Выбрать главу

Als er die Öffnungen der Hand untersuchte, fragte er sich, ob dies der richtige Ort war. Der beste Ort wäre eigentlich jener unter dem großen Pendel der seit langem untergegangenen dhrakischen Kolonie, wo es keine Möglichkeit des Entkommens gab. Dort hatte er zusammen mit der Großmutter das Bannritual geübt und die Geheimnisse seiner dhrakischen Abstammung gelernt. Er hatte die uranfängliche Kraft erkannt, die ihnen erlaubte, beide Seiten des F’dor festzuhalten, den Mann und den Dämon. Es war eine Fähigkeit, die ihnen von den Gefangenen verliehen worden waren, welche ihr Leben dem Wind zurückgegeben hatten; sie waren aus jenem Wind geboren worden, um Wache über die große Gruft der Unterwelt zu stehen, in der die F’dor eingekerkert gewesen waren. Aber jener Ort war nun versiegelt; es gab keinen Weg, dorthin zurückzukehren, ohne die Sicherheit des Schlafenden Kindes zu gefährden. Bei dem bloßen Gedanken daran spuckte er auf den sandigen Boden.

Die fünf Eingänge der Hand zeigten eine gewisse Ähnlichkeit mit der hohen Kammer, in der das Pendel schwang. In gewisser Weise schwollen die hierher dringenden Signale genauso an und ab wie Wasser in unterirdischen Höhlen, das mit den Gezeiten aus der Tiefe abfließt, dann aber wieder zurückflutet, ohne Aussicht auf ein Entkommen.

Das hier war der richtige Ort.

Die letzte Botschaft, die Rhapsody mit einem Vogel geschickt hatte, hatte den Erfolg ihres Unternehmens angedeutet; sie würde bald nach Hause zurückkehren. Dieser Gedanke war schmerzhaft.

Achmed lauschte erneut und eilte dann durch den Korridor, der ihn hierher gebracht hatte. Aus der Ferne sahen ihm die Finder nach; ihre weit aufgerissenen Augen blinkten in der Dunkelheit.

27

Sorbold

Der Vergnügungskomplex von Sorbold bildete die größte Häusergruppe im Stadtstaat Jakar und breitete sich bedrohlich am südlichen Ende des Bezirks von Nikkid’saar aus. An Tagen, an denen keine Gladiatorenkämpfe angesetzt waren, lag er mehr oder weniger ruhig da, wenn man von gelegentlichen Versorgungskarawanen und dem Strom der Sklaven und freien Arbeiter absah, deren Bemühungen den Komplex am Leben erhielten. Aber an den Kampftagen erzitterte dieser Teil des Bezirks vor menschlichem und tierischem Leben, wenn Zehntausende die Straßen um die Arena verstopften. Alles wimmelte vor Geschäftemacherei mit dem blutigen Sport, alles bebte vor Aufregung.

Rhapsody erkannte, dass Llauron Recht gehabt hatte, was das Schema der Ereignisse anging. Heute war ein Wettkampftag gewesen, und ein gewaltiger Menschenstrom einschließlich des dazugehörigen Lärms und Gestanks floss zurück in die Straßen um die Arena und erfüllte die Gassen mit Gedränge, Geschrei, Gelächter und Gezänk. Es war leicht, in diesem Chaos verloren zu gehen. Das tat Rhapsody mit Vergnügen. Sie verschmolz mit der Menge, bis sie den Eingang zur Arena fand, welcher dem wuchernden Anbau an der Rückseite des Komplexes am nächsten lag. Sie vermutete, dass sich in diesem Anbau die Quartiere der Gladiatoren befanden, und hielt nach einem Ausgang in der Nähe des südlichen Tores Ausschau, wo sie das Pferd zurückgelassen hatte und sich Khaddyr und die Verstärkung mit ihr treffen würde.

Rhapsody fand einen geschützten Ort, wo sie warten konnte, während ein leichter Schneefall einsetzte, der die Straßen in Matsch verwandelte und die Stimmung der Menge senkte. Während ihres Wartens sah sie sich aufmerksam um und bemerkte, dass es in der Tat einige Frauen gab, die ähnliche Kleidung wie die trugen, die ihr Mantel verbarg. Im Vergleich schienen die Kleider der anderen dezenter als ihr eigenes zu sein, aber vielleicht lag das nur an ihrem Unbehagen über die enthüllende Art dieser Kostümierung.

Außerdem wurden die Frauen, die wie sie angezogen waren, oft in den Komplex hinein und wieder aus ihm Herhausgetrieben, häufig unter Peitschenschlägen. Rhapsodys Blut kochte; sie spürte, wie das Feuer in ihr aufstieg, doch sie schluckte den Ärger über diesen Anblick herunter und wurde nur noch entschlossener. Sie war hier, um den Gladiator zu retten, und nicht, um die sorboldische Kultur zu verändern, so gern sie das auch getan hätte. Die Straßen in der Umgebung der Arena bestanden unter anderem aus Zubringern, die in kleine Innenhöfe führten. In jedem dieser Höfe, durch die Rhapsody gegangen war, hatte sie kleinere Kämpfe inmitten einer lockeren Menge aus Zuschauern, Bauern und Kaufleuten gesehen, die immer dann in besonders laute Freudenrufe ausbrachen, wenn ein außergewöhnlich blutiger Schlag gelandet worden war.

Die an diesen Straßenkämpfen Beteiligten schienen manchmal noch Kinder zu sein, Jungen und bisweilen sogar Mädchen von vielleicht neun Sommern, die einander mit so grimmiger Wildheit angriffen, dass der Sieger oft davon abgehalten werden musste, seinen zu Boden gegangenen Gegner auszuweiden. Rhapsody erschauerte, als sich bei einem dieser Kämpfe ein großer Freudenschrei erhob, der von hervorschießendem Blut begleitet wurde. Bei den beiden Gegnern handelte es sich um Jungen, die nicht älter als ihr adoptierter Enkel Gwydion Navarne waren.

In den der Arena näher gelegenen Höfen herrschten die Halbprofessionellen; Gladiatoren, die noch nicht für würdig erachtet wurden, in der Arena zu kämpfen, die sich aber in den meisten Fällen schon eine große und ergebene Gefolgschaft unter den Zuschauern errungen hatten. Außerdem wurde überall gespielt; erfahrene Spieler heizten die Menge an und versuchten den Leuten die sorboldischen Goldsteine abzuknöpfen, die sie mitgebracht hatten, um damit in der Arena zu wetten.

Im letzten dieser Höfe unmittelbar vor der Gladiatorenarena stand eine hölzerne, von brüchigem Metall gehaltene Waage mit zwei riesigen Scheiben darauf, die groß genug für das Wiegen eines Ochsen war. Rhapsody erkannte das Instrument als eine gröbere Version der Waagen, die in den einzelnen Kampfgruben innerhalb des Komplexes standen. Im Rahmen ihrer Planung hatte Llauron ihr den Sinn dieser Waagen erklärt.

Am entscheidenden Punkt eines jeden größeren Kampfes wurde ein Gladiator, der entwaffnet oder verletzt war, durch den Gong des Arenameisters als Towrik oder Angeschlagener ausgewiesen. Dann wandte sich die Menge den gewaltigen Waagen zu und entschied mit ihnen das Schicksal des Kämpfers.

Zum größten Teil lag das Land Sorbold auf der windgeschützten Seite der Zahnfelsen, wodurch es dort trocken und unfruchtbar war ein Reich beinahe endloser Sonne und Wüste. Obwohl Sorbold eine dem Patriarchen in Sepulvarta treu ergebene Diözese war, hatte sich hier noch etwas von der Verehrung aus alten heidnischen Tagen gehalten, eine Hingabe an das Gleichgewicht in der natürlichen Welt. In einem Land, in dem die Überbewässerung eines Feldes den endgültigen Verlust der Trinkwasserquellen eines ganzen Dorfes bedeuten konnte, war das Gleichgewicht der Natur eine Sache auf Leben und Tod.

So war es auch in der Gladiatorenarena. Beim Klang des Gongs nahm die Menge ihren Gesang auf: Towrik, Towrik, Towrik. Diese Worte hallten dann zitternd durch die ganze Arena, wurden stärker und drängender, wütender, bis die Sitze erzitterten; zumindest hatte Llauron es so beschrieben.

Während der Sieger des Kampfes zum Gewinnerthron ging, um dort die Schmeicheleien und Preisungen der Menge und des Adels entgegenzunehmen, wurde der unglückliche Verlierer wie ein Götteropfer in die Mitte der Arena geschleppt und unsanft auf eine der Wiegeplatten geworfen. Je zwei Karrengäule mit angeschirrten Wagen standen zu beiden Seiten des Mechanismus; jede der Wiegeplatten ruhte auf einem Wagen.

Nun setzte das Handeln ein. Wenn der Kämpfer ein Sklave und für seinen Besitzer wertvoll war, hielt dieser oft eine Tafel mit einem Angebot für sein Leben hoch. Auf ein Zeichen des Arenameisters hin wurden große, bunte Gewichte, die dem Angebot des Besitzers entsprachen, auf die andere Waagschale gelegt. Anderen Mitgliedern des Adels und schließlich auch der Menge wurde es erlaubt, ihre Angebote für das Leben des Verlierers ebenfalls in die Waagschale zu werfen. Manchmal wurden sogar andere Sklaven, sowohl Männer als auch Frauen, angeboten, besonders wenn der Kämpfer im Ruf der Geschicklichkeit und Nützlichkeit stand.