Sie sah zu, als er Constantin in eine etwas andere Lage brachte und ihm ein wenig Flüssigkeit aus der Flasche zwischen die Lippen goss. Als sich der Gladiator regte, versetzte Anborn ihn mit einem einzigen Schlag wieder in Bewusstlosigkeit. Dann kehrte er zurück, saß hinter ihr auf und band den Zaum ihres Pferdes an seine eigenen Zügel.
»Du bist wirklich eine Verrückte«, sagte er und blickte sie finster an. »Die Bestie ist warm eingewickelt, und du hast sie auf deine Kosten gefüttert. Du kannst froh sein, dass du nicht unter meinem Befehl stehst. Ich hätte dich dafür auspeitschen lassen, dass du ein wertvolles Leben für ein wertloses aufs Spiel gesetzt hast.« Er sah ihr in die Augen und fand keine Reaktion in ihnen. Ihr Blick war glasig. Er nahm ihren Kopf zwischen die Hände. Anborn berührte ihre Lippen mit den seinen und atmete Hitze in ihren Mund.
Leidenschaftslos stieß er die Luft aus und füllte ihre Lunge mit Wärme, die sich auch über ihr Gesicht ergoss. Nach einigen Atemzügen wartete er und suchte nach Anzeichen für eine Reaktion. Als er keine bemerkte, kehrte er zu seinen Bemühungen zurück, sie innerlich zu wärmen.
Kurz darauf öffneten sich Rhapsodys Augen flatternd und Anborn sah belustigt zu, wie sich ein Ausdruck der Überraschung auf ihr Gesicht legte, als sie sich Lippe an Lippe mit ihm wieder fand. »Bleib wach, oder ich muss es noch mal tun«, sagte er, zog ihr den Umhang über den Kopf und drückte sie gegen seine Brust, während er für sie beide und die Pferde einen Schutz vor dem Sturm suchte.
32
Viele elende Stunden später hielten die Tiere schließlich an und traten auf der Stelle, während sie allmählich zur Ruhe kamen. Die Nacht hatte sich schon vor langer Zeit gesenkt, und immer wenn Rhapsody einzuschlafen drohte, wurde sie schmerzhaft von Anborns Fingern wach gehalten, die sich scharf zwischen ihre Rippen bohrten, wobei er ihr hässliche Bezeichnungen in die klingelnden Ohren knurrte. Sie fiel in einen Zustand des Halbbewusstseins, konnte aber meistens auf seine Frage, ob sie wach sei, antworten. Schließlich kamen sie an einer dunklen Hütte an. Rhapsody erkannte kaum ihre Umrisse zwischen den Bäumen und im noch immer fallenden Schnee. Sie lag in der Waldlichtung so gut versteckt wie die Häuser der lirinschen Grenzwächter.
Die Tür und Läden der Hütte waren fest und massiv; auf den Oberflächen verliefen tiefe Kratzer. Anborn stieg ab und hob Rhapsody vom Pferd. Er warf sie sich wie einen Sack Mehl über die Schulter, während er seine Satteltasche abnahm. Dann trug er sie in die Hütte und setzte sie in einen großen, muffig riechenden Sessel. Er lief in dem Zimmer umher, öffnete das Abzugsrohr des Kamins und entfachte ein Feuer.
Rhapsody regte sich nicht und weigerte sich, den Umhang, der sie während der Reise warm gehalten hatte, auch nur ein wenig zu öffnen. Mit trüben Augen sah sie sich in dem Raum um. Die Wände waren kahl, und die kalte Luft schmeckte alt und abgestanden. In der Düsternis erkannte sie neben dem Sessel, in dem sie saß, ein Einzelbett und einen Tisch sowie Türen nach draußen und in einen anderen Raum, bei dem es sich möglicherweise um eine Abstellkammer handelte.
Einen Moment später füllte sich die Hütte mit schwachem Licht, als Anborn eine Laterne entzündete und das Feuer allmählich knisterte und aufloderte. Er verließ die Hütte und blieb einige Zeit fort. Rhapsody nutzte seine Abwesenheit und fiel in einen leichten Schlaf. Sie wurde rüde geweckt, als die Tür heftig zufiel. Anborn trat in den Raum und trug ein großes Fass, das wie ein Trog wirkte.
Nachdem er einigen Abfall herausgenommen und auf den Lehmboden geworfen hatte, stellte er das Fass vor den Kamin; dann verließ er das Zimmer erneut und kehrte mit einem großen schwarzen Topf zurück, den er über das Feuer hing. Ein drittes Mal ging er nach draußen. Während das Feuer kräftiger wurde, verspürte Rhapsody Schmerzen in den Gliedern, als diese langsam auftauten. Sie versuchte, Arme und Beine unter dem Umhang zu reiben, doch ihre Hände reagierten noch immer nicht. Panik überfiel sie. Da kam Anborn zurück.
Diesmal trug er zwei gewaltige Kübel und füllte das Fass vor dem Kamin. Dann ging er zu dem Topf über dem Feuer, nahm ihn vorsichtig mit einem Ledertuch ab, das seine Hand vor dem glühenden Griff schützte, und goss auch dieses Wasser in das Fass. Dampf stieg unter das Strohdach. Anborn ging hinüber zu Rhapsody, nahm ihr den Umhang fort, hob sie aus dem Sessel und steckte sie grob in das Fass.
Ein unterdrücktes Keuchen entwich ihr, und sie weinte tränenlos, als das heiße Wasser ihren noch frierenden Körper sprengte. Das Gefühl kehrte in ihre Gliedmaßen zurück, und Schmerz durchfuhr ihren Leib. Sie zitterte unbändig, als sich die Haut von den Zehen und Fingern abschälte, an die Wasseroberfläche stieg und zwischen den dünnen Schals umhertrieb, die sie immer noch trug.
Anborn verließ das Haus abermals ohne ein Wort oder einen Blick. Kurz darauf kam er mit neuem Wasser zurück, mit dem er den Topf über dem Feuer auffüllte. Dann trat er an das Fass, ragte über ihr auf und sah sie weinen. Er beugte sich zu ihr herunter, betrachtete sie kühl, streckte die Hand aus und zerrte an dem Schal, der kaum ihre Brust bedeckte.
»Zieh das aus«, sagte er und deutete auf den unteren Teil ihrer Kleidung, der teilweise zusammen mit Blättern, Zweigen und anderen Waldspuren auf der Wasseroberfläche schwamm. Rhapsody versuchte, den Stoff zu entfernen, doch sie konnte die Hüfte nicht hoch genug heben. Anborn griff ungeduldig in das Fass, zerrte den Schal los und warf ihn hinter sich auf den Boden. Sein Blick fuhr über ihren Körper und blieb so unbeteiligt, als schätzte er ein Tier auf einer Viehauktion ab. Dann ging er zurück zum Feuer und rührte den Topf um.
»Kehrt das Gefühl zurück?«, fragte er mit dem Rücken zu ihr.
»Ja«, schluchzte Rhapsody und versuchte, die Kontrolle über sich wiederzuerlangen. Sie sah zu, wie sich schwarze Haut von ihren Knien löste, in das Wasser glitt und rosafarbene Flecken hinterließ. »Wo ist der Gladiator?«
Anborn wandte sich um und schaute sie angeekelt an. »Du begreifst nicht, was Vorrang hat«, sagte er mit Verärgerung in der Stimme. »Du solltest dich fragen, ob wir deine Hände und Füße retten können. Dein Spielzeug ist dagegen völlig unwichtig.« Er hob den Topf vom Feuer, goss noch mehr dampfendes Wasser in das Fass und beobachtete mit grimmiger Befriedigung, wie Rhapsody erneut vor Schmerzen aufschrie.
»Das hört sich viel versprechend an«, bekundete er und hing den Topf wieder über das Feuer.
»Was wolltest du mich fragen?«
Rhapsody atmete flach und versuchte, den Schmerz unter Kontrolle zu halten, der sie bis auf die Knochen durchströmte. »Bitte, Anborn«, stammelte sie, »wo ist er?«
Anborn sah sie wieder an; seine Augen waren dunkel und durchdringend. Schließlich verschränkte er die Arme vor der Brust und sagte scharf: »Er ist im Vorratskeller. Ist er dein Liebhaber?«
Das Geschehen in Sorbold durchflutete sie wieder, und die schiere Ironie seiner Frage überwältigte sie. Ekel, den sie bis her unterdrückt hatte, überschwemmte sie. Sie zuckte vor Schmerzen und der Erinnerung an die vergangenen Ereignisse zusammen.
Sie hatte versucht, die Gefühle zurückzuhalten, und gehofft, warten zu können, bis sie in Oelendras starken Armen lag, doch der Schock war zu groß und ihre Verteidigung zusammengebrochen. Sie weinte laut. Das Grauen, das sie in der Umarmung durch den Gladiator empfunden hatte, vermischte sich mit ihren körperlichen Schmerzen. Anborn drehte sich rasch wieder zum Feuer um, nahm den Kessel, doch diesmal goss er das Wasser langsam am Rand des Fasses ein.
Als er fertig war, legte er ihr eine Hand auf die Schulter. »In Ordnung«, sagte er. Seine Stimme war schroff, aber nicht gänzlich unfreundlich. »Das reicht. Du kannst später weinen; es beleidigt meine Ohren. Ich sehe das als Nein an. Warum also hast du diese eselhafte Entführung begangen?« Er griff in das Wasser, nahm eine Hand voll und goss es über ihre Schultern und die Teile ihres Körpers, die sich oberhalb der Wasserfläche befanden. Rhapsodys Blick klärte sich ein wenig und wanderte von dem Raum zu dem Mann, der sie badete. Beide waren sehr karg. Die Hütte in der Wildnis wirkte mit ihren Lehmwänden und ohne jeglichen Schmuck so wie Anborn selbst. Sie bekam einen Schluckauf und sah zu, wie er Fetzen abgestorbener Haut aus dem Wasser fischte und auf den Lehmboden hinter ihm warf. Dann packte er ihre Schultern und hob sie so weit aus dem Fass, dass ihr Kopf über Wasser blieb, so wie sie selbst es getan hatte, als sie die Kinder des F’dor vor Oelendras knisterndem Kaminfeuer gebadet hatte.