Выбрать главу

Der alte Mann atmete tief aus und sog dann heftig die Luft ein. Er drehte das Schwert, damit es den Feuerschein widerspiegelte, und sah dann in den Himmel über ihm. Seine Augen schauten hinter den fallenden Schnee in eine andere Nacht, in einen anderen Himmel.

»Dein Großvater war ein Mann von großen Stimmungsschwankungen, Gwydion«, sagte er schließlich. »Noch bevor er seine Vision von der Vernichtung Serendairs hatte, erzählten sich die Seeleute Geschichten über seine berühmten Launen, sein fröhliches Lachen, das in der Spanne eines Herzschlages in Wut oder Verzweiflung umschlagen konnte und einen Augenblick später wieder ganz das alte war. Wenn man bedenkt, dass er dabei war, seine Geburtsrechte und alles andere zu verlieren, was ihn mit den gewöhnlichen Menschen verband, war es nicht überraschend, dass er sich am Tag der Abreise in einer düsteren Stimmung befand, denn er verließ die Insel für immer.« Dorndreher verstummte. Ashe reichte ihm den Wasserschlauch, aus dem er einen tiefen Schluck nahm. Dorndreher verkorkte ihn und gab ihn zurück; dann sah er seinen Zuhörer wieder an.

»Die See kochte, das Feuer unter ihr wütete; die Hitze ging von dem Schlafenden Kind aus«, sagte er, und seine Augen verdunkelten sich angesichts der Erinnerung. »Wir hatten große Angst, dass wir nicht mehr rechtzeitig fortkommen könnten wir alle außer Seiner Majestät, der verzagt an der Achterreling stand und gramvoll zusah, als wir zum letzten Mal aus dem Hafen liefen. Die Serelinda schwankte vor und zurück wie ein Korken auf dem Meer. Es war ein Wunder, dass die Gegenströmungen uns nicht zerrissen.« Ashe, selbst Seemann, nickte.

»Niemand wagte es, den König von der Reling fortzuholen, auch wenn es in der Mannschaft hieß, sein Gefolge befürchte, er könne über Bord gehen. Hague, sein bester Freund, blieb immer an seiner Seite, redete mit ihm, hielt ihn ruhig. Nie gab es einen Mann mit einem größeren Geschick, deinen Großvater zu beruhigen.«

Ashe lächelte und nickte stumm. Hague war ein direkter Ahne von Stephen Navarne, Ashes bestem Freund, als sein Leben noch ihm selbst gehört hatte. Vielleicht zog sich mehr als nur das Merkmal der blauen Augen durch die königlichen Familien der Cymrer.

Er atmete so leise ein wie möglich, denn er wollte den alten Cymrer nicht von seiner Geschichte ablenken. Dorndrehers Atmen war stärker geworden; die Pausen zwischen den Wörtern kamen seltener; anscheinend hielten ihn die Geschichte und die Erinnerungen, die sie mitteilte, aufrecht. In seiner Stimme lag nun eine Kraft, die Ashe mit Ehrfurcht erfüllte. Es war, als ob er die Geschichte sich selbst erzählen hörte.

»Als wir uns dem Rand des Horizonts näherten, wurde der König noch besorgter, schritt das Deck ab und rang die Hände. Er hielt den Blick gen Süden gerichtet, sah zu, wie die Insel mit dem Schlingern des Schiffes unterging und wieder auftauchte, und hatte jedes Mal Angst, sie könne für immer aus seinem Blickfeld verschwunden sein. Es tat weh, ihm zuzusehen. Als er sie schließlich nicht mehr sah, als kein Wellenkamm sie mehr zurückbrachte, wurde er hysterisch. Wahnsinn lag in seinem Blick, Gwydion. Ein Dutzend Seeleute und Adlige standen in der Nähe und erwarteten seinen Zusammenbruch. Hague legte die Hand auf die Schulter des Königs, und Gwylliam brach verzweifelt zusammen.

Damals war ich auf dem Ausguck. Meine Augen waren so scharf, dass ich eine Seeschwalbe in einer Entfernung von hundert Meilen gegen die Sonne erkennen konnte. Sie sind immer noch besser als die der meisten Menschen, das kann ich dir versichern. Ich hielt Wacht im Krähennest und beobachtete von dort aus die Vorgänge.

Gwylliam jammerte wie ein Mann auf dem Totenbett und tobte gegen Hague. ›Ich habe den letzten Blick gehabt, Hague. Sie ist fort. Für immer fort. Was würde ich darum geben, sie noch einmal zu sehen, Hague, nur noch ein einziges Mal!‹ Es ist traurig mitzuerleben, wie ein Mann den Tod all dessen erleidet, was er gewesen ist und hätte werden können. Ich konnte es nicht ertragen, musste wegsehen, und als ich das tat, erhaschte ich einen Blick auf den höchsten Gipfel von Balatron an der Nordseite dieses purpurfarbenen Gebirgszuges, der in den Strahlen der untergehenden Sonne badete.

Ich rief hinunter zu deinem Großvater, Gwydion, und teilte ihm die Lage mit, sodass er es selbst sehen konnte. Der Erste Maat gab ihm ein Fernglas, und anscheinend konnte der König es jetzt auch erkennen, denn er wurde sehr erregt und freudig und stieg aus der Grube der Hoffnungslosigkeit auf wie eine Möwe in den Aufwinden.

Lange starrte er in die Ferne und wurde wieder schweigsam. Als er schließlich das Fernglas absetzte, sah er hoch zum Krähennest. Er schaute mich mit seinen hellblauen Augen an und rief vom Deck aus: ›Ho, mein Bester, komm herunter, damit ich dir danken kann!‹ Und wenn einen der König so ruft, dann eilt man sofort zu ihm.« Dorndreher kicherte angesichts der Erinnerungen, und Ashe lächelte. Er spürte beinahe die salzige Gischt, roch den Duft der Wellen, hörte das Knirschen des Decks und war Zeuge der Erregung in den Augen des alten Mannes.

»Als ich das Deck erreicht hatte, lächelte der König wieder. Das hatte ich bei ihm nicht erlebt, seit er an Bord gegangen war; ich hatte es sogar noch nie erlebt, da ich vorher nicht die Gelegenheit gehabt hatte, mit ihm zusammenzutreffen oder ihn gar von fern zu sehen. Ich gestehe, dass mir seine ersten Worte zu denken gaben: ›Hast du ein Schwert, guter Mann?‹

In Anbetracht seiner wilden Stimmungsschwankungen befürchtete ich einen Moment lag, mein Leben könne in Gefahr sein und er sei irgendwie wütend auf mich. Dennoch übergab ich ihm meinen Säbel und leistete somit dem Befehl des Königs Folge.

Er fragte nach meinem Namen, und ich nannte ihn. ›Knie nieder, Dorndrehen, sagte er, und ich wartete auf meine Enthauptung. Stell dir meine Überraschung vor, als er mir leicht auf beide Schultern schlug, mir dankte und mich ›Herr des Letzten Augenblicks und Wächter dessen, was niemand wieder sehen soll‹ nannte. Das hätte mich beinahe umgehauen, mein Knabe.«

»Das kann ich mir vorstellen«, meinte Ashe lächelnd und schüttelte sich den angehäuften Schnee vom Mantel.

Dorndrehers Gesicht wurde ernst. »Ich glaube, er hat einen Scherz gemacht, als er das sagte, Gwydion. Aber es war ein seltsamer Augenblick, nicht wegen seiner eigenen unvorhersehbaren Stimmung, sondern wegen des Zeitpunkts. Wir befanden uns am Ende eines Zeitalters, des letzten Zeitalters an jenem ersten Ort, wo die Zeit begann, und wurden auf einer kochenden See hin und her geworfen, in der sich ein Stern erhob. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre, so ist doch das Wort eines Königs ein seltsames und mächtiges Ding. Damals war es ein Scherz, doch später habe ich erkannt, dass in einem Eid, wie auch immer er gegeben sein mag, die Fähigkeit wohnt, das Schicksal zu bestimmen.«

Das Lächeln schwand aus Ashes Gesicht. Er dachte an die vielen Male zurück, als Rhapsody ihm geduldig erklärt hatte, wie wichtig es für einen Benenner war, immer nur die Wahrheit zu sagen und sich aller Worte bewusst zu sein, auch wenn sie im Scherz ausgesprochen wurden, weil die Worte zur Wirklichkeit werden konnten.

Dorndreher keuchte wieder. »Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass ich nun tatsächlich der Herr des Letzten Augenblicks bin, Gwydion, und der Wächter ... dessen, was niemand je wieder sehen wird. Über die Jahre fand ich heraus, dass ich deinem Großvater Augenblicke aus seinem Heimatland zurückholen konnte, weil er mir die Macht dazu gegeben hatte. Das spendete ihm Trost in seinen dunkelsten Zeiten.« Er zog die Decke bis zum Hals, seine Hände zitterten. »Also, deiner Großmutter gefiel das gar nicht. Sie meinte, nur sie dürfe in die Vergangenheit schauen; das war ihr ureigener Bereich.«

»Das überrascht mich nicht«, meinte Ashe trocken. »Anwyn ist eine Drachin; sie glaubt, dass alles auf der Erde ausschließlich ihr gehört.«

»Sie musste das Gegenteil lernen.«

»Zu einem ungeheuren Preis«, murmelte Ashe und hielt dann inne, als er die Schmerzen in Dorndrehers Gesicht sah. »Vergib mir, Großvater. Ich bin sicher, deine Bemühungen haben Gwylliam großen Trost gespendet, und es freut mich, dass du ihm Blicke in seine verlorene Zeit gewähren konntest.«