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»Und du weißt nicht, wer meine Mutter war?«

»Nein.« Sie erkannte die Enttäuschung in seinem Gesicht. »Ich wünschte, ich würde sie kennen. Du siehst, sie war ein unschuldiges Opfer. Es ist durchaus möglich, dass sie die Frau aus deinem Traum ist jemand, der dich sehr geliebt hat, trotz allem, was sie bei... bei deiner Geburt erlitten hat.«

Constantin sah durch das Fenster in die Dunkelheit. Während sie geredet hatten, war die Nacht herangekommen, und nun war das stille Tal in Finsternis gehüllt. »So unwahrscheinlich das alles klingt, ich glaube dir.«

Sie streichelte ihm die Hand. »Ich wünschte, ich könnte es dir leichter machen. Ich habe einmal geglaubt, ich hätte die Macht dazu.«

»Und wieso glaubst du das nicht mehr?«

Rhapsody atmete langsam aus. »Wegen des Todes meiner Schwester. Sie war eigentlich nur eine Freundin. Sie war die erste Person in diesem Land, der ich zu helfen versucht habe, und das hat sie umgebracht. Wenn ich sie in ihrem Leben auf der Straße in Ruhe gelassen hätte, würde sie jetzt noch leben.«

Der Gladiator drehte sich um und sah sie an. »Woher willst du das wissen?« Rhapsody blinzelte. »Jeden Tag sterben Straßenratten. In Sorbold habe ich viele davon mit meinem Schwert niedergemacht, nur weil sie sich mir in den Weg gestellt haben. Bestraf dich nicht selbst, Rhapsody. Wenigstens hast du den Versuch gemacht, sie zu retten. Das ist mehr, als die meisten Leute tun würden.«

»Und was ist mit dir? Vergibst du mir für die Schmerzen, die ich dir zugefügt habe, weil ich dich retten wollte? Bist du bereit, den Scherbenhaufen zusammenzufegen, den meine guten Vorsätze hinterlassen haben?«

Constantin seufzte. »Rhapsody, in meinem ganzen Leben hat noch nie jemand versucht, mir zu helfen. Ich verstehe nicht, warum du es tust, und kann erst recht nicht ausdrücken, was ich dabei fühle. Wenn du damit meinst, dass meine Hände einfach zittern, wenn du in meiner Nähe bist und jede Sekunde, die du länger hier bleibst, mehr in Gefahr gerätst, so ist das meine eigene Angelegenheit.

Nachdem der Fürst und ich uns über meine Zukunft unterhalten haben, ist es für mich weitaus wichtiger, dass ich dir keine Schmerzen zufüge. Das ist eine große Klemme. Ich habe das Gefühl, dass es besser für mich wäre, wenn ich dich nie wieder sehe, weil das der einzige Weg ist, kein Verlangen mehr nach dir zu haben. Aber gleichzeitig brauche ich dich, und sei es nur zum Reden; ansonsten gibt es hier niemanden. Vielleicht vergisst du mich am besten und überlässt mich mir selbst. Aber eines kann ich dir versichern: Jetzt geht es mir weitaus besser, als wenn du nicht versucht hättest, mir zu helfen. Ewige Verdammnis ist vielleicht das Schicksal, das ich verdiene, aber ich möchte es trotzdem gern umgehen.«

»Was auch immer geschehen wird, ich kann dir versprechen, dass ich dich nie vergessen werde, Constantin.« Rhapsody wünschte, sie könnte ihn umarmen. Sie hätte es so gern getan, aber sie durfte ihn nicht noch mehr enttäuschen. Der Ursprung ihrer Beziehung war Sex gewesen. Trotz ihrer gegenteiligen Auffassung hatte sie ihn dazu gebracht, sie besitzen zu wollen, und sie war erfolgreich gewesen. Es stand zwischen ihnen wie eine versperrte Tür, und so würde es bis zum Ende bleiben.

Sie dachte daran, sich ihm hinzugeben. So etwas hatte sie schon früher getan; sie hatte aus weitaus geringeren Gründen mit Männern geschlafen, die sie nicht gekannt oder sogar gehasst hatte. Sie könnte sich Constantin hingeben; es würde die Heilung erleichtern, die notwendig war, um die Dinge zwischen ihnen zurechtzurücken.

Dieser Gedanke drückte ihr Herz wie ein Schraubstock. Sie würgte. Ashes Gesicht erschien vor ihrem inneren Auge. Er lächelte sie auf eine Art an, die sie nie zuvor an ihm wahrgenommen hatte. Aber Ashe war nicht mehr ihr Liebhaber; er würde bald einer anderen gehören. Es war an der Zeit, ihn für immer aus ihrem Herzen zu vertreiben.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Constantin, ich muss etwas holen. Ich bin gleich zurück.« Er sah ihr überrascht zu, wie sie von dem Stuhl aufsprang, zur Tür rannte und in den mondhellen Schatten des Waldes verschwand.

41

Kurze Zeit später kehrte sie mit Armen voller parfümierter Kerzen zurück, und ihre Laute hing ihr über dem Rücken. Constantin öffnete die Tür und fing einige der Kerzen auf, die ihr aus den übervollen Händen fielen. Sie waren ein Geschenk der Fürstin Rowan aus der vergangenen Nacht. Etwas, um deine Traume zu verbessern, hatte sie gesagt. Rhapsody hatte vor dem Einschlafen einige der zartfarbigen Kerzen entzündet und festgestellt, dass ihre Träume süß und frei von Nachtmahren waren, so wie es gewesen war, als sie in Ashes Armen oder bei Elynsynos in deren Höhle geschlafen hatte. Außerdem waren die Träume von ihrer Heimat klar und eindringlich gewesen und hatten bei ihr nach dem Erwachen das Gefühl zurückgelassen, tatsächlich die Familienmitglieder besucht zu haben, von denen sie geträumt hatte. Sie hatte ihren Vater gesehen und umarmt, dazu all ihre Brüder und viele ihrer Freunde, doch ihre Mutter hatte sich ihr entzogen; Rhapsody war über die Felder ihrer Heimat gewandert und hatte vergeblich nach ihr gesucht.

»Es scheint genug Mondlicht herein«, sagte Constantin, als sie die Kerzen auf den Nachttisch stellte.

»Sie sind nicht da, um Licht zu spenden, sie sind für deine Träume«, erklärte Rhapsody. Sie berührte die größte Kerze und sah zu, wie die Flamme hochzuckte. Als sie alle anderen angezündet hatte, bemerkte sie, dass der Gladiator sie im sanften Glanz des Kerzenlichts anstarrte. »Die Fürstin wird auch Yl Breudivyr genannt die Wächterin der Träume und des Schlafes. Unter ihrem Auge scheinen die Träume in diesem Reich wirklicher als gewöhnlich zu sein. In der anderen Welt sind es nur Bruchstücke dessen, was in dieser Welt geschieht. Hier ist es, als würde man das, wovon man träumt, tatsächlich erleben.«

»Wozu dienen dann die Kerzen?«

Rhapsody lächelte. »Ich weiß nicht, woraus sie bestehen, aber sie könnten dabei helfen, die Wiedervereinigung beinahe greifbar zu machen.«

»Die Wiedervereinigung?«

»Ja. Hast du nicht gesagt, du träumst jede Nacht von deiner Mutter?«

Sorge und noch tiefere Empfindungen erfüllten Constantins Gesicht. »Unter anderem.«

»Nun, diese Kerzen halten die unangenehmen Träume in Schach und holen diejenigen hervor, in denen dein Herz spricht. Wenn du es mir erlaubst, spiele ich auf der Laute, während du einschläfst. Vielleicht kann ich den Traum ermuntern, eine Weile bei dir zu bleiben. Ich kann die Kerzen länger als gewöhnlich brennen lassen; das gibt dir mehr Zeit mit deiner Mutter. Meine Lehrerin hat immer gesagt, dass Erinnerungen die erste und stärkste Lektion sind, weil du sie dir selbst gibst. Nur du hast diese Erinnerung die Erinnerung an deine Mutter. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir sie möglicherweise herbringen, wenn auch nur für ein paar Augenblicke.«

Der durchdringende Blick kehrte zurück. »Das würdest du für mich tun?«

»Nur, wenn du es willst. Ich will nicht, dass du dich unwohl fühlst.«

Constantin lächelte. »Ich fühle mich geehrt«, sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin bestimmt nicht derjenige, der sich dabei unwohl fühlen wird.«

Der Gladiator schlief schon seit mehr als einer Stunde. Die Kerzen brannten hell, doch Rhapsody bemerkte noch keine Anzeichen eines Traumes. Er lag auf der Seite zusammengerollt in dem großen Bett und schnarchte leicht. Rhapsodys Finger verkrampften sich leicht. Es hatte eine Weile gedauert, bis er eingeschlafen war. Der Geruch der Traumbringenden Kräuter, die sie mitgebracht hatte Fingerkraut, Ackermennig, Brustwurz und Anis machten sie allmählich schwindlig. Insgesamt hatte sie mehr als zwei Stunden auf der Laute gespielt und fragte sich, ob es gut war, gerade jetzt aufzuhören.

Im nächsten Moment erhielt sie die Antwort. Durch den Schleier des Kerzenlichts und den leichten Rauch im Zimmer glaubte sie zu sehen, wie die Tür sich öffnete. Im Türrahmen stand eine große, breitschultrige Frau mit graublondem Haar, das von weißen Strähnen durchzogen war. Ihr Gesicht war hübsch, und sie hatte die gleichen durchdringend blauen Augen wie ihr Sohn, der sich bei ihrem Eintreten im Schlaf aufrichtete.