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Rhapsody nickte. Sie wiegte zwei der kleinsten Kinder in dem Schaukelstuhl vor Oelendras Herd; der Feuerschein spielte auf ihrem Gesicht. »Er weiß mehr als jeder andere über sorboldische Kultur. Obwohl dieses Land an Achmeds Grenze liegt, kennt er nicht viel davon.«

»Die Berge haben die Eigenschaft, Informationen und Feinde zurückzuhalten«, meinte Oelendra. »Bist du sicher, dass du Llauron vertrauen kannst?«

»Meinst du, ich kann es nicht?«

»Nein.« Die lirinsche Meisterin nahm ihren Becher mit gewürztem Met und hob ihn an die Lippen. Nachdem sie getrunken hatte, bemerkte sie, dass Rhapsodys samaragdene Augen auf sie gerichtet waren und den Feuerschein widerspiegelten. »Erinnerst du dich an den Blutsverwandtenruf, den ich dir beigebracht habe, als du zur Ausbildung zu mir kamst?«

Rhapsody nickte, aber sie ließ den Blick nicht von Oelendra. »Ja. Beim Stern werde ich warten, werde ich beobachten, werde ich rufen und gehört werden.« Oelendra nickte. »Ich saß auf einem Pferd und wollte gerade Sepulvarta verlassen, um den Patriarchen zu verteidigen; daher erinnere ich mich nicht an mehr. Was hat das mit Llauron zu tun?«

»Mit Llauron hat es nichts zu tun; wir kommen gleich auf ihn zurück. Es ist wichtig, dass du dich an diesen Ruf erinnerst. Du hast gesagt, du habest in der Nacht in Sepulvarta einen Flüsterton im Ohr gehört, als du Wache gestanden und für den Patriarchen gekämpft hast?«

»Ja.«

Das Gesicht der älteren Frau nahm das Leuchten des Feuers auf. »Ich glaube, du bist jetzt selbst eine Blutsverwandte, Rhapsody. Im alten Land waren die Blutsverwandten eine Bruderschaft von Kriegern und Meister in der Kunst des Kampfes; sie waren dem Wind und dem Stern geweiht, unter dem du geboren wurdest. Aus zweierlei Gründen wurden sie in die Bruderschaft aufgenommen: Sie mussten ein unglaubliches Kampfgeschick aufweisen, das sie sich in einem langen Soldatenleben erworben hatten, und sie mussten selbstlos anderen dienen und die Unschuldigen mit dem eigenen Leben schützen. Meiner Meinung nach hat dich der Umstand, dass du in jener Nacht in der Basilika den Patriarchen vor dem Rakshas geschützt hast, als eine dieses Ordens bestätigt.«

»Aber das war in der alten Welt«, sagte Rhapsody und kraulte Jecens Hals. Das Kind seufzte im Schlaf. »Gibt es diese Blutsverwandten denn noch?«

»In diesem neuen Land habe ich noch nie einen getroffen«, antwortete Oelendra und schaukelte sanft Arias Wiege. »Ich weiß nicht, ob die Bruderschaft noch existiert. Wenn ja, dann wird jeder Blutsverwandte, der dich hört, deinen Hilferuf auf dem Wind beantworten, falls du selbst zu ihnen gehörst. Genauso musst du antworten, wenn du den Ruf hörst.«

»Das werde ich tun«, versprach Rhapsody. »Reden wir bitte wieder über Llauron. Was sind deine Bedenken? Achmed hegt schon seit langem den Verdacht, dass er der Wirt des F’dor sei. Glaubst du das auch?«

»Nein«, antwortete Oelendra knapp. In ihrer Stimme lag eine Endgültigkeit, die Rhapsody dazu trieb, ins Feuer zu schauen.

Oelendra schwieg einen Moment und betrachtete ihr Gesicht. »Hast du Angst, Llauron könnte Gwydion ... äh, Ashe ... von den Kindern erzählen?«

»Eigentlich nicht«, meinte Rhapsody und küsste die schlummernden Köpfe. »Llauron wird seinem Sohn durchaus Dinge vorenthalten, die für seine Ziele wichtig sind. Du solltest die Briefe sehen, die er mir nach Ylorc geschickt hat. Er hat mich in höflichen Worten angeklagt, weil ich der cymrischen Wiedervereinigung nicht genug Zeit gewidmet habe. Als Ashe ihm über uns berichtet hat, wurden die Briefe sogar noch schlimmer. Er wollte wissen, ob ich der Grund dafür sei, dass sein Sohn kaum mehr da sei. All das war im dunklen Dialekt des Alt-Serenne geschrieben und überdies verschlüsselt. Ich habe übrigens Ashe nur deshalb noch nichts von den Kindern gesagt, weil ich ihn nicht verletzen will. Er wird am Boden zerstört sein, wenn er erkennt, dass die Taten, deren Zeuge seine Seele war, diese Situation nach sich gezogen haben. Er wird glauben, es sei seine Schuld.«

Oelendra starrte in das Feuer. »Nein, es ist sicherlich nicht seine Schuld«, sagte sie abwesend. Rhapsody sah sie an und wartete darauf, dass sie weitersprach, doch sie tat es nicht.

»Weißt du, wo diese Kinder doch so verschieden sind, ist es erstaunlich, dass nicht eines von ihnen kupferfarbenes Haar hat.«

»Wieso?«, fragte Oelendra und tauchte aus ihren Gedanken auf. »Der Rakshas mag wie Gwydion ausgesehen haben, aber sein Blut war das des F’dor. Es gibt zwischen ihnen keine Blutsbande.«

»Das weiß ich, aber für Ashe wird es immer noch diesen Anschein haben«, sagte Rhapsody und streichelte Mikita, die im Schlaf wimmerte. »Das Fragment seiner Seele, das dem Rakshas Macht gegeben hat, hat viele unaussprechliche Dinge mit angesehen, und Ashe verfügt über Teile dieser Erinnerung. Jenseits der Vernunft spürt er Schuld, gerade so als wäre er an diesen Taten beteiligt gewesen. Ich bin froh, dass keines der Kinder ihm irgendwie gleicht.«

»Nun, der Drache in ihm wird wissen, dass es nicht seine Kinder sind«, sagte Oelendra. »Da wir schon über Ashe reden, wo ist er eigentlich?«

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Rhapsody. »Als wir uns getrennt haben, wollte er nach Süden über die Krevensfelder. Ich glaube, dort sind Feindseligkeiten zwischen einem menschlichen Außenposten und den sorboldischen Wachen ausgebrochen. Wir haben geplant, uns in Bethania zur Hochzeit des Fürsten von Roland zu treffen. Vielleicht sehe ich ihn dort. Wer weiß?«

»Seltsam«, bemerkte Oelendra.

»Ja, alles ist seltsam. Hoffentlich ist es bald vorbei.«

»Ich habe dich genau angesehen, als du gesagt hast, du wissest nicht, wo Ashe ist. Du vermisst ihn, nicht wahr?«

»Ja. Warum?«

»Du zeigst es nicht.«

Rhapsody seufzte. »Ich wusste die ganze Zeit, dass er nie der meine sein kann, Oelendra. Was du über Pendaris und dich gesagt hast, hat mir überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, ihn zu lieben. Ich glaube, in unserer kurzen Zeit zusammen haben wir so viel geliebt wie andere in einem ganzen Leben.«

Oelendra lächelte. »Der Unterschied, Rhapsody, besteht darin, dass ihr beide noch lebt. Beurteile nie den Wert eines ganzen Lebens, so lange es noch andauert.« Die Flammen knisterten zustimmend. Die beiden Frauen saßen in verstehendem Schweigen vor dem Feuer, bis es in der Dunkelheit des Zeltes zu Kohlen heruntergebrannt war.

24

Der Kreis, Gwynwald

Llauron warf ein weiteres Scheit ins Feuer und beobachtete, wie es aufloderte. Sie würde gleich herunterkommen, und es war immer bemerkenswert zu beobachten, wie das Feuer sich in ihrer Nähe veränderte und sich ihrer Stimmung anpasste. Es war eine angeborene Fähigkeit, die Llauron gern selbst gehabt hätte, wenn auch vielleicht in einem größeren Rahmen.

In der Dunkelheit seines Studierzimmers spürte Llauron ein Gefühl des Friedens herabsteigen, ein seltenes Gefühl in diesen letzten Tagen. Er lehnte sich gegen den Türrahmen. Die Zeit nahte, und bald wären das Warten und all die mit der Unsicherheit verbundenen Unannehmlichkeiten vorbei.

Rhapsody erschien am oberen Rand der Treppe. Sie trug nicht mehr ihre staubige Reisekleidung, sondern eine zarte weiße Bluse aus canderischem Leinen, eingefasst mit weißen Spitzenmustern, und einen langen Rock aus weinfarbener Wolle. Sie hatte sich das Haar gebürstet und zu einem fülligen Knoten hochgesteckt.

Llaurons Augen funkelten in liebevoller Wärme, als sie herunterkam und ihn begrüßte. Er ergriff beide Hände, die sie ihm entgegenstreckte, und küsste sie auf die Wange. Dann hakte er sich bei ihr ein und führte sie in sein Studierzimmer.

»Du siehst bezaubernd aus, meine Liebe«, sagte er galant und hielt ihr die Tür auf.

»Vielen Dank«, erwiderte sie lächelnd. »Es ist erstaunlich, wie zivilisiert man sich nach einem Bad und einem Kleiderwechsel fühlt.«