»Warum ist er zu Euch gekommen, Euer Gnaden?«, wollte Ian Steward wissen. »Er ist ein Mitglied meines Sprengeis, nicht des Euren.«
Der Seligsprecher von Bethe Corbair öffnete milde die Hände in einer Geste der Versöhnung.
»Aber Jecelyn ist es. Es war zweifellos ein romantischer Impuls. Sie wollten nicht so lange aufeinander warten, doch beide haben sich auf die wichtige, formelle Zeremonie gefreut, der Ihr im nächsten Monat vorgestanden hättet, Euer Gnaden. Ich nehme an, sie wollten Euch nicht zweimal in Anspruch nehmen.«
Die Herzöge tauschten rasche Blicke aus. Sie begriffen, dass Lanacan Orlando eine Ehrenrettung für Andrew Canderre unternahm, obwohl sich der Seligsprecher nichts anmerken ließ. Tristan Steward stieß heftig die Luft aus, zeigte aber keine Anzeichen dafür, dass er sich über den Fehlschlag seines Versuches ärgerte, in die Thronfolge Canderres zu gelangen.
Schließlich sagte Cedric: »Ich danke Euch, Euer Gnaden, für alle Wohltaten, die Ihr meinem Sohn erwiesen habt.« Er wandte sich an seine Mitregenten. »Ich werde euch jetzt verlassen. Ich habe Tote zu begraben, wie ihr alle.«
»Du wirst noch mehr zu tun haben, wenn du nicht noch einen Moment zuhörst«, sagte Tristan Steward.
Der harsche Ton erregte die Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Raum. Die blauen Augen des Herrn von Roland brannten in einem Feuer, das er nur mühsam unter Kontrolle halten konnte. Er schaute die anderen ernst, beinahe verächtlich an und heftete den Blick kurz auf Nielash Mousa.
»Geht nun, Euer Gnaden«, sagte er in kaum mehr höflichem Ton. »Kehrt zu Seiner Hoheit, dem Kronprinzen, zurück und sagt ihm, was geschehen ist. Teilt ihm mit, dass ich bald mit ihm reden will. Mein Gefolge wird Euch zur Grenze bringen.«
Der Segner von Sorbold starrte ihn eine Weile an, dann nickte er widerstrebend. Er wandte sich an die Herzöge.
»Ich entschuldige mich zutiefst im Namen meiner Landsleute für das, was Euren Untertanen zugestoßen ist«, sagte er und sah dann die anderen Seligpreiser an. »Ich hoffe, meine Brüder in der Gnade, ihr erinnert euch daran, dass wir alle Kinder des All-Gottes und Söhne des Schöpfers sind. Welches Böse auch immer diese tragische Gewalt unter den orlandischen Einwohnern und den Lirin von Tyrian angerichtet hat, greift nun auch nach Sorbold über, aber es wird in keiner Weise von der Krone entschuldigt. Bitte erinnert euch immer daran und behaltet einen kühlen Kopf. Ich versichere euch, dass der Prinz eine Wiedergutmachung leisten und alles in seiner Macht Stehende tun wird, damit so etwas nie wieder geschieht.«
Er wartete auf eine Reaktion, doch die Herzöge und Seligpreiser Rolands schwiegen auf seine Worte. Nach einigen peinlichen Augenblicken verneigte er sich und verließ die Bibliothek. Tristan Steward wartete, bis sich die Tür hinter Mousa geschlossen hatte, dann drehte er sich mit kaum verhohlenem Zorn um und stellte sich gegen die Regenten und Geistlichen.
»Ich habe euch alle seit einiger Zeit gewarnt, dass so etwas geschehen wird und wir dagegen etwas unternehmen müssen, aber ihr habt meine Warnungen nicht beachtet jeder Einzelne von euch.« Er sah Stephen scharf an. »Nun ist die Wintersonnenwende verflucht und mit dem Blut der Einwohner aus all unseren Provinzen und sogar aus Sorbold befleckt. Ich werde diesen schändlichen Mangel an Vorbereitung nicht länger hinnehmen. Wenn ihr blind gegen das bleiben wollt, was um euch herum vorgeht, soll es mir Recht sein. Aber ich werde nicht mehr danebenstehen, wenn orlandische Untertanen abgeschlachtet werden.
Daher berufe ich mich auf meine Rechte als Hochregent und Prinz der Hauptprovinz. Ich erkläre hiermit meine Oberherrschaft über alle Heere von Roland und übernehme ihr Kommando. Es ist höchste Zeit, diesen Wahnsinn zu beenden und unsere Streitkräfte unter eine gemeinsame Führung zu stellen unter meine Führung. Jede Provinz, die sich meinem Willen widersetzt, wird aus dem orlandischen Bündnis ausgeschlossen und nicht länger unter dem Schutz Bethanias stehen.«
»Also erklärst du dich zum König?«, wollte Ihrman Karsrick wissen.
»Noch nicht, obwohl das die natürliche Folge sein könnte.« Tristans Blick wanderte von Gesicht zu Gesicht und schätzte die Reaktionen der einzelnen Herzöge und Seligpreiser ab.
»Mein Titel ist nicht wichtig, das Überleben Rolands dagegen sehr. Der cymrische Krieg hat dieses Land in eine lächerliche Ansammlung von Einzelstaaten und Streitereien aufgeteilt und uns an den Rand der Katastrophe gebracht. Nie wieder! Zu lange haben wir uns voreinander verneigt und angebiedert und sind dieser Frage ausgewichen, um unsere lächerliche eigene Wichtigkeit zu bewahren. Nun schützt mein Heer eure Regionen. Es sind Bethanias Soldaten und Bethanias Versorgungstruppen gewesen, die schon seit Jahren den Frieden in Roland aufrechterhalten haben...«
»... mithilfe einer großen Summe von Steuergeldern«, beendete Martin Ivenstrand, der Herzog von Avonderre, den Satz. »Jeder Einzelne von uns hätte eine so große Streitmacht wie deine aufbauen können, wenn wir die Steuern zur Verfügung gehabt hätten, die an dich geflossen sind.«
»Sei dem, wie es ist, keiner von euch hat den Schneid, so etwas zu tun«, gab Tristan wütend zurück. »Es ist mein Recht als Hochregent, das Oberkommando zu beanspruchen, und das tue ich hiermit. Alle, die gegen mich sind, stehen nicht länger unter meinem Schutz. Ich werde sämtliche Handelsabkommen mit abtrünnigen Provinzen aufkündigen und auch alle diplomatischen Bande kappen.«
»Das kannst du nicht ernst meinen«, platzte Quentin Baldasarre heraus.
»Ich meine es völlig ernst. Ich werde eure Provinzen von der Hauptroute der Karawanen abschneiden, die Weizenlieferungen aufhalten und euch so vollkommen ächten, dass ihr in jeder Hinsicht ein fremdes Land sein werdet. Ich habe genug von diesem Albtraum mehr als genug. Er hat mich schon weitaus mehr gekostet, als ich zu zahlen bereit bin.« Seine Stimme schwankte, als er an Prudence dachte, an ihren zerstückelten Leichnam, der im Gras von Gwylliams großem Versammlungsplatz in Ylorc gelegen hatte. »Entscheidet euch. Seid ihr für mich? Oder seid ihr draußen?«
Die anderen Herzöge sahen sich entsetzt an. Tristans Stimme war tief vor Kraft; seine Schultern zitterten im Zorn. Die Luft im Raum war so trocken wie in einem Yarim-Sommer geworden. Stephen glaubte, Blut an seinem Gaumen zu schmecken.
Die Stille lastete schwer auf der Bibliothek und wurde nur unterbrochen vom Knistern des Feuers und dem anklagenden Ticken der Uhr.
Schließlich wandte sich Colin Abernathy, der Segner der Neutralen Zone, an Tristan.
»Ich werde jetzt gehen, mein Sohn«, sagte er freundlich. »Es ist nicht richtig, dass ich an diesem Gespräch beteiligt bin, denn mein Sprengel befindet sich nicht innerhalb des Reichs von Roland. Ich möchte jedoch sagen, dass mir dein Plan richtig erscheint. Meiner Meinung nach sollte Roland seine Thronfolgeregelungen abschaffen und sich unter einem einzigen Königshaus vereinigen. Als Ausländer kann ich euch versichern, dass die Klarheit, die sich daraus ergeben wird, sowohl Roland als auch seinen Verbündeten zugute kommen wird.«
Zum ersten Mal, seit er den Raum betreten hatte, lächelte Tristan schwach.
»Vielen Dank, Euer Ehren.«
Abernathy verneigte sich schwankend vor Stephen Navarne. »Ich werde zusammen mit deinem Kammerherrn Vorkehrungen treffen, um die sterblichen Überreste unseres Volkes zu versammeln, das an diesem Tag auf deinem Grund und Boden sein Leben gelassen hat, mein Sohn.«
»Vielen Dank, Euer Gnaden«, erwiderte Stephen. »Er hält sich bereit.«
»Sehr gut. Dann lebt wohl, meine Brüder in der Gnade und meine Regenten. Ich wünsche euch Weisheit bei euren Gesprächen und Entscheidungen.«
Abernathy richtete sich auf, verneigte sich vor den Geistlichen und Adligen, durchquerte die Bibliothek und schloss die Tür vernehmlich hinter sich.
Tristan wandte sich wieder an die übrigen Regenten Rolands.
»Manchmal ist es einfacher, die Weisheit eines Vorhabens von außen zu beurteilen«, sagte er. Er drehte sich zu Stephen Navarne um und brachte die anderen Herzöge mit einer Handbewegung zum Schweigen.