»Wir werden auf Kinder verzichten«, sagte er mit einer Stimme, die von Trauer angerührt und schwach vor Erleichterung war. »Rhapsody adoptiert jedes Kind, das ihre Hilfe benötigt. Wir werden also nicht kinderlos sein. Es wird mehr als genug Liebe in unserem Leben geben, mit ihnen oder ohne sie.«
»Das ist keine Wahlmöglichkeit«, sagte Llauron kalt. »Du weißt es inzwischen besser. Du hast die Verantwortung, einen Erben zu zeugen, und er muss von deinem Blut sein. Wie könnte ein Kind ohne cymrische Abstammung ein so mächtiges Volk regieren? Du hast die Gnade, von der Linie MacQuieths abzustammen, das Blut der Seren-Könige und die elementaren Bande des Drachen zu besitzen. Wer sonst könnte sicherstellen, dass die Menschen in Frieden leben? Wer sonst könnte den Schaden wieder gutmachen, der von deinen Großeltern angerichtet wurde?«
Ashe spürte, wie die Erleichterung gleich einer Eierschale über ihm auseinander brach.
»Manwyn.«
»Wie bitte?«
»Manwyn. Sie hat es bereits vorhergesagt. Sie hat mir ganz deutlich gesagt, dass die Mutter meiner Kinder bei deren Geburt nicht sterben wird, obwohl meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist. Sie ist außer Gefahr, Vater. Rhapsody ist sicher. Die Seherin hat es gesagt.«
Llauron dachte nach. »Woher willst du wissen, dass sie Rhapsody gemeint hat?«
Wut funkelte in Ashes Augen. »Wie ich dir schon gesagt habe, werde ich keine andere Frau als sie haben. Keine andere Frau wird meine Kinder empfangen; daher ist sie nicht in Gefahr.«
Llauron seufzte. »Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit mit dir, Gwydion. Daher will ich meine letzten Ratschläge an dich sorgfältig auswählen und hoffen, dass du einmal auf mich hören wirst. Nimm dich vor Prophezeiungen in Acht; sie sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen. Die Gabe, in die Zukunft zu sehen, ist oft den Preis der Irreführung nicht wert.«
»Vielen Dank für diesen Ratschlag. In der Zwischenzeit höre ich auf, in den Schatten der Angst zu leben, und nehme, was mir rechtmäßig gehört.«
»Gut, gut.« Llauron rieb sich die Hände, als wolle er sie wärmen. »Das ist schon besser. Ich freue mich zu sehen, dass du wieder zu dir kommst und Frieden mit deiner Bestimmung schließt.«
Ashe lächelte unter seiner Kapuze. »Das ist überhaupt nicht das, was ich gemeint habe. Was mir rechtmäßig zusteht, ist mein eigenes Leben, und ich habe lange genug gelebt, ohne selbst darüber entscheiden zu können. Ich werde meine Bestimmung ehren und meinen Verpflichtungen nachkommen, so gut es mir möglich ist. Ich werde alles tun, um Rhapsody zu meiner Frau und der Herrin der Cymrer zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Bessere dafür gibt das hast du selbst gesagt.«
Llauron seufzte. »Du hast Recht, das habe ich gesagt, oder? Ein Wort der Warnung noch:
Erinnere dich an deine Großeltern. Erhebe niemals die Hand gegen sie und lasse niemals zu, dass eure persönlichen Streitereien Auswirkungen auf eure Untertanen haben.«
»Natürlich nicht.« Ashe war zutiefst beleidigt, auch wenn er es nicht zeigte.
»Also gut. Da du darauf bestehst und die Zeit knapp wird, möchte ich dir hiermit meinen Segen geben.«
Ashes Kinn klappte herunter. »Wie bitte?«
Llauron lächelte, aber in seiner Stimme lag eine Spur von Verärgerung. »Verdirb nicht diesen zärtlichen väterlichen Augenblick, Gwydion. Knie nieder.«
Ashe kniete sich vor ihn, und Llauron legte eine Hand auf die kupfernen Locken; etwas Sehnsüchtiges lag in seinem Blick. »Sei vor allem glücklich. Achte und ehre Rhapsody.«
Ashe wartete, doch es kam nichts mehr. »Ist das alles?«, fragte er schließlich. »Keine Belehrungen?«
Llauron lachte. »Nein, keine Belehrungen. Ich habe dir gesagt, dass die Zeit knapp wird. Zu viele Worte verwässern die Bedeutung. Ich will wirklich, dass du glücklich bist, und wenn du das tust, was ich dir vorgeschlagen habe, wirst du es sein. Wie wäre es mit etwas Branntwein? Es gibt einen Aspekt am Menschsein, den ich vermissen werde: dann und wann ein gutes Glas dieses Elixiers.«
Ashe ging mit ihm zum Schrank, und das warme Licht des Sonnenuntergangs malte die Umrisse des Fensters rosafarben und golden auf den Boden.
»Vater, du musst nicht ohne das leben, nur weil du ein Drache bist. Ich kenne einen Ort, an dem ich dir einen großen Trog machen lassen kann. Es sollte dir möglich sein, von Zeit zu Zeit einen guten Schluck zu nehmen.«
»Barbar.« Die Wachen vor der Tür hörten Lachen nach draußen dringen und seufzten.
37
Gerald Owen, der Kammerherr von Haguefort, war auf dem Weg zu seinem Schlafgemach und wollte sich für den Abend zurückziehen. Dabei kam er an der Tür zur Bibliothek vorbei. Obwohl die Doppeltür geschlossen war, blies ein eisiger Windstoß unter ihr hervor. Gerald blieb erstaunt stehen und legte die Hand gegen die Mahagonitäfelung. Sie war eiskalt.
Vielleicht ist der Herzog noch auf, dachte er, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Herzog Stephen hatte sich bereits vor einigen Stunden zurückgezogen, da er Ruhe brauchte, um früh am nächsten Morgen zusammen mit dem Befehlshaber seines Regiments die neu wieder aufgebauten Kasernen und die Mauer zu besichtigen.
Gerald öffnete die Tür.
Die kalte Luft stach ihm in Gesicht und Haut. Gerald war zwar kein alter Mann, hatte aber die Jugendjahre schon lange hinter sich gelassen und war schon anfällig für die Schmerzen geworden, die seinen Vater in dessen späteren Jahren geplagt hatten. Wie sein Vater beschwerte sich auch Gerald nie und sah jedes Zucken und jeden Stich als etwas an, das er still und in Würde zu erdulden hatte, damit er nicht die Aufmerksamkeit des Herzogs oder des ihm anbefohlenen Hauspersonals auf sich zog. Dieselbe Verhaltensweise verlangte er allerdings auch von seinem Personal.
Der riesige, dunkle Raum war mit Schatten und Balken aus weißem Licht erfüllt, die durch die hohen Fenster hereinfielen und Widerspiegelungen des Schnees waren. Diese sich auftürmenden Schatten tanzten zur Musik des Windes über die Möbel. Ein unharmonisches Jammern stieg und fiel, als der Wind um die Festung fegte und wild mit den Vorhängen der offenen Balkontür spielte. Der Kamin war kalt und dunkel, die Asche tot.
Gerald betrat leise die Bibliothek und schloss die Tür. Das Heulen des Windes verringerte sich ein wenig, und die Vorhänge beruhigten sich; anstatt zu flattern, raschelten sie nur noch. Seine Schritte wurden von dem heulenden Wind verschluckt, während er quer durch den großen Raum zur Balkontür ging. Dabei wanderte er abwechselnd über dichte Seidenteppiche und breite Felder aus Schneeschatten, die auf dem polierten Marmor schimmerten. Als er die Tür erreicht hatte, schaute er hinaus auf den Balkon. Die Steinbänke waren hoch mit reinem Schnee bedeckt, genau wie das Steingeländer, das mit reichen Verzierungen geschmückt war und den halbrunden Balkon umschloss. Der Schneeteppich auf dem Boden des Balkons jedoch war von zahlreichen Tritten aufgewühlt, die kaum größer als die eines Kindes waren. Die Abdrücke der Zehen erinnerten ihn an die eines verzweifelten Kätzchens; sie führten mehrfach zum Rand und wieder zurück. Niemand befand sich auf dem Balkon. Gerald eilte hinaus in die bitterkalte Nacht, bedeckte die Ohren mit den Händen und sah hinunter auf den Boden. Der Schnee auf den Tannen und im Hof war unversehrt; es hatte sich eine glatte und klare Eisschicht gebildet, die von Kristallen aus den beharrlichen Windstößen bestäubt wurde. Der Kammerherr stellte beruhigt fest, dass niemand hinuntergefallen war, und eilte zurück in die Bibliothek, schloss die Balkontüren und verriegelte sie. Die Schreie des Windes verklangen zu einem fernen Gejammer.
Gerald Owen nahm sein Taschentuch heraus. Er bückte sich langsam und wischte die Schneekristalle auf, die sich auf dem Boden der Bibliothek angesammelt hatten, während die Tür offen stand.