Anborn lächelte. Es war das erste Mal, dass Rhapsody dabei keine sarkastische Note feststellte. Jetzt gefiel ihr der Ausdruck seines Gesichts. »An dir ist nichts gewöhnlich, Rhapsody. Es ist mir eine Ehre, dass ich dir helfen durfte. Ich glaube, jetzt ist dir warm genug. Warum legst du dich nicht hin und schläfst ein wenig?« Er deutete auf das Bett.
»Nur wenn du mir versprichst, deine Knöchel von meinen Rippen fern zu halten«, sagte sie grinsend. Das Feuer brannte sicher und ruhig. Sie ging hinüber zum Bett, das aus einer Heumatratze und einem wollenen Laken bestand, und ließ sich langsam darauf sinken. »Und wenn du mir versprichst, mich für meine Wache zu wecken. Schließlich solltest du ebenfalls auf diesem Bett etwas Schlaf finden.«
»Wir werden sehen«, sagte Anborn unverbindlich, während er eine Flasche aus seinem Gepäck zog. Er gab sie ihr, und sie nahm einen tiefen Schluck. Sie hustete, als die Flüssigkeit ihr die Kehle verbrannte.
»Was, um alles in der Welt, ist das für ein Hrekin?« Sie reichte ihm die Flasche zurück und wischte sich mit dem Ärmel der grünen Tunika die Schweißperlen von der Stirn.
Anborn lachte. »Glaub mir, das willst du nicht wissen.«
Rhapsody sah neugierig den grünen Ärmel an. »Es hat nicht den Anschein, dass es mir besonders gut passt. Wem gehört es?«
»Es hat meiner Frau gehört«, sagte Anborn und setzte sich in den muffigen Sessel. »Sie würde nichts dagegen haben, dass du es trägst. Sie ist schon seit elf Jahren tot.« In seiner Stimme lag keine Spur von Bedauern. »Übrigens steht es dir viel besser.«
Rhapsody erschrak über die Gefühllosigkeit dieser Bemerkung. »Es tut mir sehr Leid«, sagte sie und suchte in seinen Augen nach Spuren tieferer Trauer. Sie fand keine.
»Nicht nötig«, antwortete er unverblümt. »Wir haben uns nicht sehr gern gehabt. Wir haben nicht zusammen gelebt, und ich habe sie nur selten gesehen.«
Rhapsody biss in den Apfel. Er war trocken, mehlig und verschrumpelt und hatte eine schwere Süße, die von reiferen, schöneren Tagen kündete. Diese Ironie machte sie traurig.
»Aber du musst sie früher einmal geliebt haben«, sagte sie und fühlte sich auf gefährlichem Boden, doch sie musste es wissen.
Anborn lächelte sie an und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er einfach. »Für eine so kluge Frau kannst du bezaubernd naiv sein, Rhapsody.«
Das Zittern in Rhapsodys Körper war zu einem milden, gelegentlichen Zucken geworden; sie spürte, wie Kraft und Wärme zurückkehrten. »Warum habt ihr dann geheiratet?«
Anborn nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Sie war eine hübsche Frau aus einer alten Familie, und sie hatte hohe Grundsätze. Falls sie mich je betrogen hat, habe ich es nie erfahren, und ich glaube, es wäre mir nicht unbekannt geblieben. Ich habe ihr ebenfalls bis zu ihrem Tod die Treue gehalten.«
Rhapsody wartete, aber es folgten keine weiteren Bemerkungen. »Das ist alles?«, fragte sie erstaunt. »Warum?«
»Eine verständliche Frage«, sagte Anborn, während er sich die Stiefel auszog. »Ich fürchte, ich habe keine Antwort darauf.«
»Hattet ihr Kinder?«
»Nein«, sagte er. Der Ausdruck seiner Stimme änderte sich nicht. »Es tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, Rhapsody. Du kennst sicherlich meine Familie und weißt, dass wir nicht gerade eine sehr romantische Geschichte haben.
All dieses phantasievolle Gewäsch über meine Großeltern ist nichts als Phrasendrescherei. Merithyn wurde von Elynsynos verführt, weil die menschliche Gestalt, die sie absichtlich angenommen hatte, derjenigen entsprach, die er tief in seinem Herzen als anziehend empfand und der alte Knabe außerdem jahrelang auf See gewesen war. Sie hätte sich in ein Schaf verwandeln können, und er hätte sie trotzdem besprungen.«
Er blickte hinüber zu Rhapsody und lachte laut auf, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Es tut mir Leid, meine Liebe, wenn ich deine Idealvorstellungen zerstöre. Und als ob das nicht reichen würde, kann ich dir auch noch versichern, dass es auf Elynsynos’ Seite keine Liebe war. Er war der erste Seren, den sie je gesehen hatte, und sie wollte die Kontrolle über ihn haben.
Von Anfang an hatten geschlechtliche Liebe und Paarbildung in unserer Familie etwas mit Macht und Kontrolle zu tun, und so ist es bis heute geblieben. Ich kann nicht vorhersehen, wann sich das ändern wird. Du musst wissen, dass Drachenblut dominant ist.« Rhapsody seufzte tief, denn sie wusste aus persönlicher Erfahrung, wie wahr seine Worte waren. »Es tut mir wirklich Leid, dich zu enttäuschen. Ich hoffe, meine Bemerkungen über Merithyn haben dich nicht beleidigt.«
Sie legte sich langsam auf das Bett zurück und bemerkte erst jetzt, wie erschöpft sie war.
»Warum sollte ich beleidigt sein? Er war dein Großvater. Außerdem wäre es viel schlimmer, wenn du Achmed wärest. Ich könnte es allerdings nicht ertragen, wenn du mir von einer mythischen Person berichten würdest, deren geschlechtliche Neigung auf Bäume mit Astlöchern in passender Höhe gerichtet ist. Deshalb werde ich jetzt schlafen, falls du nichts dagegen hast.«
Anborn lachte brüllend. »Ich glaube, das ist eine sehr kluge Idee. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn du völlig ernüchtert wirst. Außerdem hast du ein paar ziemlich harte Tage hinter dir, nicht wahr? Ruh dich aus; morgen früh wer den wir Weiterreisen. Heute Nacht werde ich mich um deinen Gladiator kümmern, und morgen machen wir uns auf den Weg zu Oelendra.«
Rhapsody war bereits eingeschlafen. Das Feuer prasselte die ganze Nacht hindurch; es loderte in der Dunkelheit und Stille dieses abgeschiedenen Ortes immer stärker.
33
Herzog Stephen griff hinter die Flaschen in der ersten Reihe des Regals und tastete herum, bis er den Reservebranntwein fand.
»Hier«, sagte er und gab Ashe in der Dunkelheit die Flasche. »Das hast du früher sehr gemocht.«
Ashe lächelte. »Ich muss dir glauben, denn sehen kann ich nichts.« Sein Drachensinn hatte den Branntwein bereits abgeschätzt, wie auch alle anderen Tropfen in Stephens Keller. Stephen hatte eine kluge und großzügige Wahl getroffen.
»Natürlich ist er aus Canderia«, sagte Stephen und nahm die Flasche zurück. »Er hat eine schöne Farbe und eine ausgezeichnete Blume. Du wirst ihn im Schein des Feuers noch mehr schätzen.«
»Nein«, sagte Ashe brüsk. Seine Stimme war harscher, als er beabsichtigt hatte, und er spürte, wie Stephen zusammenzuckte. »Es tut mir Leid. Lass uns einfach hier miteinander reden.«
Stephen zuckte die Achseln. »Es ist dein Geburtstag. Wenn du ihn mit den Ratten in meinem Weinkeller verbringen möchtest, soll mir das recht sein.«
»Hier fühle ich mich wohl«, kicherte Ashe. »Du kennst doch meine Familie.«
Stephen lachte, setzte sich auf ein großes Fass und lehnte sich gegen die feuchte Wand. Er zog eine Branntweinflasche minderer Qualität aus dem vorderen Regal, entkorkte sie und nahm einen tiefen Schluck.
»Ich fürchte, ich habe hier unten keine Gläser. Du musst dein Geburtstagsgeschenk aus der Flasche trinken, aber daran bist du als Barbar ja gewöhnt.«
»Ich würde es sogar dann tun, wenn du Gläser hier unten hättest.« Ashe zog den Korken vorsichtig aus der Flasche und war überrascht, wie natürlich er diese Technik des Kenners nach zwei Jahrzehnten der Erfrischungen in Waldbächen und Straßenrinnsalen noch beherrschte. Er hielt die Flasche unter die Nase und sog die reiche Blume ein. »Ah, Stephen, du bist viel zu gut zu mir.«
»Wahrere Worte wurden nie gesprochen. Trink und erzähl mir, was vorgefallen ist.«
Ashe setzte sich auf ein Fass neben Stephen. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Widerwillig holte er die schrecklichen Erinnerungen zurück, die Rhapsody aus seinem Inneren vertrieben hatte. Er versuchte mit all seinen Sinnen herauszufinden, ob er Stephen vertrauen konnte; im Hinterkopf flüsterte der Verfolgungswahn des Drachen ihm unablässig Warnungen zu. Trotzig zerschmetterte er sie.
»Es war in der ersten Nacht des Sommers.« Ashe verstummte plötzlich, als die Erinnerungen ihn überfluteten. Stephen saß schweigend da, während die Stille seinen Freund verschluckte. Als der Herzog schließlich sprach, lag ein scherzhafter Ton in seiner Stimme.