»Ashe! Was, um alles in der Welt, tust du hier? Gute Götter, geh! Bitte.«
Ein Durcheinander von Empfindungen durchfuhr Gwydion, als sie an ihm vorbeistürmte:
Schmerz angesichts ihres Leids, Belustigung über ihre Reaktion, der Wunsch, sie in den Arm zu nehmen, Verlangen nach ihrem Anblick, besonders in diesem Aufzug. Er kämpfte darum, das Lächeln aus seinem Gesicht zu verbannen, und bemühte sich um einen ernsten Tonfall.
»Es tut mir Leid, ich hätte anklopfen sollen.«
»Nein, du hättest erst gar nicht herkommen sollen. Was hast du dir dabei bloß gedacht? Es ist mir egal, ob du der Herr der Cymrer bist. Verlasse dieses Haus sofort!«
Ashe zog den Nebelmantel aus und hing ihn an den Haken neben der Tür. Dann nahm er eine große, schimmernde Perle aus der obersten Schublade des Schrankes und legte sie auf den Schrank. Als Nächstes setzte er sich in einen der Armlehnsessel vor dem Feuer, wo er den Paravent besser im Blick hatte. Er legte die Füße hoch, schaute auf den Haufen zerknüllter Kleider am Boden und lachte laut auf.
»Ich bin erstaunt, Rhapsody. Du wirst nachlässig.«
»Hinaus mit dir!«, befahl sie eindringlicher. »Was bildest du dir ein, einfach herzukommen?«
»Ich wollte dich meiner Frau vorstellen«, erwiderte er mit steigender Belustigung. »Vielleicht erinnerst du dich, dass ich das nach dem cymrischen Konzil tun wollte.«
Rhapsody keuchte entsetzt auf. »Wie bitte? Du hast sie hergebracht? Gute Götter, was ist denn mit dir los? Das Konzil ist noch gar nicht vorüber. Ich dachte, ein paar Tage oder Wochen später...«
»Oder Monate, oder Jahre ... Mir war klar, dass du so denkst. Du wärest nicht lange genug hier geblieben, damit ich sie dir vorstellen kann. Du vergisst, dass ich dich sehr gut kenne, Rhapsody.« Seine Augen leuchteten im Feuerschein. Er genoss diesen kleinen häuslichen Streit.
»Wie kannst du es wagen«, flüsterte sie. In ihren Augen bildeten sich Tränen der Wut. »Du hast kein Recht, mir zu sagen, was ich tun und lassen soll. Das ist mein Haus, falls du es vergessen hast. Und jetzt geh!«
Gwydion sprang auf. »Sag das nicht«, meinte er ernst. Er kannte ihre nächsten Worte schon:
Du bist hier nicht willkommen. Er wollte auf keinen Fall, dass ihre Fähigkeit des Benennens dies zur Wahrheit machte. »Es tut mir Leid. Komm heraus, damit wir reden können.«
Allmählich geriet Rhapsody in Panik. »Wo ist sie? Ich spüre ihre Anwesenheit in meinem Haus nicht einmal. 0 nein! O nein! Bitte. Ashe, geh jetzt. Wir können morgen auf dem Konzil miteinander reden, das verspreche ich dir. Aber jetzt geht beide!«
»Ich gehe nirgendwohin, solange du nicht hervorkommst und mit mir sprichst. Und es ist niemand sonst hier; wir beide sind allein. Komm schon. Stell dich dieser Sache, wie du dich allem stellst, Rhapsody. Es sieht dir nicht ähnlich, dich zu verstecken.«
Ihre Wut wurde immer stärker. »Es geht dich nichts an, wie ich mich verhalte oder was ich von nun an außerhalb der Politik tue, Ashe.«
»Falsch. Komm heraus, ich gehe sowieso nicht.«
»Und ich bin nicht angezogen.«
»Das habe ich bemerkt. Umso besser. Komm heraus. Bitte.«
Sie lugte hinter dem Paravent hervor. Ihr Gesicht war ein Kaleidoskop aus Wut, Entsetzen und Raserei, und Gwydion lachte schallend über die Verwandlungen ihres wunderschönen Antlitzes. Rhapsody nahm ein Buch aus dem Regal, das neben dem Kamin in die Wand eingelassen war, und warf es ihm entgegen. Es traf ihn mitten auf die Stirn.
»Was ist bloß los mit eurer Familie?«, fragte sie in rasender Wut. »Kaum ernennt man euch zu den Herren der Cymrer, und schon verwandelt ihr euch in Narren.«
»Hallo!«, rief Gwydion in gespielter Verärgerung. »Spricht man so mit seinem Herrn und Mitregenten?« Das Wutgekreisch hinter dem Paravent erinnerte ihn an einen pfeifenden Teekessel, und er krümmte sich vor Vergnügen.
»Hau ab!«
»In Ordnung, in Ordnung, Rhapsody«, sagte er und brachte sein Vergnügen mühsam unter Kontrolle. »Ich schlage dir einen Handel vor. Du kommst heraus und hörst dir an, was ich zu sagen habe. Wenn du dann immer noch willst, dass ich gehe, werde ich das sofort tun, ohne jedes weitere Wort. Ist das gerecht?«
»Nein. Ich bin nicht angezogen.«
»Du siehst wunderbar aus. Und nun komm endlich hervor.«
»Himmel, du bist ein verheirateter Mann. Hast du keine Scham?«
»Nicht die geringste. Komm jetzt heraus, oder ich verlange von dir, dass du mir sofort mein Hemd wiedergibst.« Er stellte sich zwischen sie und den Schrank.
Für kurze Zeit kam kein Geräusch mehr hinter dem Paravent hervor. Dann hörte er ein tiefes, trauriges Seufzen, und schließlich kam sie mit einem Ausdruck schwerer Demütigung hervor. Gwydions Herz machte einen Satz. »O Rhapsody, es tut mir so Leid«, sagte er, trat auf sie zu und nahm ihre Hand. Er führte sie zu dem Sessel, in dem er gesessen hatte, und reichte ihr eine ihrer Decken. Er seufzte, als ihre schönen Beine darunter verschwanden.
Sie starrte ins Feuer und sagte nichts. Gwydion sah, wie sehr die Monate der Bedrängnis an ihr gezerrt hatten, und verfluchte sich dafür, so mit ihren Gefühlen gespielt zu haben. Er setzte sich auf den Boden zu ihren Füßen, wie am ersten Tag, als sie ihn hergerufen hatte. Aus seiner Tasche zog er ein kleines Kästchen und öffnete es. Kurz schaute er in das Innere. Dann hielt er es ihr hin.
»Erinnerst du dich noch daran, Aria?«, fragte er mit sanfter Stimme.
Rhapsody schaute ihn kurz an und richtete den Blick wieder auf das Feuer. »Nein.«
»Sieh genauer hin«, bedrängte er sie und versuchte, ihre Aufmerksamkeit Zurückzugewinnen.
»Ist es dir nicht vertraut?«
Sie sah noch einmal in das Kästchen. Darin befand sich ein kleiner Ring, zusammengesetzt aus winzigen Fragmenten des lirinischen Diadems, mit einem wundervollen Smaragd im Mittelpunkt. Sie ergriff das Kästchen und schaute sich den Inhalt genauer an. Bei ihrer Berührung loderte das Feuer der Diamanten auf, wie es bei der Krone der Fall gewesen war. Der Smaragd fing das Licht ein und leuchtete wie eine Sternbeglühte See.
»Es ist wunderschön«, sagte sie und gab ihm das Kästchen zurück. »Aber ich erinnere mich nicht daran.«
Gwydion seufzte. »Na gut. Streif ihn über den Finger.«
Rhapsody kniff die Augenbrauen zu einem Runzeln zusammen. »Mach dich nicht lächerlich.«
»Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie ernster gewesen. Bitte, streife ihn über.«
»Ich auch nicht. Nein.«
Damit hatte er nicht gerechnet. »Rhapsody, um ...«
Sie stand auf und hielt sich das Laken vor den Leib. »In Ordnung. Ich habe gehört, was du zu sagen hattest. Jetzt will ich, dass du gehst. Sofort und ohne ein weiteres Wort. Das hast du mir versprochen.«
»Aber...«
»Nein, nein«, unterbrach sie ihn und hob die Hand. »Sei still. Du hast vorhin die Herrschaft über das vereinigte cymrische Volk angetreten. Es wäre nicht gut, wenn du schon an diesem Tag dein Wort brächest. Du hast es mir versprochen und musst jetzt gehen. Ich werde morgen früh mit dir reden oder zumindest irgendwann während des Konzils, falls es keinen neuen Aufstand gibt.«
Er starrte sie ungläubig an. Sein Humor war seine Verteidigung gegen den überwältigenden Drang gewesen, sie zu packen und nie wieder loszulassen. Drei endlose Monate lang hatte er, der Mann und Drache, Schmerzen gelitten, ihre Magie vermisst, ihre Liebe vermisst, sie vermisst. Er hatte ungeduldig jeden Tag gezählt, war durch die Randgebiete der Zahnfelsen gepirscht und hatte gehofft, einen Blick auf sie erhaschen zu können. Schließlich hatte er eine so große Entfernung wie möglich zwischen sie beide gelegt und sich mit dem Wissen getröstet, dass seine Zeit kommen würde.
Und nun war sie da, doch Rhapsody hatte Angst vor ihm und fühlte sich in seiner Gegenwart verlegen. Er hatte Närrischerweise geglaubt, er brauche ihr nur den Ring an den Finger zu stecken. Er hatte versucht, es so langsam anzugehen, wie er es ertragen konnte, damit all das, was er ihr zu sagen hatte, sie nicht überwältigte. Und wegen seiner Skrupel hatte er sich soeben für wenigstens einen weiteren Tag aus ihrer Gesellschaft ausgeschlossen. Sicherlich würde sie morgen die Gelegenheit finden, niemals mit ihm allein zu sprechen nur um des Anstandes willen.