Rhapsody starrte ihn kalt an. Sie wussten beide, dass das unmöglich war. Grunthor konnte sich nirgendwo einschleichen, nicht einmal in einen Ort wie Sorbold, und wenn Achmed auf sorboldischem Gebiet geschnappt würde, wie er gerade einen wertvollen Sklaven entführte, konnte das Krieg bedeuten.
Als Llauron sah, wie sich Eis in ihren Augen bildete, wurde sein Ton freundlicher. »Kopf hoch, Rhapsody. Ein einzelner Gladiator ist doch kein ernst zu nehmender Gegner für die Iliachenva’ar. Du bist von der lirinschen Meisterin ausgebildet worden, dir steht die Macht der Sterne und des Feuers zur Verfügung, um deine Musik gar nicht erst zu erwähnen. Und wenn alles andere versagen sollte, hast du deinen flinken Verstand und ein freundliches Lächeln; das wird dich überall hinbringen. Unterschätze deine eigenen Kräfte nicht. Du hast zu lange als Teil eines Trios gearbeitet.«
Sie sagte nichts darauf, sondern hielt seinem Blick stand. Schließlich warf Llauron die Hände hoch und gab nach.
»In Ordnung. Ich werde dafür sorgen, dass Khaddyr und seine Männer außerhalb der Kasernen des Gladiatorenkomplexes warten, sodass sie dir helfen können, ihn dort hinauszuholen, sobald du ihn bewusstlos gemacht hast. Und nun sieh dir die Zeichnung des Komplexes noch einmal an. Hier an der Außenseite ist eine Nische, in der du dich verstecken kannst. Ich schlage vor, dass du die Stadt hier betrittst; das ist der einfachste Zugang und Ausgang, besonders wenn ihr einen bewusstlosen Gladiator hinter euch herzieht.«
»Wie soll ich ihn bewusstlos machen?«
Llauron ging zum Tisch. »Dafür habe ich Vorbereitungen treffen lassen.« Er hob eine kleine Börse hoch und zog eine durchsichtige, verstöpselte Flasche hervor. »Das wird ihn innerhalb weniger Sekunden ohnmächtig machen, nachdem er es eingeatmet hat. Pass übrigens auf, dass du es nicht selbst in die Nase bekommst. In dieser Flasche ist genug, um ihn betäubt zu halten, bis ihr wieder in Tyrian seid. Verschwende nichts davon.«
Er steckte die Flasche zurück in den Beutel und gab ihn ihr.
»Vielen Dank«, meinte Rhapsody.
»Versuche es so einzurichten, dass er keucht, wenn er es einatmet, dann wirkt es besser.«
»Und wie soll ich das schaffen indem ich ihn erschrecke? Ihm einen Witz erzähle?«
Llaurons Augen funkelten auf eine Weise, die Rhapsody verstörend fand. »Ich bin sicher, du wirst dir etwas einfallen lassen, Rhapsody.« Seine Antwort führte dazu, dass sie den Mantel enger um sich zog.
»Ich bin mir wegen des Kleides noch nicht sicher.«
»Um Himmels willen, sie werden glauben, dass du eine Heilerin bist. Die Heilerinnen laufen immer in einem solchen Aufzug durch die Gegend. Außerdem ist das Einzige, was der Gladiator nach einem Kampf um Leben und Tod von dir will, medizinische Betreuung und vielleicht eine Massage. Du brauchst keine Angst zu haben, dass deine Tugend in Gefahr ist.« In seiner Stimme lag eine Schroffheit, die Rhapsody nicht gefiel. Llaurons Stimme wurde sanfter, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Den Gladiatoren ist es verboten, vor einem Kampf sexuelle Beziehungen einzugehen, und danach sind sie nicht mehr dazu in der Lage. Du wirst für ihn nicht mehr als ein Paar Hände sein, die seine Schmerzen lindern. Er wird dich kein zweites Mal ansehen, oder glaubst du, du hast etwas Besonderes an dir, das die Männer anzieht, wenn sie es gewöhnt sind, alle Frauen in dieser Kleidung herumlaufen zu sehen?«
»Nein«, gab sie zu.
»Dann entspann dich bitte. Es wird für dich eine wertvolle Erfahrung sein, wenn du siehst, wie Menschen in anderen Kulturen leben. Ich glaube, du solltest dein Schwert hier lassen, während du fort bist nur für alle Fälle.«
»Darüber habe ich schon nachgedacht«, sagte sie und schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit. »Ich habe es Oelendra gegeben.« Dasselbe Prickeln lag in der Luft, wenn Ashe gereizt oder wütend war, es aber nicht zugeben wollte.
»Sehr gut. Wir haben also einen Plan. Falls du dich in dem Komplex verlaufen solltest, folge der Hitze; sie wird dich zu den heißen Quellen neben der Arena führen. Ich werde Khaddyr und die anderen erst im letzten Augenblick darüber informieren, um sicher zu stellen, dass uns niemand belauscht. Da wir gerade von Khaddyr reden ich muss mich um einige seiner Patienten kümmern. Es sind Opfer einer dieser sinnlosen Überfälle.«
Rhapsody setzte sich auf. »Brauchst du Hilfe? Ich habe meine Kräuter und meine neue Harfe dabei.«
»Nein, nein; sie haben nur kleinere Verletzungen und schlafen jetzt bestimmt schon. Außerdem wollen wir, dass deine Anwesenheit geheim bleibt. Hat dich jemand durch den versteckten Eingang hereinkommen sehen?«
»Nein, bestimmt nicht. Ich war vorsichtig.«
»Wer weiß, dass du bei mir bist?«
»Nur Oelendra. Und Gwen.«
»Gut. Und jetzt schlaf ein wenig, meine Liebe. Du musst morgen sehr früh aufstehen.« Llauron gab ihr einen Kuss auf die Wange und verließ ihr Zimmer. Er schloss die Tür leise hinter sich.
Rhapsody sah ihm nach und saß dann lange schweigend da. Irgendetwas stimmte nicht, aber sie wusste nicht, was es war. Wenn sich Llauron bei einem Punkt des Plans geirrt haben sollte, konnte das schreckliche Folgen haben, aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken.
Sie zog den Mantel und die dünnen Schals des Sklavenmädchenkleides aus, suchte nach ihrem Schlafanzug, streifte ihn über und dachte dabei an Ashe. Er wäre sofort mit ihr losgezogen; nichts hätte ihn zurückhalten können. Das war der Grund, warum sie ihm nichts von dieser Mission erzählt hatte.
Sie zog die Laken zurück, schlüpfte unter sie und dachte dabei an ihr Zuhause. Ryle hira, lautete das alte lirinsche Sprichwort. Das Leben ist so, wie es ist. All das rührte von der Bösartigkeit des F’dor her. Evet ra hira mir lumine aber du kannst es besser machen, lautete ihr eigenes Motto. Wenn sie die Kinder zu retten vermochte, auch dieses eine, und es ihnen gelang, das Blut zu filtern, damit es Achmed als Fährte und zur Heilung der Kinder diente, würde vielleicht alles gut und schmerzlos ausgehen, bevor sie Ashe die ganze Geschichte erzählen musste. Sie seufzte bei diesem Gedanken und trieb in die Albträume, die mit dem Verlust des Drachen, der ihre Träume bewacht hatte, wiedergekehrt waren.
26
Sie stand am Fenster und hörte dem Nordwind zu, wie er durch die blassen Felsspitzen heulte und sein Jagdlied jammerte. Das Feuer in dem gewaltigen Kamin brannte kalt und still in den Schatten ihres ansonsten dunklen Nestes. Das Licht spiegelte sich vor ihr in den großen Scheiben aus dickem Glas wider und glühte in ihrem kupferigen Haar. Wellen aus rotgoldenem Leuchten umhüllten die frostigen, kahlen Gipfel dahinter.
Eine weitere einsame Nachtwache, nicht anders als die anderen in den letzten Jahrhunderten hier innerhalb der toten Berge.
Die Seherin sah hinunter auf das trübe Fernglas in ihren Händen, das ebenfalls im Widerschein des Feuers matt glänzte. Sie schloss die Augen und spürte das beinahe erotisch intensive Zerren der Nacht, das in diesem Artefakt schlummerte.
Sie hob erneut das Instrument vors Auge und suchte die Zeitwellen nach einer tröstenden Erinnerung ab, die sie in einer froststarrenden, leeren Nacht warm zu halten vermochte, doch sie entdeckte nichts Beruhigendes, nur eine Geschichte schweigender Anklagen. Sie ließ das Glas sinken.
Meine Flamme.
Sie wirbelte entsetzt herum, als sie die volle und süße, leise und knisternde Stimme hörte. Ihre sprühenden blauen Augen blickten mit schlangenhafter Schnelligkeit in dem großen Zimmer umher; die vertikalen Pupillen vergrößerten sich im Takt mit dem Schlag ihres dreikammerigen Herzens.
Hier, Süße.
Langsam legte sie das Fernglas zurück auf den Altar und ging vorsichtig zum Feuer, das nun dunkler brannte. Die Flammen tanzten und wanden sich bei ihrer Annäherung.
»Zur Leere mit dir«, flüsterte sie. »Du wagst es, zu mir zu kommen? Nach all der Zeit?«
Aus dem kalten, dunklen Feuer hörte sie ein unmissverständliches Kichern.