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Er zog sich das Kissen über den Kopf und sprach die Erwiderung, die er damals gegeben hatte.

So eine Prophezeiung kann mich mal.

Eine noch ältere Stimme, die von Pater Haiphasion, dem Lehrer aus seiner Jugendzeit auf der anderen Seite der Welt, an einem Ort, der nun unter den Wellen einer ruhelosen See schlief.

Der, welcher jagt, wird auch beschützen.

Achmed blinzelte in der Finsternis.

Warst du derjenige, der die Prophezeiung in den Wind gesprochen hat?, fragte er benommen und stumm. Vor all diesen Jahren warst du das, Pater?

Nichts außer der Dunkelheit antwortete ihm.

Vor Jahrhunderten hatte sich Achmed entschlossen, die Rolle des Beschützers zu meiden. Während seiner langen, seltsamen Existenz hatte er herausgefunden, dass Liebe, Leben und Loyalität vergänglich waren. Daher bedeutete es unfehlbar Scheitern und Ruin, wenn man etwas schützen wollte, auch wenn es sich dabei um ein ewig schlafendes Kind oder sogar einen Berg handelte.

Nun lag er auf seinem Seidenbezogenen Bett, dem einzigen wahren Luxus, den er sich erlaubte. Die schlüpfrige Glätte der Laken besänftigte das ewige Jucken, das gereizte Brennen auf seiner Haut, und zusammen mit den dicken Basaltmauern hielt sie die Schwingungen der Welt im Zaum oder wenigstens hatte sie das früher getan. Nun aber, da die Schmieden bereits heftig in schnellerem Rhythmus schlugen und andauernd Schritte vor seiner Tür laut wurden, war bei all den Vorbereitungen des Krieges kein Frieden mehr denkbar.

Achmed stand langsam auf und schlüpfte in seine Kleider. Er wartete in der Tür seines Schlafzimmers, bis die schweren Schritte erstorben waren. Dann lauschte er dem nahen Lärm der Kriegsmaschinerie, die in dem wohlgeordneten Berg erwachte. Er musste nicht erst die befehlende Stimme seines Sergeant-Major hören, um die Ergebnisse zu spüren. Die sanften Kräuselungen der Luft, die regelmäßig die empfindsamen Nerven seines Hautgewebes berührten, waren bereits durch dicht aufeinander folgende Schläge ersetzt. Wilde Energie zeigte das Herannahen des Kampfes an. Er seufzte tief und spürte zum ersten Mal, seit er zu diesem dunklen und nicht gerade stillen Ort gekommen war, das Werk der Zeit an seinem Körper und Geist.

Er drückte die Türen des schlichten Zedernschranks am Fußende seines Bettes auf und trat in einen Geheimgang. Die Ränder der Laken flatterten kurz durch den Staub des Tunnels unter dem Bett; dann schloss er die Türen hinter sich.

Er erlaubte sich einen Seufzer, als er durch den geheimen Gang schlich und über die Mysterien der Wächterschaft nachdachte. Grunthor brauchte seinen Schutz oder seine Schelte nicht. Rhapsody war zwar erfrischend, aber verrückt unabhängig und erwartete keineswegs von ihm, dass er ihren Beschützer spielte.

Sein halbes Leben hatte er mit der Ausbildung zum vollkommenen Wächter verbracht und die andere Hälfte mit dem Beweis, dass nichts sicher war, nirgendwo. Der König schüttelte den Kopf, als er sich dem zuwandte, was vom Loritorium übrig geblieben war. Er war sich nicht sicher, welche Hälfte seines Lebens er verschwendet hatte.

Die Leute in diesen Bergen und die Geheimnisse, die er früher als Schutz gegen eine alte Nemesis angesehen hatte, lagen nun schwer wie eine Rüstung auf ihm wie eine Rüstung, die zwar schützt, aber auch hinderlich oder sogar gefährlich sein kann. Er war einmal in einer solchen Rüstung vom Pferd in einen Fluss gefallen; die Strömung hatte ihn untergetaucht und die Rüstung hinab in das Wasser gezogen, das er so wenig schätzte. Seine Verantwortung für die Bolg lastete nun ähnlich schwer auf ihm. Er nahm seine ganze Entschlossenheit zusammen, hier zu bleiben und einen Schutz für jene zu errichten, für die er sich verantwortlich fühlte. Wenn es nach ihm ginge, würde er allein und mit der Cewllan in der Hand hinausgehen, bis es vorbei war.

Achmed bahnte sich einen Weg durch die Asche und den Schutt bis zu den Überresten von Gwylliams großer Gruft. Nur wenig von Wert war übrig geblieben: einige geschmolzene Metallleuchter, ein paar Schieferplatten aus nie fertig gestellten Mosaiken; alles andere war in der Feuersbrunst untergegangen, die Rhapsody entfacht hatte, um die Dämonenranke zu zerstören die Bastardwurzel des Großen Weißen Baumes, den der F’dor entweiht hatte, und die den Berg hatte sprengen sollen, damit er das Schlafende Kind den schon lange toten Dhrakiern entreißen konnte, die versucht hatten, es zu beschützen.

Achmed sprang von einem großen Schutthaufen herunter und stand nun unter der großen Kuppel des Loritoriums, des sanft ansteigenden Gewölbes, in dem einst ein Behälter gesteckt hatte, der Feuer von einem Stern der alten Welt enthielt von Seren selbst. In dem weiten Kreis, der früher einmal der zentrale Hof hatte werden sollen, sah er den Altar des Lebendigen Gesteins und den großen, ruhenden Schatten darüber.

Der Körper des Kindes war so groß wie sein eigener, doch eine ungeheure Zerbrechlichkeit umwebte es, obwohl es von der lebenden Erde selbst gebildet war. Es lag auf dem Rücken und schlummerte unter Grunthors Umhang, mit dem er es bedeckt hatte, als sie das letzte Mal an diesem Ort gewesen waren. Von der Seite sah es wie eine Totenstatue auf einem Katafalk aus. Die süßen Gesichtszüge des Mädchens waren die eines Kindes, und seine Haut leuchtete im kalten Glanz polierten grauen Steins. Unter der hauchdünnen Haut war das Fleisch dunkler, wies gedämpfte Tönungen von Braun und Grün, Purpur und Dunkelrot auf, die wie Bänder aus farbigem Lehm ineinander gewunden waren. Die Züge waren zugleich grob und sanft, als wäre das Gesicht mit stumpfen Werkzeugen gemeißelt und dann sorgfältig ein ganzes Leben lang poliert worden.

Achmed näherte sich langsam dem Altar, denn er wollte das Kind nicht stören. Lass das, was in der Erde ruht, ungestört schlafen, hatte die Großmutter, die letzte Überlebende der dhrakischen Siedlung und Wächterin des Kindes gewarnt. Sein Erwachen kündet von ewiger Nacht.

Er trat neben das Kind und blieb stehen. Als er auf es Niederschaute, bemerkte er, dass es unter dem Umhang zitterte.

Tränen lagen auf den Wimpern, die aussahen wie aus trockenen Grashalmen gebildet und wunderbar zu dem langen, weizengleichen Haar passten. Seit er es das letzte Mal gesehen hatte, war dieses Haar vom Gold Frostgebleichten Weizens zu Weiß geworden, sogar an den Wurzeln, die einmal an das Gras des Frühlings erinnert hatten, nun aber das Schneetuch spiegelten, das die Erde umhüllte.

Achmed schluckte schwer.

»Psst, meine Kleine«, flüsterte er in seiner trockenen Stimme; die Worte drangen kaum über seine Lippen. Das Erdenkind hatte Angst; er spürte es in seiner Haut und den Tiefen seiner Knochen. Die Erde um es herum erzitterte unter den Hammerschlägen, den gebrüllten Befehlen, der schrecklichen Kakophonie der Kriegsvorbereitungen.

Achmed kniete sich neben das Kind und zog ihm sanft den Umhang über die Schultern. Er räusperte sich.

»Ähem, hab keine Angst«, sagte er. Er zuckte unter der Unangemessenheit seiner eigenen Stimme zurück, rückte näher an das Erdenkind und fuhr ihm vorsichtig mit dem Finger über die Hand.

Er schloss die Augen, richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den schnellen Atem des Kindes und passte ihm seinen an, dann verlangsamte er beide.

»Ich weiß, dass du jetzt fühlst, wie die Erde entzwei gerissen wird«, sagte er so sanft wie möglich. »Ich bin sicher, dass es dich schmerzt. Aber hab keine Angst. Fürchte den Lärm nicht; er ist zu deinem Schutz da. Du bist in Sicherheit, das schwöre ich dir.«

Eine einzelne Träne quoll unter dem geschlossenen Augenlid des Kindes hervor und lief an seinem Gesicht entlang. Achmed fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare und kam noch näher heran.

»Ich werde dein Wächter sein«, sagte er leise; kaum verlieh er seinen Worten Stimme. »Nur deiner allein.«

Er stand auf und beugte sich über das Mädchen. Mit seinen empfindlichen Lippen fuhr er ihm über die Stirn.

»Schlaf jetzt«, sagte er. »Ruh dich aus. Ich halte Wacht.«

Das Kind seufzte im Schlaf, das Zittern hörte auf. Nun lag es zwischen den sanften Wogen des Atmens so still wie eine Statue.