Выбрать главу

»Heiliger All-Gott«, flüsterte der Herr von Roland.

Die sorboldische Kavallerie brach in Chaos aus, als sich die Pferde wild aufbäumten und den Phantomwölfen zu entkommen versuchten. Der Prinz und der Herzog sahen zu, wie die Soldaten abgeworfen wurden, manche gegen die Mauer und in das wogende Meer aus Verwirrung und stampfenden Hufen.

An der östlichen Flanke zerfaserten die sauberen Linien der Kolonne zu abgerissenen Reihen. Tristan lachte grimmig und verwundert, als die Infanterie sich auflöste. Einige missachteten den beißenden Schnee, der an ihren Fersen zerrte, andere unterlagen der Magie des Fürbitters, ergaben sich in die allgemeine Raserei und schlugen nach den wirbelnden Schneedämonen in Wolfsgestalt. Navarnes Kavallerie ritt herbei und stürzte sich mit rasender Wut in den Kampf. Der Herr von Roland drückte fest Stephens Arm.

»Er hat es geschafft. Stephen, er hat es geschafft! Llauron hat den Angriff aufgehalten!«

Plötzlich drang das grausige Geräusch zusammenprallenden Metalls durch das Heulen des Windes. Einen Augenblick später wurde die Luft von dem wiederholten Lärm des Katapultfeuers zerrissen, und die Verteidigungsreihen der Bogenschützen und Fußsoldaten vergingen in beißendem Feuer. Stephen und Tristan wurden vom Aufprall zurückgeschleudert, und Wolken aus öligem Rauch explodierten vor ihnen. Um sie herum ertönten Schmerzensschreie, und gleißendes Licht verzehrte die getroffenen Soldaten. Tristan drückte heftig Stephens Arm, als eine scharlachrote Blutfontäne in den Himmel spritzte. Er kämpfte sich hustend wieder auf die Beine. »Haltet die Verteidigungslinie aufrecht!«, schrie er den Bauern zu, die wie rasend ihre brennenden Kameraden durch den Schnee wälzten.

Er drehte sich gerade der Mauer zu, als gewaltige Explosionen die Luft und die Mauer zerrissen; der Aufprall der Geschosse aus den Katapulten streute Steinbrocken in alle Richtungen. Vor Entsetzen zog sich ihm der Hals zu, als er sah, wie Stephen verzweifelt das Feuer in den Kleidern einer Bäuerin zu löschen versuchte, die neben den Verteidigern gestanden hatte und nun von den Pechflammen verzehrt wurde. Auch Stephens Kleider brannten am Rücken.

»Stephen! Lass dich fallen!«

Während Tristan auf seinen Vetter zustürzte, bemerkte er in den Augenwinkeln ein goldenes Schimmern. Der Wind heulte; mit einem Auf jaulen ging eine Fallbö nieder und bedeckte ihn und alle, die neben ihm standen, mit Eisregen. Graupelschauer fielen in Schleiern herab. Schnell waren alle Flammen erstickt und hinterließen treibende Wolken aus dickem, öligem Rauch. Durch nasses Haar und Wimpern hindurch schaute Tristan zurück auf die Kampfbahn, in der Llauron stand. Der Fürbitter deutete mit dem goldenen Eichenblatt seines Stabes auf Stephen; er stolperte nach vorn gegen Gavin und stützte sich erschöpft auf die Schulter des Waldhüters; dann senkte er den Stab und packte ihn mit beiden Händen.

Die Graupelwolken verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Ein Hörnerschall, der den Rückzug befahl, schallte über Navarnes Mauer. Die beiden cymrischen Adligen schauten nach Westen. Der größte Teil der Menge hatte innerhalb der Festungsmauer Schutz gefunden oder drängte sich an dem Wall vorbei zum Nordtor. Der Mauermeister signalisierte, dass alle, die man hatte retten können, in Sicherheit waren. Die Bogenschützen standen bereit.

»In Ordnung. Reiter, zurück!«, rief Tristan seinem Hauptmann zu. Der Mann hob das Hörn an die Lippen und blies zum Rückzug. Die berittenen Soldaten von Navarne, die sich ein heißes Gefecht mit der sorboldischen Kavallerie lieferten, kämpften sich frei und ließen ihre Toten sowie die reiterlosen Pferde zurück. Die Feinde versuchten immer noch, den Schneewölfen auszuweichen, die an ihren Pferden zerrten. Als die Reiter um die zerbrochenen Barrikaden preschten und das gemeine Volk hinter ihnen in Wartestellung stand, schickten Stephens Bogenschützen auf der Mauer einen Sturm aus Pfeilen in die sorboldischen Linien und erzwangen den Rückzug.

Nun wich Tristans Benommenheit. »Feuer!«, rief er seiner lückenhaften Reihe von Armbrustschützen zu. Die Soldaten schössen auf die zersprengten Linien der sorboldischen Infanterie, von der sich viele Soldaten nun im Schnee wanden und gegen die Geisterwölfe kämpften. Der Wind wurde wieder stärker, fachte den schweren Rauch an und erfüllte die Luft mit beißendem Graupel, der wie Nadeln stach.

»Zum Tor!«, schrie Stephen. »Zieh dich zurück, Tristan! Die Bogenschützen geben dir Feuerschutz!«

Über zweihundert Mann standen nun auf der Brustwehr und schössen einen methodischen Pfeilregen auf die beiden Flanken des sorboldischen Heeres ab. Tristan gab den Anführern mit heftigen Handbewegungen ein Zeichen; die Ruhe der bloßen Übung wich dem Schrecken der Wirklichkeit.

»Zurück! Zurück! Hinter die Mauer!«, kreischte er. Aus der Ferne hörte er, wie die Katapulte neu bestückt wurden.

Die Zeit schien still zu stehen, alles um ihn herum bewegte sich mit schmerzlicher Langsamkeit. Seine Glieder waren plötzlich wie Blei, der Kopf schwer vom Lärm, und in seinen Ohren brummte es wie verrückt. Tristan schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.

Überall um ihn herum lagen die Toten und Sterbenden Soldaten, aber in der Mehrzahl Einwohner von Roland und sogar von Sorbold, Kinder, alte Leute, Frauen und Männer, die entweder vor Qual jammerten oder ganz verstummt waren. Ihr Blut befleckte den Schnee mit einem rosigen Rot, ihr Fleisch war verbrannt. Tristan hustete und versuchte, den Geschmack von Pech aus dem Mund zu vertreiben. Er bemerkte, dass er während seiner Flucht das Blut eines armen Menschen eingeatmet hatte, das jetzt an seiner Kehle haftete. Der Magen drehte sich ihm um. Er musste sich übergeben und sank in dem blutigen Schnee auf die Knie. Sein Kopf zuckte herum, als Stephen ihn am Arm packte und gewaltsam auf die Beine zog.

»Komm, Tristan. Komm!«

Hinter ihnen gingen hohe Heuballen in Flammen auf und loderten in feurigem Orange mit schwarzen Strähnen verdorrten Strohs darin. Es sah aus wie Berge von brennenden Vogelkäfigen. Die Hitze sandte Schockwellen durch den Herrn von Roland, und er spürte einen plötzlichen Ausbruch von Energie, als sein Vetter ihn auf das Tor im Schutzwall zuzog. Undeutlich war er sich des rhythmischen Knallens der Bogensehnen bewusst; er sah, wie Gavin den erschöpften Fürbitter vor ihnen in die Festung schleifte. Die letzten der zwangsverpflichteten Bauern, die verteidigungsbereit vor der Mauer gestanden und den anderen zur Flucht verholfen hatten, eilten nun ebenfalls in Sicherheit. Tristan verspürte eine Woge der Zuneigung zu ihnen, als er sie laufen sah. Gute Leute, dachte er, während Stephen ihn um die zerschmetterten Barrikaden zog, die noch vor kurzem die Tribüne für den Adel gebildet hatten. Meine Leute.

Die Tore türmten sich vor seinen Augen auf. Große Stücke fehlten in der Mauer vom Aufprall der Geschosse, aber sie hatte gehalten. Tristan schloss die Augen und befreite sich aus Stephens Griff. »Lass mich los«, sagte er fest. »Ich kann allein gehen.«

Sobald Stephen innerhalb der Festung war, bahnte er sich einen Weg durch die Menge und rief: »Aus dem Weg! Zurück! Zurück von der Mauer!«

Er blendete den wilden Lärm um sich herum aus das Jammern der Verletzten, die Freudenschreie von wiedervereinigten Familienmitgliedern, die wilden Rufe der Eltern nach ihren vermissten Kindern, die gebrüllten Befehle verschiedener Regimentshauptmänner, das Aufkreischen von Holz und Metall, als die Tore geschlossen wurden und erstieg rasch die Brustwehr. Er eilte zu der Stelle neben dem Wachtturm, der von einem Katapultgeschoss zertrümmert worden war.

Draußen vor der Mauer marschierte, schritt, humpelte und kroch das, was vom sorboldischen Heer übrig geblieben war, das jetzt nicht mehr von Llaurons Geisterwölfen belästigt wurde. Einer nach dem anderen taumelte in den Pfeilregen der Bogenschützen auf der Mauer. Stephen war entsetzt über die völlige Leere in ihren Augen und die Unbarmherzigkeit ihrer Handlungen. Von der ganzen Streitmacht waren nur einige Dutzende übrig geblieben; die Kavallerie war von den Bogenschützen dezimiert worden, und hundert reiterlose Pferde rannten ziellos über das blutige Feld.