen das Glas umgekippt hatte. Er muss sehr nervös gewesen sein, dachte sie und erinnerte sich, wie sich ein Lachen über sein hübsches Gesicht gelegt hatte. Wie gern sie ihn lachen gesehen und gehört hatte! Das Gefühl des Verlustes quoll wieder in ihrer Kehle hoch. Sie drückte das Hemd gegen ihre nackte Brust und versuchte die Schmerzen zu vertreiben. Das Leinen auf der bloßen Haut erinnerte sie blass daran, wie sie ihn in den Armen gehalten hatte. Gekleidet in nichts als ihre Unterhose, zog sie das Hemd an, schlang die Arme um sich und versuchte dieses Gefühl zurückzuholen.

Es funktionierte nicht, doch sein Duft füllte ihre Lunge. Sie rollte die langen Ärmel hoch. Das Hemd hing ihr bis fast auf die Knie; es war ein wenig wie eine Umarmung. Das war alles, was Rhapsody von ihm geblieben war, und es würde ihr genügen müssen. Sie zog die geblümte Bettdecke zurück und kroch in ihrem seltsamen Nachtgewand zwischen die Laken. Dann überließ sie sich den Tränen der Verzweiflung und hoffte, sie würden ihr Herz auf immer von ihm rein waschen.

In diesem Zustand fand er sie: zusammengerollt im Bett unter der Decke, gekleidet in sein Hemd und schluchzend, als bräche ihr das Herz. Sie hatte ihn weder hereinkommen gehört noch seine Gegenwart gespürt. Er trug seinen Nebelumhang und war unbemerkt hereingeschlüpft. In ihrem Elend erkannte sie ihn erst, als er schon beinahe über ihr stand.

»Aria? Ist mit dir alles in Ordnung?«

Wie ein abgeschossener Pfeil sprang Rhapsody aus dem Bett. In ihrem Gesicht spiegelten sich Entsetzen und Panik wider. Sie schoss hinter den Paravent. Die Überraschung hatte ihre Tränen gestillt.