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»Du hast nicht um Hilfe gebeten«, meinte Achmed, der nicht von den Waffen aufsah, die er gerade untersuchte. »Du hast gesagt, ich soll kommen, also bin ich gekommen. Sei das nächste Mal genauer.«

Ashe seufzte auf, drehte sich wieder dem Verletzten zu und bedeckte ihn mit einer Satteldecke von einem reiterlosen Pferd.

Einen Augenblick später war Achmed neben ihm. Er ließ die Waffen mit einem Klappern auf den verschneiten Boden fallen alle außer der Cwellan-Scheibe.

»Was ist hier passiert?«, fragte er scharf.

Ashes Augen blitzten ihn unter der Kapuze an. »Zeige ein wenig Respekt. Weißt du, wer dieser Mann ist?«

»Nein, und ich kann nicht behaupten, dass es mich kümmert, es sei denn, er kann meine Fragen beantworten.«

»Es war so etwas wie ein Hinterhalt«, sagte Ashe und schaute nach der Atmung des Bewusstlosen. »Es hat den Anschein, dass sich ein Teil der sorboldischen Kolonne von den anderen abgespalten hat. Ich weiß nicht, was mit dem Rest der Kolonne geschehen ist. Es gibt zwei Spurenstränge, die etwa einen halben Tag oder mehr entfernt verlaufen. Dabei handelt es sich zweifellos um weitere Ausbrüche der Gewalt, die das Land schon seit zwanzig Jahren erlebt, doch es ist das erste Mal, dass Sorbolder daran teilhaben.«

Achmed verschränkte die Arme und dachte still nach. Er hatte auf seinem Weg durch die Provinz Navarne große, lang gezogene Karawanen gesehen, die auf dem Rückweg in ihre Heimatländer waren, während er in einiger Entfernung von ihnen geblieben war. Für Festteilnehmer hatten sie sehr ernst gewirkt regelrecht traurig. Er holte tief Luft bei dem Gedanken, was sich wohl in den Wagen am Ende der Karawanen befunden haben mochte.

»Wenn du nach Navarne unterwegs bist, möchtest du vielleicht nach Stephen sehen, falls dir das aus der Ferne gelingt«, sagte er. »Ich sehe, du versteckst dich noch, auch wenn ich mir den Grund dafür nicht vorstellen kann.«

»O Götter das Fest der Wintersonnenwende«, sagte Ashe leise.

»Es wäre auch hilfreich, wenn du beim nächsten Mal jemanden leben lässt, damit wir ihn befragen können.«

»Das bringt nichts. Sie stehen alle im Bann des Dämons. Sie erinnern sich nie an etwas.«

Achmed nickte verdrießlich. »Wer ist dieser Mann?«

Ashe schaute hinunter auf das blutleere Gesicht. »Sein Name lautet Dorndreher«, sagte er nach einem Augenblick. »Er ist ein Cymrer der Ersten Generation, der früher Gwylliam und nun Anborn verpflichtet ist.«

»Glaubst du etwa, dass mich diese Information kümmert?«

Ashe überprüfte die Schnur, mit der er Dorndrehers blutenden Arm gefesselt hatte, und holte seinen Wasserschlauch hervor.

»Nein, das habe ich nicht geglaubt«, sagte er bitter. »Er ist nur einer der Letzten deiner Art, der auf der anderen Seite der Welt über denselben Boden gewandelt ist wie du und deine Geschichte mit dir teilt. Einer der wenigen, die schon so lange leben und noch die geistige Gesundheit bewahrt haben. Er ist nur ein menschliches Wesen, das sein Leben auf den Boden unter ihm ausblutet. Es tut mir ehrlich Leid: Warum um alles auf der Welt sollte das jemanden kümmern?«

Achmed nahm das Wurfmesser von dem Haufen und hielt es Ashe unter die Nase. »Weißt du, was das ist?«

»Ein Hühnerbein.« Ashe goss Wasser aus dem Schlauch auf ein blutbeflecktes Taschentuch und legte es Dorndreher auf die Stirn. »Oder vielleicht ein langstieliges Gänseblümchen.«

»Dieses Hühnerbein ist eine Bolg-Waffe, für die es außerhalb des Berges keine Handelserlaubnis gibt«, knurrte Achmed. »Die Erfindungen sind geheim. Wenn sie sich in sorboldischen Händen befinden, bedeutet das, dass sie gestohlen oder aus dem Grund hier abgelegt wurden, die Schuld für dieses scheußliche Verbrechen Ylorc zu geben, so wie es schon im letzten Sommer versucht wurde, als angenagte Leichname auf den Versammlungsplatz geworfen wurden!« Er warf die Waffe zurück auf den Haufen und starrte nach Süden, zum Vorgebirge der südlichen Zahnfelsen, welche die nördliche Grenze von Sorbold bildeten.

Ashe beschattete die Augen und schaute in dieselbe Richtung.

»Es hat den Anschein, dass jemand einen Krieg gegen euch anzetteln will.«

»Offenbar.«

Ashe beugte sich hinunter und hielt das Ohr an die Brust des Verwundeten. »Er wird sterben, wenn wir ihn nicht zu einem Heiler schaffen.«

Achmed hob weitere der Waffen auf. »So scheint es.«

»Das ist ziemlich hart, selbst für dich. Ich habe kein Pferd. Hilfst du mir, ihn nach Sepulvarta zu bringen?«

Achmed sah ihn durchdringend an und deutete dann auf das Feld. »Dort rennen mehr als ein Dutzend Pferde herum. Nimm dir eins und setz ihn darauf.« Er blickte hinunter auf das Gesicht des Soldaten. Es war ein altes Gesicht, verhärmt und faltig wie das eines Seemanns. Zwischen den Augen klaffte eine grausame Wunde. »An deiner Stelle würde ich aber meine Zeit nicht in der Basilika von Sepulvarta verschwenden. Als Rhapsody im Herbst lebensgefährlich verwundet wurde, habe ich sie dorthin gebracht. Der Patriarch und seine Priester waren mehr als nutzlos.« Er betrachtete Ashes Finger. »Der Grund dafür bestand natürlich darin, dass Rhapsody dir seinen Ring gegeben hatte, damit du geheilt wirst. Du bist jetzt Inhaber dieses Amtes; der Patriarch ist nur noch eine Repräsentationsfigur. Warum versuchst du nicht selbst, ihn zu heilen?«

Der Mann mit der Kapuze starrte schweigend in den Wind.

Dann streifte er den ledernen Handschuh ab, der seine linke Hand schützte, und zog den Ring vom Mittelfinger. Der Ring war schlicht; es handelte sich um einen durchsichtigen, glatten Stein in einer Platinfassung. In dem Stein befanden sich wie eingeritzt zwei Symbole auf den beiden Seiten der ovalen Gemme; sie glichen den Symbolen für das Negative und das Positive. Sanft ergriff er die Hand des Verletzten. Es war eine Soldatenhand: rau, dickfingerig und blutig. Mit großer Vorsicht steckte er ihm den Ring an den kleinen Finger.

Beide Männer beobachteten ihn eingehend. Die Drachennatur in Ashes Blut summte neugierig unter seiner Haut. Er kämpfte darum, sie zurückzuhalten, während er zu erfahren versuchte, was sie ihm erzählte. Der Drache in ihm spürte nur einige kleine Veränderungen, eine gelinde Besserung, die aber nicht ausreichte, um den Cymrer der Ersten Generation viel länger am Leben zu erhalten. Ashe vermutete, er würde noch einige Tage überleben, wenn er gut bewacht wurde, aber nicht länger. Vorsichtig entfernte er den Ring von Dorndrehers Finger und steckte ihn wieder an die eigene Hand; dann zog er den Handschuh an.

»Der Ring ist seiner Art nach kein Ring der Heilung, sondern ein Ring der Weisheit«, sagte er, während er aufstand. »Er verschafft seinem Träger das Wissen, wie man die Fähigkeiten verstärken kann, die einem bereits eingeboren sind. Der Patriarch war seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten sowie seinem Amt nach ein Heiler. Er hat den Ring Rhapsody gegeben, die aufgrund ihrer natürlichen Anlagen und ihrer Ausbildung ebenfalls eine Heilerin ist. Sie konnte mich mit diesem Stein heilen. Ich bin aber kein Heiler. Er teilt mir Weisheit auf anderen Gebieten mit.«

Achmed lachte trocken. »Ja, das stimmt. Er wird dich in deinen Entscheidungen als Herr der Cymrer beraten, falls es je wieder ein Konzil geben sollte, so wie dein Vater es hofft. Und er hat dich darauf aufmerksam gemacht, dass noch einige Cymrer der Ersten Generation uns mit ihrer Gegenwart in dieser Welt beglücken. Hast du deshalb gewusst, wer dieser Mann ist?«

»Nein. Ich habe ihn seit seiner Kindheit gekannt. Er ist ein großer Mann, ein freundlicher Mann. Er muss gerettet werden.« Ashe schaute nach Westen über die Krevensfelder. »Wenn ihm in Sepulvarta niemand helfen kann, ist der nächst gelegene andere Ort Bethe Corbair. Dort gibt es eine Basilika, und Lanacan Orlando, der dortige Seligpreiser, ist ein berühmter Heiler. Könntest du ihn dorthin bringen? Es liegt auf dem Weg ins Bolgland.«