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Zugleich wusste er, dass die Ereignisse, die sein Dazwischengehen hervorgerufen hatte, seine eigene Geschichte verändert hatten. Er hatte die Umstände geleugnet, unter denen er gezeugt worden war. Er wusste nicht, ob der neue Pfad, den die Zeit nun nahm, zu seiner Wiedergeburt darin führen würde.

Oder nicht.

Überlegungen, die er vor und nach der Veränderung der Vergangenheit angestellt hatte, hatten dazu geführt, dass er nicht daran glaubte. Er war als Idee, nicht als wirkliches Kind ins Leben gesetzt und von zwei verletzten Wesen gezeugt worden, von denen das eine durch die Umstände ein vorzeitiges, ungeheures Alter erreicht hatte. Sie hatten einen Teil von ihrem Leben und ihrem Wissen abgegeben, um eine Prophezeiung zu erfüllen, die in der neu geschriebenen Geschichte nicht mehr existierte. Zumindest der erste Teil war verändert. Meridion hatte überrascht festgestellt, dass Manwyn einige derselben Prophezeiungen auch in der neuen Geschichte äußerte. In der alten hatte sie seine Geburt vorhergesagt:

Ich sehe die Geburt eines unnatürlichen Kindes, hervorgegangen aus einer unnatürlichen Verbindung. Nimm dich vor dieser Geburt in Acht, Rhapsody: Die Mutter wird sterben, das Kind aber wird überleben.

Warum hatte die Seherin es in der neuen Geschichte wieder gesagt?, fragte er sich und wiegte den Kopf in den Händen. War das magische Opfer, das Rhapsody, die alte Benennerin der Liringlas, und Gwydion von Manosse, ein gebrochener Mann, der in den Augen der Welt tot war, gebracht hatten, um Meridion in die Welt zu setzen, in der Zukunft noch notwendig? Da der F’dor vernichtet und der Krieg abgewendet war, schien es nicht so zu sein. Doch nun, da die Vergangenheit ausgelöscht und neu gestaltet war, war die Zukunft unerforschlich. Anstatt sich in der neuen Welt zu treffen, nur um ihn zu zeugen und die Warnung einer Prophezeiung zu erfüllen, waren sich seine Eltern stattdessen schon in ihrer Jugend begegnet, hatten sich ineinander verliebt und ihre Seelen aus freiem Willen vereinigt. Alles gemeinsam Erlittene hatte sie wieder zusammengebracht. Es schien wenig Hoffnung darauf zu bestehen, dass sie ihm schließlich durch den üblichen Akt doch noch das Leben schenkten, wie es bei jeder anderen lebenden Seele der Fall war. Es wäre Wunschdenken gewesen. Wenn man zwei Leben zusammenführte, war das noch keine Garantie dafür, was sich daraus ergab. Das war eine Beobachtung, die er viele Male gemacht hatte, während er zugeschaut hatte, wie sich die Vergangenheit abspulte und gleichzeitig geändert wurde. Die Zeit war zerbrechlich und unterlag Veränderungen.

Es ist dein Schicksal.

Unsinn. Wir machen unser Schicksal selbst.

Ja, dachte Meridion mit grimmiger Freude. Ja, das tun wir.

Und jetzt schwebte sein Leben im Gewebe der Zeit innerhalb der Glaskugel seines Observatoriums, angetrieben vom ätherischen Feuer des Seren, des Sterns, nach dem die Heimat seiner Mutter benannt war. Wenn der Zeit-Editor die Arbeit einstellte, würde der Zeitfilm wieder laufen, ewig und ununterbrochen. Und Meridion würde an sein Ende gelangen und ausgelöscht werden wie eine Kerze.

Habe ich Genugtuung geleistet und um all die Vergebung gebeten, die ich brauche?, fragte er sich benommen und ging in Gedanken eine Liste mit Leuten durch, von denen er sich Absolution versprach, wie sehr er diese Geschöpfe auch verletzt hatte. Hauptsächlich dachte er an Achmed und daran, was ihn die Veränderung der Zeit gekostet hatte. Vergib mir, dachte er in stummem Gebet an einen Mann, den er nie getroffen hatte. Ich glaube, ich hätte dasselbe getan. Er dachte an die Worte der Reue, die der Bolg-König dem Patriarchen in der neuen Geschichte dargebracht hatte, und lächelte schwach. Ich hätte es genau so gewollt, wenn ich die Wahl gehabt hätte.

Sein letztes Ziel war natürlich wichtiger als alles andere gewesen. Alle Opfer, alle Veränderungen, die sich zwischen der einen und der anderen Geschichte ereignet hatten, waren sinnvoll gewesen. Die entstandenen Schäden wogen in der Bilanz weniger als das Ergebnis, und die glücklicheren Auswirkungen waren reiner Zufall. Meridion betrachtete noch einmal das Bild seiner glücklichen Mutter in der neuen Geschichte und seufzte. Wenn er seinen Vater nicht in dessen Jugend aus der Zeit genommen und ihn in die Vergangenheit verpflanzt hätte, damit er Rhapsody begegnete, wäre sie ihm niemals gefolgt, hätte niemals die Reise mit Achmed und Grunthor gemacht, niemals diesen Augenblick und jeden anderen erlebt, der noch folgte. Und die Welt wäre vom Feuer verschlungen worden. Ich habe es nicht für dich getan, dachte er und starrte auf das Bild. Aber es freut mich trotzdem.

Vor seinen Augen verblasste das dunklere Bild seiner eigenen Geburt und verschwand in der Vergessenheit.

Auch ich verblasse.

Langsam griff Meridion hinüber, legte den Schalter des Zeit-Editors um und trennte die Maschine vom Licht des Seren. Die leuchtende Instrumententafel verschwand in der völligen Finsternis. Er schloss die Augen, als die Überreste des ihm bekannten Zeitfilms sich auf der Spule entzündeten und wie Rauch aus den letzten Kohlen eines schon lange erstorbenen Feuers zerstoben.

Die runden Glaswände seines Observatoriums schmolzen beim nächsten Herzschlag dahin. Die letzten Worte, die er hörte, als die Welt um ihn herum zerbarst, wurden von der Stimme jenes Mannes gesprochen, der ihn seit seiner Geburt beschützt hatte, der bei ihm geblieben war, bis er den Raum des Zeit-Editors betreten hatte, und der ihn auf seine eigene, unbeholfene Weise getröstet hatte.

Werde ich sterben?, hatte Meridion seinen Beschützer gefragt und gleichzeitig gewusst, dass die Antwort sein Vorhaben nicht beeinflussen konnte. Als nun die Luft aus dem runden Glasraum in das Vakuum des Weltalls entwich, hörte er die Antwort wieder. Die Worte hallten von dem verschwindenden Glas der Fensterscheiben wider und wurden immer schwächer.

Kann man den Tod erfahren, wenn man nicht richtig lebendig ist? Du hast genauso wenig zu verlieren wie der Rest der Welt.

Inmitten des schrecklichen Lärms und des wirbelnden Abgrunds, der seine Lebensenergie aufsaugte, spürte Meridion, wie sich die durchscheinende Gestalt, die einmal sein Körper gewesen war, über die Leere von Raum und Zeit ausdehnte und in einem Schmerzausbruch explodierte. Sein gedämpftes Bewusstsein verebbte, wuchs dann wieder, um durch die äußeren Bereiche des Alls als weiß glühender Lichtstrahl zu schießen, bis er einem glimmenden Stein gleich durch die Windgepeitschten Wolken stürzte und auf die Erde niederfiel.

Die letzten Bruchstücke seines Bewusstseins kreischten in Todesqualen auf, heulten in Geburtswehen, taumelten blind durch die aufzuckenden Bilder einer Vergangenheit, die er nicht erkannte, und durch eine Zukunft, die er kaum sehen konnte, bis sie zum Stillstand kamen und er wie aus einem Traumerfüllten Schlaf erwachte.

Meridion öffnete die Augen.

Das Erste, was er sah, waren der vertraute, glatt polierte Stein und die dicken Glasfenster des hohen Turmzimmers. Er spürte die Kühle des Marmorsessels, in dem er saß. Seine Muskeln zitterten vor Kälte, und er fühlte das angenehme Gewicht seines Körpers. Froh bemerkte er die Wiedervereinigung seines Bewusstseins mit seiner physischen Gestalt. Er erinnerte sich daran, dass er bei seinen ersten Meditationen und Reisen durch die Zeit Angst gehabt hatte, es könne für ihn keinen Rückweg geben, doch allmählich hatte er sich mit dieser Gefahr angefreundet.

Es war beruhigend, aus dem Zeitstrom zu treten und zurück in sich selbst zu gelangen, in seine eigene Geschichte, die er aus alten Geschichten sowie eigener Anschauung kannte. Es war ihm entfallen, was er auf dieser Reise gesucht hatte. Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass die Zeit nicht das war, als was sie erschien, doch er hatte nie den Beweis für die Existenz einer anderen Wirklichkeit als die gefunden, welche er kannte und vor seinem inneren Auge sehen konnte. Aus irgendeinem Grund erschien es ihm, als wären seine Erinnerungen und die Geschichte, die er sah, neu und frischer, als sie sein sollten.