Выбрать главу

»Deswegen ist es dir möglich gewesen, dich so lange zu verstecken.« Herzog Stephen stand auf und ging auf die Tür zu.

Ashe folgte ihm. »Ja.« Als sie durch die Tür von Melisandes Zimmer schritten und hinaus in den Korridor traten, blieb er stehen. »Wer schläft im Zimmer gegenüber von Melly?«

Stephen hielt ebenfalls inne. »Rosella, das Kindermädchen. Warum?«

»Sie hat eine beträchtliche Menge Natterblume in ihrem Besitz. Das ist ein tödliches Gift.«

Stephens Gesicht wurde schlaff. »Woher weißt du das?«, flüsterte er und warf einen Blick zurück auf seine Tochter.

Sag es ihm nicht, beharrte der Drache in ihm heftig. Sag es ihm nicht! Ashe schluckte. »Meine Sinne sind geschärft«, sagte er leise. »Ich kann es riechen.« Es war nur eine kleine Lüge; offenbar hatte Stephen vieles von seinen Kräuterlektionen bei Lark vergessen. Natterblume hatte weder Geruch noch Geschmack.

»Kann man es noch für etwas anderes verwenden?«

Ashe zuckte die Schultern. »In geringen Mengen ist es ein Fixiermittel für Kleider färben. Weber geben es Farbstoffen wie Lavendel oder Butternuss bei, damit der Stoff die Farbe behält.«

Stephens besorgter Gesichtsausdruck lockerte sich ein wenig; er seufzte erleichtert auf. »Das ist unzweifelhaft der Grund«, sagte er. »Rosella ist eine begabte Näherin und stellt viele Kinderkleider selbst her. Für einen Moment hast du mir einen schönen Schrecken eingejagt, alter Knabe. Aber Rosella würde den Kindern niemals etwas antun. Dessen bin ich mir sicher.«

Ashe lächelte seinen besten Freund an. »Es tut mir Leid. Äußerstes Misstrauen gegenüber jedermann und allem ist das Einzige, was mir in all den Jahren das Überleben ermöglicht hat. Wenn ich wieder ein normaler Mensch werden will, muss ich all das wohl hinter mir lassen.«

»Allerdings. Komm, meine Gemächer liegen in dieser Richtung.«

Als sie Stephens Schlafzimmer erreicht hatten, ging Ashe zur Balkontür und spähte aus dem Fenster.

»Deine Mauer sieht aus, als hätte sie etwas gelitten«, sagte er trocken. »Schlimmer Winter?«

Der Herzog von Navarne lehnte sich gegen seinen Schreibtisch. »Hast du vom Sonnenwendfest gehört?«

Ashe nickte und schaute weiter hinaus in die Dunkelheit. »Ja. Es tut mir Leid, Stephen.«

Stephen nickte. »Dann weißt du auch, dass Tristan den Oberbefehl über das Heer an sich gerissen hat?«

»Ja.«

Der Herzog rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger.

»Hast du vor, etwas gegen ihn zu unternehmen? Jetzt, wo du zurück bist?«

Ashe kicherte. »Warum sollte ich das tun?«

»Weil ... nun, weil man immer angenommen hat, du würdest derjenige sein, der Roland wiedervereinigt. Du bist dafür geboren.«

Ashe lachte und drehte sich nach seinem Freund um.

»Nun, das würde einige interessante Namensspiele ermöglichen«, sagte er. »Wie gefällt dir ›König Gwydion der Tote‹? Nein? Was ist mit ›der tot Gewesenem ›Der Nichtmehr-Tote‹?

›Der Untote‹? Wohl kaum.« Er nahm seine Handschuhe aus den Manteltaschen und zog sie an. »Vielen Dank für den Geburtstagstrunk.«

»Du willst schon gehen?«, fragte Stephen mit tiefer Enttäuschung in der Stimme. Ashe nickte und legte seinem Freund ein letztes Mal die Hand auf die Schulter. »Ich muss. So wie ich heute Nacht herkommen und dir sagen musste, was wirklich geschehen ist.«

»Es gibt noch so vieles, was ich wissen will«, meinte Stephen. Verzweiflung umwölkte seine blaugrünen Augen. »Wann kommst du zurück?«

»Sobald ich kann. Ich wünschte, ich könnte einen genauen Zeitpunkt angeben. Stephen, du sollst wissen, dass ich in all den Jahren immer an dich gedacht habe. Zu sehen, dass es dir gut geht und du in Sicherheit bist, ist ein großer Trost für mich. Es wird der Tag kommen, an dem wir uns wir wieder in aller Öffentlichkeit zusammen zeigen können.«

Der Herzog lächelte. »Ich hoffe, er kommt bald. Dein Namensvetter wird allzu schnell erwachsen. Sein Pate sollte ihm ein wenig bei der Ausbildung und der seiner Schwester helfen. Er braucht dich, Gwydion. Ich brauche dich auch; zwischen den beiden werde ich jeden Tag ältlicher und schwächer.«

Ashe lachte und umarmte seinen Freund. Er ließ ihn ungern wieder los. »Wenn das hier vorbei ist, können wir das Leben wieder genießen. Wir werden dort weitermachen, wo wir damals aufgehört haben; wir werden große Taten vollbringen, ein heldenhaftes Leben führen, außergewöhnliche Frauen lieben, und...«

»... man wird uns in ganz Roland Statuen errichten«, beendete Stephen das Motto ihrer Jugend und lachte. Als sich ihre Blicke trafen, löste sich sein breites Grinsen in ein schwaches Lächeln auf. Es war seltsam, dass sie diese Ziele aus der Kindheit bereits erreicht und wieder verloren hatten; es war ein schmerzlich hohles Gefühl. »Ich bin inzwischen eher dafür, dass wir uns in meine Küche setzen, nachdem die Köche zu Bett gegangen sind, die Brotkanten essen und bis in den Morgen hinein reden, so wie wir es früher getan haben.«

»Darauf freue ich mich«, sagte Ashe. »Wir können für den Rest unseres Lebens die Freuden des Gewöhnlichen genießen. Wir kommen sowieso schon bald ins Greisenalter. Wir können uns in deinem Weinkeller verstecken, uns fein betrinken und die Geschichten erzählen, die alle anderen zu Tode langweilen würden.«

»Abgemacht.« Stephens Miene wurde ernst. »Du sollst wissen, dass ich immer bereit bin, dir zu helfen, wenn du mich brauchst, Gwydion. Das Land befindet sich am Rande eines Krieges. Vielleicht erspart deine Rückkehr vom Tod dem Land seinen eigenen Untergang.«

»Lebe wohl, Stephen«, sagte Ashe. »Pass vor allem auf dich und deine Kinder auf. Wir werden uns bald wieder sehen.« Er öffnete die Balkontür und war rasch verschwunden. Stephen starrte hinaus in die Finsternis und den treibenden Schnee, während der beißende Wind ihn umheulte und durch die Fenster und Türen von Haguefort peitschte.

34

Ylorc

Soeben wurden die Fackeln in den dunkelnden Gängen des Kessels angezündet, als Greevus an die Tür des Versammlungsraumes hinter der Großen Halle klopfte. Achmed sah nicht von seiner Landkarte auf, die er schon seit einiger Zeit betrachtete; aber Grunthor winkte ihn herein und wandte sich dann ebenfalls wieder der Karte zu.

Greevus wartete schweigend, während sich der Sergeant-Major weiter mit dem König unterhielt. Schließlich rollte Achmed die Landkarte zusammen; Verärgerung lag in seinen schroffen Bewegungen.

»Ja?«

Greevus räusperte sich. »Mein Herr, ein Vogel ist im Grivven-Posten mit einer Botschaft für Euch angekommen. Scheint etwas Seltsames zu sein.«

Zum ersten Mal, seit der General den Raum betreten hatte, sah der König auf. Er richtete kurz seinen verwirrten Blick auf Greevus und streckte dann eine behandschuhte Hand aus. Der Soldat legte den Fetzen Ölpapier in die Hand des Königs und zog sich in die tanzenden Schatten des großen Kamins zurück.

Achmed und Grunthor wechselten einen raschen Blick; dann schritt der Sergeant-Major zum Kamin hinüber, nahm einen Holzscheit vom Stapel und entzündete ihn mit einem Funken aus der Feuerstelle. Er kehrte zum Tisch zurück und brachte damit eine Lampe zum Brennen, während der König das kleine Stück Ölpapier entrollte, sich darüber beugte und es betrachtete. Einen Augenblick später las er es laut vor.

An König Achmed von Ylorc

Eure Majestät!

In großer Sorge habe ich Rs Geschichte über die schreckliche Krankheit gehört, die Euer Volk befallen und Euch auf tragische Weise Eures Heeres beraubt hat. Ich spreche Euch meine Anteilnahme aus und biete jegliche Hilfe an, die Ihr in medizinischer Hinsicht oder bei den Begräbnissen benötigt.

Llauron, Fürbitter Gwynwald

Der König und der Sergeant sahen sich erneut an; dann entließ Grunthor Greevus mit einem Nicken. Der General verneigte sich und schloss die Tür hinter sich.