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Achmed bückte sich und sammelte die gestohlenen Waffen ein. Wut loderte in seinen Augen.

»Nein. Ich kann mir keinen Umweg mehr leisten. Ich habe mich schon viel zu sehr verspätet. Es gibt für mich nichts Wichtigeres als die Rückkehr nach Ylorc. Ich muss herausfinden, was mit meinem Königreich los ist, falls es überhaupt noch besteht. Bring ihn selbst dorthin oder geh mit ihm nach Gwynwald zum Tanisten deines Vaters, was noch besser wäre. Es heißt, Khaddyr sei der beste Heiler auf dem Kontinent. Wenn er diesem Mann nicht mehr helfen kann, befürchte ich, dass es niemandem möglich ist.«

»Er schafft es nicht mehr bis Gwynwald, es ist zu weit.«

»Dann bring ihn selbst nach Bethe Corbair. Ich werde es nicht länger verheimlichen, dass du dich versteckt hältst. Du bist geheilt und hast deine Seele zurückerhalten. Was willst du noch? Es könnte einem mehr als nur ein wenig feige vorkommen, wenn du weiterhin im Luxus der Unerkanntheit durch die Welt spazierst, während dein Freund hier stirbt.«

»Mit eurer Erlaubnis«, ertönte eine brummende Stimme unter ihnen, »würde ich gern zu Anborn gebracht, wenn es euch nichts ausmacht. Außerdem sterbe ich nicht; das wäre gegen meine Befehle.« Ein qualvolles Keuchen unterbrach seine Worte; der alte Mann glitt wieder in die Bewusstlosigkeit.

Achmed und Ashe starrten auf den zerschmetterten Mann zu ihren Füßen und sahen sich dann gegenseitig an.

»Nun, es hat den Anschein, dass ihm der Ring in seinem Schicksal ebenfalls Weisheit geschenkt hat, nicht wahr? Weißt du, wo man Anborn finden kann?«, fragte Achmed, während er die Waffen in die vom Pech besudelte Decke eines toten Schiachtrosses einwickelte.

Ashe dachte einen Moment lang nach, dann nickte er. »Klingt wie ein vernünftiger Plan. Nun gut, dann überlasse ich dich deiner Weiterreise.«

Achmed machte sich auf den Weg zu seinem Reittier.

»Warte!«, rief Ashe. Achmed seufzte verärgert und drehte sich wieder um.

»Was ist mit Rhapsody? Geht es ihr gut?«

»Sie hat mir gesagt, dass ihr beiden nicht mehr zusammen seid«, gab Achmed ungeduldig zurück. »Wenn das stimmt, dann sind ihr Wohlbefinden und alle anderen Informationen über sie für dich nicht mehr von Belang. Vergiss sie. Sie hat dich bereits vergessen.« Er stieg auf, warf das Bündel Waffen vor sich auf den Sattel und trieb sein Pferd zu einem Galopp an. Einen Augenblick später hatte er den Hügel in westlicher Richtung erklommen und war aus Ashes Blickfeld verschwunden.

Ashe wartete einen Augenblick, als wäre die Zeit plötzlich angehalten worden, dann fing er einen vorbeilaufenden Wallach ein und brachte ihn hinüber zu Dorndreher, der flach atmete.

»Hab keine Angst«, sagte er zu dem Bewusstlosen, während er ihn in den Sattel hob. »Ich werde dafür sorgen, dass du es bis zu deinem Ziel schaffst.«

18

Östliches Avonderre, nahe der Grenze zu Navarne

Versprengte Wolken aus frischem Schnee wirbelten unter den Hufen des Wallachs hoch und mischten sich mit dem Dunst, der Ashes Umhang entstieg und einen harten weißen Vorhang um ihn und das dahingaloppierende Reittier bildete. Aus der Ferne schienen die beiden kaum mehr als ein Windstoß zu sein, der den Schnee aufpeitschte.

Der südliche Rand des Waldes kreuzte die Grenze zwischen Navarne und Avonderre dort, wo die Ausbrüche von Gewalt das größte Blutvergießen verursacht hatten. Als Ashe allein dieses Gebiet bereist hatte, war er immer zu Fuß gewesen, schweigend, und hatte vorsichtig alle lebenden Wesen gemieden, die seine Drachensinne ihm gemeldet hatten.

Doch nun, mit wiederhergestelltem Körper, im Besitz seiner eigenen Seele, wich er niemandem aus, sondern richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Verwundeten, der vor ihm quer über dem Rücken des Pferdes lag, und auf die Suche nach seinem Kommandanten. Dorndreher jammerte bisweilen und flüsterte unzusammenhängende Worte, doch meistens lag er still über Ashes Knien. Manchmal spürte der Drache in Ashes Blut, wie der Puls des Mannes verebbte und sein Atem flach wurde. Wenn das geschah, legte Ashe ihm die Hand mit dem Ring des Patriarchen in die Nähe des Herzens und ermunterte ihn wortlos, sich an das Leben zu klammern, bis sie Anborn erreicht hatten.

Die Macht des Rings schien stark genug zu sein, um den Mann in seiner irdischen Hülle gefangen zu halten, wenigstens für den Augenblick. Ashe beschirmte die Augen vor dem beißenden Wind und den brennenden Eiskristallen, die ihm ins Gesicht schlugen, und erinnerte sich an das letzte Mal, als er einen Cymrer der Ersten Generation mit dem Tod hatte kämpfen sehen.

Es war Talthea gewesen, Talthea die Gütige, auch bekannt als die Witwe.

Diese Frau hatte unter dem Schutz Khaddyrs gestanden, des großen Heilers der Filiden, der auch der Tanist seines Vaters und dessen voraussichtlicher Nachfolger war. Sie hatte zuckend vor Schmerzen in wildem Kampf mit den Kräften dieses und des nächsten Lebens auf dem Altar des Letzten Opfers gelegen, des uralten Stumpfes eines schon lange toten Baumes von großem Umfang, der im Zentrum des Kreises stand und den Mittelpunkt des filidischen Ordens bildete.

Ashe war damals noch ein Kind gewesen. Er hatte hilflos daneben gestanden, winzig inmitten der trauernden Menge, und mechanische Gebete gemurmelt, von denen er instinktiv gewusst hatte, dass sie keinen Sinn ergaben. Er hatte sich verzweifelt gewünscht, dass sie wieder gesund würde, obwohl er sie nie zuvor gesehen hatte. Nun, mehr als ein Jahrhundert später, erkannte er durch die Weisheit der Erinnerung, dass der Schmerz, den er empfand, hauptsächlich eine Widerspiegelung der Trauer war, die der Rest des filidischen Ordens empfand ein mit Händen zu greifender Kummer, der ihn umstürmte. Weder damals noch heute verstand er, warum das Ziel ihres schrecklichen Kampfes nicht das Leben, sondern der Tod gewesen war.

Khaddyr hatte unermüdlich darum gekämpft, sie zu retten und sie auf dieser Seite des Tores des Lebens zu halten, doch am Ende war sie den Wunden erlegen, die niemals hätten tödlich sein dürfen. Zu jener Zeit war Ashe ein junger Knabe gewesen und hatte niedergeschmettert zugesehen, wie Khaddyr den Kopf über den Körper der Frau geneigt hatte und dann weinend zusammengebrochen war.

Noch immer spürte er die tröstende Hand seines Vaters auf der Schulter. Llaurons Stimme hatte ihm ins Ohr geflüstert, so wie sie es jetzt in seiner Erinnerung tat.

Sie wollte gehen, Gwydion. Sie wollte nicht länger in diesem Leben bleiben und hat die erste Gelegenheit zum Gehen ergriffen.

Warum?, hatte er gefragt, als die filidischen Priester Khaddyr sanft weggeführt hatten. Er hatte auf das alabasterne Gesicht des Leichnams gestarrt, dessen Todesgrimasse davon gesprochen hatte, dass ein heftiger Kampf verloren worden war.

Llauron hatte seinen Griff ein wenig verstärkt und dann den Arm um Gwydions Schulter gelegt. Langlebigkeit, die an Unsterblichkeit grenzt, ist genauso Fluch wie Segen, mein Junge, und vielleicht überwiegt sogar der Anteil des Fluches. Sie mag dir jugendlich erschienen sein, doch nur deshalb, weil sie als junge Frau in dieses Land gekommen war. Sie hatte ihr Herz in Serendair zurückgelassen in ihrer Heimat, die reich an Magie war. Nachdem sie fortgegangen war, kam sowohl ihr Herz als auch ihre Heimat still unter den Wellen des Meeres zur Ruhe; außerdem verlor sie viel bei der Überfahrt. Sie hat noch ein halbes Jahrtausend gelebt und ist in dieser Zeit Zeugin so vielen Leides geworden, doch keines war größer als ihr eigenes. Und nun ist sie dort, wo sie immer sein wollte.

Warum sieht sie dann so unglücklich aus, Vater?, hatte er gefragt und dabei die verzerrten Züge der Frau angestarrt und die Furchen des Schmerzes, die für immer in dem ansonsten wunderschönen Gesicht eingegraben waren. Ihre glasigen Augen hatten das von dem Blätterdach gefilterte Sonnenlicht widergespiegelt.

Es war ein erbitterter Kampf. Sie hat einen hohen Preis dafür bezahlt, dieses Leben hinter sich lassen zu können.