»Kommen wir zur Sache. Du, Stephen du, mein eigener Vetter hast dich mir in den Weg gestellt, als ich schon einmal die Einheit herstellen wollte. Siehst du jetzt, wohin deine Narrheit geführt hat? Zu vierhundert Toten, vielleicht sogar zu doppelt so vielen, weil etliche der Verletzten noch sterben werden. Ihr Blut klebt an deinen Händen, Stephen, weil du nicht auf meine Warnungen gehört hast. Du hast geglaubt, deine klägliche Mauer könne dich schützen. Sie konnte deine Festung nicht einmal vor dem Bauernaufstand im letzten Frühling schützen, vor dem ich dich retten musste. Was ist noch alles nötig, um dich zu überzeugen? Hat die Enthauptung deiner Frau etwa nicht gereicht?«
Ein allgemeines Aufstöhnen hallte durch den Raum.
»Tristan!«, entfuhr es Griswold.
»Deine Zunge ist gefährlich locker, Tristan«, sagte Quentin Baldasarre beißend, befreite sich aus Lanacan Orlandos nervösem Griff und stellte sich zwischen Stephen und den Herrn von Roland. »Klebe sie fest, bevor du sie zufällig herunterschluckst.«
»Wenn du ihn herausfordern willst, Stephen, werde ich gern dein Sekundant sein«, fügte Martin Ivenstrand wütend hinzu.
»Nein«, sagte Stephen, drückte Quentin zur Seite und richtete den Blick auf Tristan. Schweigen senkte sich wieder über den Raum.
»Nein«, wiederholte Stephen. »Er hat Recht.«
Tristan blähte die Nasenflügel und stieß die Luft tief aus. Er öffnete die Fäuste. »Wirst du mir ab jetzt endlich zur Seite stehen?«, verlangte er zu wissen.
Stephen spürte, wie die Blicke der anderen auf ihm ruhten. Er wusste, dass Tristan ihn absichtlich als Ersten herausgefordert hatte, weil sich die anderen Herzöge hinter Stephen stellen würden, egal wie er sich entschied. Schließlich nickte er, wobei er Tristans Blick standhielt.
»Ja«, sagte er.
Ein allgemeines Luftholen sog die Luft aus dem Raum und machte das Atmen für Stephen schwierig.
»Du würdest ihn als König unterstützen?«, fragte Ivenstrand Stephen ungläubig.
»Nein«, antwortete Stephen und beobachtete Tristans Gesicht. »Aber es ist nicht die Krone, die er für sich beansprucht. Wenigstens noch nicht.« Er wandte sich an die anderen, deren Gesichter in verschiedenen Ausdrücken erstarrt waren, die von Abscheu bis Entsetzen reichten. »Wie kann ich die Wahrheit dessen verleugnen, was er sagt? Vor zwanzig Jahren wurde Gwydion von Manosse, der Beste unter uns, mein bester Freund und die größte Hoffnung auf ein neues Zeitalter, beim Haus der Erinnerung ermordet auf meinem eigenen Land. Meine Frau ...« Seine Stimme schwankte, und er senkte den Blick zum Boden. »Meine Frau, die Kinder meiner Provinz und jetzt die geladenen Gäste zu meinem Fest, Dunstin, Andrew, zahllose andere wie könnte ich leugnen, dass Tristan Recht hat? Wie könnte einer von uns dem widersprechen?«
»Du würdest uns wieder in die Hand eines Herrn, eines Königs geben?«, fragte Ihrman Karsrick zweifelnd. »Hast du, der cymrische Historiker, vergessen, wohin das beim letzten Mal geführt hat? Zum Völkermord, der von den vorigen machtgierigen Verrückten angezettelt wurde, die unbedingt auf einer einzigen Führerschaft bestanden.« Sein Blick fing den von Llauron ein, der neben ihm stand, und Karsrick verstummte, als er erkannte, dass er soeben die Eltern des Fürbitters beleidigt hatte. Llauron lächelte nur, prostete ihm mit dem letzten Rest Branntwein in seinem Glas zu und nahm einen Schluck.
»Ich möchte, dass wir Frieden haben«, sagte Stephen mit schwerer Stimme. »Ich will, dass dieser Wahnsinn ein Ende hat. Das, was diese blutigen Übergriffe verursacht, ist offensichtlich zu stark und zu allgegenwärtig geworden. Und es wird immer stärker. Ich bin nicht einmal mehr in der Lage, meine eigenen Untertanen zu schützen. Und wir wissen immer noch nicht, was es ist. Es ist höchste Zeit, dass wir es herausfinden.« Er drehte sich um und sah seinen Vetter an. »Tristan glaubt, es werde ihm gelingen, wenn wir ihn gemeinsam unterstützen. Ich bin der Meinung, dass er es versuchen soll.«
Die anderen Regenten von Roland Cedric Canderre, Quentin Baldasarre, Martin Ivenstrand und Ihrman Karsrick tauschten ernste Blicke aus, während Stephen und Tristan sich weiterhin anstarrten. Schließlich senkte Cedric den Blick und schüttelte den Kopf.
»Also gut, Tristan. Ich werde meinen Marschall sofort nach meiner Rückkehr in den Hohen Turm zu dir schicken. Du kannst mit ihm alles Weitere ausarbeiten.« Tristan nickte dankbar und wandte den Blick erstmals wieder von Stephen ab. Cedric sagte zu Quentin Baldasarre:
»Ich hoffe, du wirst dich meinem Beispiel anschließen, Neffe, und zur Beendigung dieser bitteren Angelegenheit beitragen. Es ist ein tragischer Tag für unsere Familie gewesen; jetzt will ich nur noch meinen Sohn beerdigen und trauern. Ich schlage vor, du unterstellst deine Truppen Tristans Kommando und kümmerst dich dann um deinen Bruder.«
Baldasarre schaute Tristan einen Moment lang an und nickte dann zögernd. Er sah plötzlich alt aus und war aschfahl geworden.
»Ich werde es tun, Tristan, aber ich muss dich warnen: Missbrauche mein Heer nicht. Wenn du diese neue Truppe zu einem so närrischen Unternehmen wie dem Frühjahrsputz einsetzt, in dem du zweitausend deiner eigenen Soldaten den Bolg zum Fraß vorgeworfen hast, verurteilst du damit Roland zum sicheren Tod. Das solltest du wissen.«
»Das weiß ich«, erwiderte Tristan unwirsch. »Aber ich will nicht, dass du meine Befehlsgewalt infrage stellst, Quentin. Entweder erkennst du meine Autorität an, oder Bethe Corbair wird gezwungen sein, das Königreich zu verlassen und sich selbst zu verteidigen. Ist das klar?«
»Ja«, spuckte Baldasarre aus.
»Gut. Und was sagst du, Ihrman? Und du, Martin? Seid ihr mit mir, oder seid ihr draußen?«
Martin Ivenstrand sah zuerst Philabet Griswold an, der widerstrebend nickte, und dann Stephen Navarne. Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Avonderre ist mit dir, Tristan. Ich übergebe dir das Kommando über mein Heer, aber nicht über die Seestreitkräfte. Mir gehört die einzige Provinz mit einer Küste, die ich schützen muss.«
»Das wird erst einmal reichen«, erwiderte Tristan, ging zum Schrank und ergriff die Karaffe mit dem Branntwein, die jedoch leer war. Er stellte sie wieder ab. »Und du, Ihrman? Willst du Yarims Los mit Roland teilen?«
»Ja«, sagte Karsrick eisig.
»Gut. Dann geht nach Hause, ihr alle, und schickt nach den Staatsbegräbnissen eure Kommandanten zu mir. Bitte plant diese Zeremonien so, dass ich an beiden teilnehmen kann, denn sowohl Andrew als auch Dunstin waren Madeleines Verwandte.« Cedric Canderre und Quentin Baldasarre, die wie benommen ihre Sachen packten, nickten bloß.
Tristan deutete mit der Hand auf die Segner.
»Ich wäre Euch dankbar, Eure Gnaden, wenn Ihr so freundlich wäret, in meinem Namen ein paar Gebete für den Patriarchen zu sprechen, damit ich meine Führerrolle mithilfe der Weisheit des All-Gottes ausfüllen kann.«
»Und natürlich auch für die Seelen der Verstorbenen«, sagte Llauron.
Der Herr von Roland fing den Blick des Fürbitters der Filiden auf und räusperte sich.
»Natürlich«, sagte er hastig. Er schaute in die blauen Augen des Fürbitters und entdeckte Milde darin. »Vielen Dank für Eure Hilfe heute, Euer Gnaden. Welch ein Glück, dass der Hauptpriester der Natur unter uns weilte.« Llauron nickte nachlässig und leerte dann sein Glas mit einem letzten Schluck. »Ich glaube, das ist ein ergreifender Augenblick für Euch«, sagte Tristan. Llauron lächelte schwach. »Es ist für mich ein mehr als ergreifender Tag gewesen, mein Sohn«, sagte er höflich.
»Zweifellos. Es gab eine Zeit, in der wir alle glaubten, Gwydion könne derjenige sein, der Roland wieder zu einem einzigen Reich zusammenfasst. Ich bin sicher, dies bringt schmerzhafte Erinnerungen zurück.«
Llauron drehte sich um, sodass Tristan sein Gesicht nicht sehen konnte, als er das Glas auf dem Schrank abstellte und antwortete: