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Hinter ihr schwoll die Menge an. Rhapsody wurde auf einer geschwinden Welle getragen, die durch das zerbrochene Tor brandete, das von Stephen und seinen Streitkräften aufgerissen worden war. Die Cymrer, die dem sicheren Tod in der Senke entkommen waren, sahen sich jetzt dem herannahenden Heer gegenüber. Von überall her, aus allen Bergen und Tälern drangen geschundene Körper zum Kampf herbei. Manche lebten noch, manche waren schon lange tot, und alle waren in der Umarmung gegenseitiger Vernichtung gefangen.

Außerhalb des Gerichtshofes verschwand die Kraftlosigkeit, doch Verzweiflung breitete sich aus. Frauen und Männer kämpften mit Fahnenmasten, Esskörben, bloßen Händen und allem, was sie zu fassen bekamen und beteiligten sich an der Schlägerei, vor der sie sich vorhin noch versteckt hatten. Stephen Navarne, Quentin Baldasarre und Martin Ivenstrand, die Führer der Provinzen, hatten große Gruppen zusammengeschlossen und eine zweite Front hinter den Soldaten von Roland errichtet. Stephen wandte sich an Tristan, der mit der letzten Welle aus dem Gerichtshof entkommen war.

»Gut, Vetter«, keuchte er und zog sein Schwert. »Ich weiß nicht, warum du dieses Heer zu einem Friedenstreffen mitgebracht hast, aber es war trotzdem ein Glücksfall.« Tristan nickte bloß. Seine Kleider waren zerrissen und vom getrockneten Blut seiner Vorfahren besudelt.

»Seht sie euch ein letztes Mal an«, sagte Baldasarre und deutete mit dem Griff seines Schwertes auf die Unglücklichen. »Mit den Zahnfelsen im Rücken und den Toten vor und neben ihnen haben sie keine Chance. Überhaupt keine.«

»Gute Götter«, flüsterte Ivenstrand und stellte sich neben die anderen. Die Truppen der Gefallenen befanden sich jetzt in der Reichweite der Soldaten von Roland. Das orlandische Heer hatte jedes Katapult in Stellung gebracht und schleuderte brennendes Pech auf den herannahenden Wall der Toten, doch es nützte nichts. Sie waren in der Minderzahl. Die Opfer der schrecklichen Schlachten aus dem Großen Krieg bildeten eine endlose Flut und strömten in Wellen voran. Sie hatten nichts anderes im Sinn als Vernichtung, mit der Anwyn ihre Demütigung rächen wollte.

Mitten im Getümmel hatte Achmed die Kanzel von Leichen gesäubert. Er erhaschte einen Blick auf seinen Sergeant-Major, der auf den Trümmern des Gerichtshofes stand. Der riesige Bolg nickte, und der König erwiderte seine Geste.

Grunthor warf den Kopf zurück und brüllte. Sein Schrei durchdrang den Lärm unter ihm. Er vibrierte durch die Erde, lockerte Steinplatten von den Bergen und rumpelte durch die Felsen. In der Hitze der Schlacht, die auf den Feldern um die Senke tobte, spürten die Kämpfer die Erschütterungen. Sogar die erweckten Toten, die Gefallenen, schienen bei diesem Laut innezuhalten.

Einen Augenblick später öffneten sich große Spalten in den Zahnfelsen. Die Wehre und Wachttürme wurden geöffnet. Die Berge schwärzten sich, als das Firbolg-Heer ausströmte und sich über die Felsen in die Steppe ergoss.

Grunthors Kriegsschrei wurde von einer halben Million Kehlen aufgenommen, über die Gipfel geschleudert, auf die Felder gebrüllt und in die Erde gebohrt. Die Soldaten von Roland, die in den Kampf mit den Toten verwickelt waren, spürten die Bolg kommen, so wie es vor einem Jahr gewesen war, doch dieses Mal zogen sie gegen einen gemeinsamen Feind ins Feld. Der wirbelnde Mahlstrom des Krieges wurde noch schwärzer, als die Bolg herankamen und sich zu den Menschen gesellten. Gemeinsam versuchten sie, die Toten zurück in ihre Gräber zu treiben.

Martin Ivenstrand ergriff Tristan Stewards Arm, als das Meer der Firbolg wie eine Welle über die Krevensfelder schwappte.

»Du hast doch gesagt, sie seien vernichtet«, rief er durch den ohrenbetäubenden Lärm.

»Das ... das waren sie«, murmelte der Herr von Roland. »Sie...«

Die Herzöge hatten gerade noch Gelegenheit, in Deckung zu gehen, als eine Kolonne Bolg-Soldaten dort entlang stapfte, wo sie soeben noch gestanden hatten. Sie grölten ein Kriegslied und lechzten nach Vernichtung.

Rhapsody stand über einem aufgerissenen Tal in der Ebene. Rings um sie herrschte das Chaos. Der Boden rumpelte unter den Erschütterungen des Kampfes und dem Donnern der Pferdehufe. Es fiel ihr schwer, in dem Getümmel aufrecht zu bleiben. Zwischen dem Kreischen und Klappern, das die Luft erfüllte, hörte sie ein beängstigend vertrautes Kriegssignal, eine schreckliche Kadenz, die immer näher kam.

Sie sah zitternd auf. In nicht allzu großer Ferne stieg ein wirbelnder Sturm aus Staub und schwarzen Erdklumpen unter dahinpreschenden Hufen in die Luft und kam mit jeder Sekunde näher. Im Innern dieses Sturmes ritt der blutbefleckte Krieger aus ihren Albträumen auf sie zu. Seine blauen Augen funkelten wild, und er trieb sein erschöpftes Reittier unbarmherzig an. Die Adern an seinem Hals und der Stirn traten aus seinem Gesicht hervor, das grimmig zusammengekniffen war.

Es war Anborn.

Er rief etwas; er schrie regelrecht, doch Rhapsody verstand ihn in dem Lärm nicht. Er lehnte sich aus dem Sattel nach rechts und streckte ihr den Arm entgegen. Der Horizont hinter ihm war schwarz vor Bewegung, die so fern und heftig war, dass Rhapsody keine Einzelheiten erkennen konnte. Rhapsody hielt die Arme ausgestreckt und wartete darauf, von ihm auf das Pferd gehoben zu werden.

Als sie dies tat, verdunkelte sich der Himmel über ihr. Die sengende Hitze der Schlacht wurde plötzlich von einem Wind vertrieben, der ihr durch Mark und Bein fuhr. Als ob sich die Zeit verlangsamt habe, sah sie, wie die Adern an Anborns Hals steif wurden, wie er die Zähne bleckte und den Mund zu einem gewaltigen Kriegsruf öffnete, der von dem allgemeinen Lärm übertönt wurde. Er blickte von ihr zum Himmel.

Sie schaute gerade hoch, als die Klaue des Drachen, der die Sonne verfinsterte, blitzschnell zuschlug und sie hochhob. Der Drache hielt sie zwischen seinen Krallen und entführte sie rasend schnell in die Luft wie die hilflose Beute eines Raubvogels.

85

Ashe stand auf einem geborstenen Hügel und drängte die verbliebenen Cymrer aus den Ruinen des Gerichtshofes, als er Anwyn im Himmel herbeikommen fühlte.

Ein großer Energieblitz durchzuckte die Luft und trocknete sie aus, sodass sie beinahe spröde wurde, was er deutlich in der Nase spürte. Eine Hitzewelle folgte dem Auslöschen des Sonnenlichts einen Augenblick später. Die Drachin hatte formlos im Äther gehangen und sich auf ihren Angriff vorbereitet, und als sie schimmernde Gestalt annahm, saugte dies alle Energie und Materie in der Luft zusammen. Gegliederte Schwingen, so groß wie zwei Ochsenkarren und mit Klauen wie Krummschwerter versehen, erschienen zuerst und wurden rasch fest, dann folgten der dunstigere, wurmartige Körper der Bestie, der über ihren Körper glitt und wie eine Schlange dorthin zu Boden schoss, wo Rhapsody stand. In der nächsten Sekunde flog die Drachin bereits wieder dem Himmel entgegen, und der Boden unter ihr war kahl und leer. Anborn galoppierte an der Stelle vorbei, wo Rhapsody gestanden hatte, zügelte dann sein Pferd und sah sich wild um.

Ein Wort aus der Vergangenheit, ein qualvoller Schrei der Seele entwand sich Ashes Kehle.

Neeeeeeeeeeiiiin.

Tief in seinem Innern, an der Stelle, wo die Rowans vorsichtig ein Stück Stern in ihn eingesetzt hatten, um ihm das Leben zu retten, am Geburtsort seiner Doppelnatur und dem Ursprung seines Drachengeistes spürte Ashe den Beginn eines Wechsels. Der Wyrm in seinem Blut schoss brüllend hervor wie ein Buschfeuer.

»Hier!«, schrie er mit seiner Stimme und der des Drachen, dem uranfänglichen, vieltönigen Klang des Windes in seinem Schlund. »ANWYN/ Hier!«

Grunthor blutete im Gesicht; sein Wangenknochen war teilweise bloßgelegt. Er bahnte sich einen Weg zu Ashe, der auf die Wesen im Himmel blickte und Racheschwüre und Drohungen in einer wortlosen Wyrm-Sprache ausstieß, wobei jede sichtbare Ader anschwoll. Der Riese glaubte, Bewegungen unter Ashes Rüstung und dem Nebelumhang zu erkennen, der nun wie tosende Meereswellen flatterte.