Der Schein aus der Feuergrube im Boden, das diese falschen Sterne erhellte, war das einzige Licht in dem gewaltigen Raum und beließ viele Ecken im Dunkeln. Achmed trat in den Schatten und atmete gleichmäßig, um seinen Zorn zu besänftigen.
Grunthor saß auf einem der Marmorthrone und hatte das gewaltige Bein über die Steinlehne geschwungen. Er sang eines seiner Lieblingslieder und war zweifellos befeuert vom Inhalt einer großen Karaffe, die auf dem Thron neben ihm einen Ehrenplatz gefunden hatte.
Die Wut explodierte hinter Achmeds Augen. Aufgebracht schritt er den langen Mittelgang entlang bis zu den Thronen.
Als Grunthor zum nächsten Lied ansetzte, hörte er Achmed kommen. Er verstummte, nahm rasch Haltung an und brach in ein breites Grinsen aus, das sofort wieder verschwand, als der König vor dem Thron stehen blieb und das Bündel mit den Waffen auf den Boden warf. Stahl und Metall klapperten und schepperten heftig.
Grunthor sah ihn erstaunt an. »Was ist das denn?«, fragte er.
Achmed verschränkte die Arme.
»Als ich dich gebeten habe, über den Thron zu wachen, hatte ich damit nicht gemeint, dass du ihn mit deinem beträchtlichen Hintern anwärmst, während jemand das Königreich hinter meinem Rücken verscherbelt.«
Grunthor stand in militärischer Haltung und wurde nun sogar noch steifer. Die Muskeln in seinen baumstammdicken Armen zuckten vor Wut, und sein Gesicht wurde zu einer steinernen Maske blinden Zorns. Achmed winkte leidenschaftslos.
»Steh bequem, Sergeant. Ich sollte dich nicht in deiner Eigenschaft als mein Oberbefehlshaber schelten, sondern dich eher als Freund anknurren.«
Grunthor nahm eine bequeme Paradehaltung an; sein Gesicht war jetzt eine unerschütterliche Maske, in der zwei mit Feuer gefüllte Augen brannten.
»Was ist das denn?«, wiederholte er gefasst.
»Ein geheimes Waffenlager, das ich zwischen den Leichnamen einer Kolonne sorboldischer Soldaten gefunden habe«, sagte Achmed und schob die Waffen mit dem Stiefel von sich.
»Glücklicherweise sind es aussortierte Stücke. Die Sorbolder sind so hirnlos, dass sie die Fehler und das mangelnde Gleichgewicht nicht einmal erkennen. Aber sie besaßen sie. Hast du eine Idee, wie das hat geschehen können?«
»Nein«, antwortete der Sergeant steif.
Achmed sah Grunthor einen Moment lang an und drehte ihm dann den Rücken zu. Es war Zeit für das alte Ritual.
»Erlaubnis, frei zu sprechen?«, fragte Grunthor mechanisch.
»Gewährt.«
»Ich biete meinen Rücktritt an.«
»Abgelehnt.«
»Erlaubnis, frei zu sprechen?«, wiederholte der Sergeant.
»Gewährt.«
Er lauschte, noch mit dem Rücken zu Grunthor, auf das Lockern der militärischen Disziplin und das gewaltige Luftholen, das immer dann einsetzte, wenn Grunthor von einem treuen Soldaten zu einem wütenden Gleichgestellten wurde. Achmed schlang die Arme um sich, als der gewaltige Luftstrom durch Grunthors große, platte Nase drang.
Der Sergeant-Major warf den Kopf zurück und brüllte aus vollem Hals. Der Schrei gellte durch die große Halle; die Säulen erzitterten.
Einen Augenblick später hörte Achmed hinter sich das Reißen eines Teppichs und das Knacken eiserner Bolzen. Einer der alten Throne Anwyns und Gwylliams, geschaffen aus massivem Marmor und schwerer als drei Männer in voller Rüstung, segelte über Achmed hinweg durch die Luft, prallte von dem polierten Steinboden ab, rutschte über das Bild des Sterns und kam mit einem gewaltigen Donnern auf der Seite liegend zum Halt. Stille durchzitterte die Große Halle.
Achmed drehte sich wieder zu Grunthor.
»Fühlst du dich nun besser?«
Der Sergeant wischte sich über die graubraune Stirn. »Ja, ein bisschen.«
»Gut. Jetzt will ich wissen, wie du darüber denkst.«
»Wenn ich rausfinde, wer den Eid gebrochen hat, ramm ich ihm eine von den Waffen ins Auge, röst ihn überm Feuer und setz ihn den Truppen fürs Festmahl im Kartoffelbett und mit ’nem Apfel im Hintern vor.«
»Rhapsody sagt immer, man sollte besondere Ereignisse feiern, indem man Freunde zum Essen einlädt. Sonst noch etwas?«
Der Bolg-Riese nickte. »Es muss jemand aus der dritten Wache sein; dann wird der Ausschluss vernichtet.«
»Mehr als wahrscheinlich. Aber in der dritten Schicht arbeiten zweitausend Männer, und es wird ungeheuer lange dauern, die Verantwortlichen zu finden. Stimmt’s?«
»Ja, aber wir müssen die Verräter kriegen.«
»Natürlich, doch es gibt noch andere, drängendere Sorgen. In den Monaten, während ich fort war, ist der größte Teil unserer Geheimwaffen in die Hände eines benachbarten Heeres gefallen. Wenn Sorbold die Bühne für den Angriff auf Ylorc sein sollte, haben sie weitaus mehr Kenntnisse über unsere Arbeiten, als mir lieb ist. Wir müssen rasch reagieren.«
Grunthor nickte. »Steh ich noch unter der Erlaubnis, frei zu sprechen?«
Achmed schaute über die Schulter auf Gwylliams Thron, der auf der Seite lag. »Ja.«
»Dann sag ich, wenn’s schon sein muss, dann sei’s drum.«
»Etwas genauer, bitte.«
Grunthor lief auf und ab und konzentrierte sich. »Wenn wir in den Krieg ziehn, ziehn wir halt in den Krieg. Wir müssen jeden tauglichen Erwachsenen und Jugendlichen einziehen. Die Schule schließen und den Bälgern beibringen, Wasser zu holen, Verbände zu rollen, Rationen hochzuziehen. Jedes Dorf muss gemustert werden, jede Enklave, alle Frauen und Männer, jedermann.« Er hielt lange genug an, um Achmeds Blick zu erwidern. »Der Gräfin wird’s nich gefallen.«
»Ist das für dich von Bedeutung?«
»Nich im Geringsten.«
»Gut. Was sonst noch?«
»Dreierschicht in der Schmiede. Die Bergwacht soll patrouillieren und sich um den Abfallhaufen und das Inventar kümmern. Wir sollten die Spezialsachen zurückstellen und uns auf Waffen mit großer Reichweite konzentrieren und auf schwere Geschosse für die Katapulte. Zapf die Anthrazit-Adern noch tiefer an, bau die Schieferkohle in Tag und Nachtschichten ab. Koch ’nen ganzen Ozean an Pech. Nimm uns das menschliche Mäntelchen ab und lass uns wieder Ungeheuer sein. Wenn wir in den Krieg ziehn, dann machen wir was draus, damit sie noch in späteren Jahrhunderten Totenlieder komponieren können. Ich will, dass mein Name mit trauriger Musik vertont und von den Witwen bis nach Avonderre gesungen wird.«
Ein leises Lächeln stahl sich auf Achmeds Gesicht. »Wäre das nicht wundervoll? In Ordnung, Sergeant, an die Arbeit. Mach den Berg unbezwingbar. Wir haben von Anfang an gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Wer immer der verdammte Dämon ist, wenn er Ylorc und das Schlafende Kind haben will, muss er erst einmal an mir vorbeikommen. Aber bevor er zu mir durchdringt, wird der Berg auf jeden niederfallen, der ihn begleitet.«
Grunthor nickte, salutierte und schritt aus dem Raum. Seine Wut hatte sich in etwas noch Tödlicheres verwandelt in entschlossene Rache.
Die Stimme der Großmutter hallte in seinen Ohren. Du musst Jäger und Wächter sein. Das ist so vorausgesagt.